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Mein Ex Libris

Die Schweizer Musikszene ist unheimlich innovativ und vielseitig

1966 kam Sina als Ursula Bellwald im Kanton Wallis zur Welt. Nachdem sie in den 1970er Jahren erste musikalische Erfahrungen im Gospelchor sammelte, feierte sie ab 1983 erste musikalische Erfolge. Im Interview erzählt die Schweizer Mundart-Sängerin, wie der Lockdown ihre Musik geprägt hat, was ihr neues Album «Ziitsammläri» ausmacht und welche Songs ihr besonders am Herzen liegen.

Sina hautnah

Interviewt von Ex Libris

Sina Porträt
Bild: © Pat Wettstein

Am 23. September 2022 erscheint Ihr neues Album «Ziitsammläri». Was macht dieses Album aus?
«Ziitsammläri» ist mein erstes Themenalbum und wie der Titel schon sagt, dreht es sich um die Zeit. Was beinhaltet sie? Welche Zeit ist uns wichtig, wie verändert sie uns im Inneren und Äusseren? Diese Fragen haben mich beschäftigt und auch, wie es anderen damit geht. So habe ich Autor*innen aus Literatur, Slam-Poetry und Kabarett um ihre Geschichten über die Zeit gebeten. Die 15 entstandenen Storys enthalten besinnliche, augenzwinkernde Sichten auf die Zeit. Das Album ist also ein Gemeinschaftswerk – musikalisch, aber vor allem textlich.

Das Album ist während dem Lockdown vor zwei Jahren entstanden, als die Welt gefühlt stillstand. Wie haben diese Umstände Ihre Musik geprägt?
Mehr, als ich anfangs dachte. Eigentlich wollte ich mich bei Laune halten, indem ich ein paar Songs schrieb, das funktioniert fast immer. Dieses Mal im Zweiergespann mit meinem Mann, der ebenfalls Musiker ist. Das war die schöne Seite des Lockdowns. Da alles stillstand, nahmen wir die Gelegenheit wahr, nach Jahren wieder zusammen kreativ zu sein. Später, als es wieder möglich war, kam Adrian Stern dazu. Ich war in dieser Zeit zwar musikalisch inspiriert, aber textlich blieb nichts als ein leeres Blatt Papier. So entstand die Idee, mit Autor*innen, die ich kenne, wie Franz Hohler, Bänz Friedli, Sibylle Berg, Ralf Schlatter und anderen Geschichten über die Zeit zu erzählen.

Worauf dürfen sich Ihre Fans besonders freuen?
Über Songs in vielen Farben und Schattierungen im Folk/Pop-Stil. Über mitreissende Bläsersätze, Chöre, überraschende Arrangements und Sänger*innen, die als Duettpartner*innen und Geschichtenerzähler*innen zu mir ins Studio kamen. Es ist ein vielschichtiges Album geworden, besinnlich bis fröhlich. Wichtig war mir, auch bei ernsten Themen die Leichtigkeit nicht zu verlieren.

«Ziitsammläri» ist bereits Ihr 14. Album. Wann wissen Sie jeweils, dass die Zeit für ein neues Album gekommen ist?
Vor allem diktieren neue Ideen und Inspiration meinen Fahrplan. Und in diesem Fall die nicht geplante vorhandene Zeit. Vorgesehen war eigentlich eine Tour mit Symphonieorchester. Nummer 14 kommt jetzt also ein Jahr früher heraus als gedacht.

Wie gehen Sie den Prozess an? Wie entsteht ein Album?
Das ist sehr unterschiedlich. Mal dreht sich eine kleine Melodie im Kopf als Ausgangspunkt, mal ist es ein Wort oder ein Satz. Ich muss das dann sofort aufschreiben oder in mein Smartphone singen und lass es dort für einige Zeit. Beim Wiederhören oder -lesen habe ich meist ein Gefühl, ob es sich lohnt, an einer Idee festzuhalten oder nicht. Danach kommen meine musikalischen Partner ins Spiel, dieses Mal vor allem auch Adrian Stern. Zu zweit arbeiten wir die Ideen dann aus und entwickeln verschiedene Varianten. Am Ende der Demophase zählten wir dieses Mal 23 angefangene Songs. Jetzt wird Ähnliches aussortiert und die überzeugendsten Ideen kommen in die nächste Runde. Dann nehmen wir Arrangement-Ideen und Abläufe in den Fokus. Später geht’s ins Studio mit ausgewählten Musiker*innen und als Letztes kommen die Gäste fürs Sahnehäubchen. Nach dem Mix und Mastering geht das Album dann in den Druck. Der Weg von der ersten Demo bis zum fertigen Song ist immer wieder überraschend und wie aus einem Wort und ein paar Tönen ein kleines Kunstwerk wird.

Gibt es einen Song, der Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?
Der Song «Kari» in Zusammenarbeit mit dem Autor und Filmemacher Wilfried Meichtry über einen knorrigen Walliser Poeten und Säufer begleitet mich gerade, aber auch «Fär wer soll i singu» mit Bänz Friedli über einen Freund der Familie, dessen Erinnerungen zerfallen sind und der nur dank Melodien gelegentlich zu uns zurückfindet. Gestern habe ich zu «Rosa Rosä» getanzt, einem Sommersong, der daran erinnert, uns auch Zeit für uns selbst zu nehmen und Platz zu schaffen für kleine Momente von Unendlichkeit.

Adrian Stern hat an «Ziitsammläri» mitgewirkt. Wie haben Sie den Künstler kennengelernt? Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Als ich Adi kennenlernte, war er gerade 18 Jahre alt, spielte bei Betty Legler Gitarre und war unverkennbar ein Talent. Später sprang er ein, als mein damaliger Gitarrist unerwartet aus der Band ausschied und wurde sofort zu einem wichtigen Teil als Gitarrist, Arrangeur und Sänger. Nach gemeinsamen Projekten und Duetten mischt Adi zum zweiten Mal als Produzent und Musiker mit. Und worauf ich mich speziell freue: Er ist auch Teil meiner Live-Band und wechselt sich mit Jean-Pierre von Dach ab.

Wie erleben Sie die Schweizer Musikszene? Was begeistert Sie? Was fehlt Ihnen?
Die Schweizer Musikszene ist unheimlich innovativ und vielseitig. Ich verfolge junge Künstler*innen wie Dana, Riana, Nemo, Back Sea Dahu, To Athena, Andryy, We are Ava und andere mit Interesse und finde toll, wie sie ihr Ding machen. Auf den Bühnen fehlen immer noch die Frauen und ich bin sicher, dass Festivals wie der Gurten, Paleo oder auch eines der grössten europäischen Festivals, das Primavera Sound in Barcelona, mit ca. 50% Frauenanteil wichtige Vorreiter sind für eine angepasste musikalische Realität. Letzteres Festival hat mit dieser Regelung wirtschaftlich sogar nochmals zugelegt. Es lohnt sich also auch für die Festivals, aufstrebende Musikerinnen zu buchen. Und davon gibt es genauso viele wie talentierte Männer.

Inzwischen schreiben Sie schon seit zwei Jahrzehnten Songs. Für Ihr neues Album haben Sie mit verschiedenen Autor*innen zusammengearbeitet. Würde Sie vielleicht auch einmal ein Buchprojekt reizen?
Diese Frage hätte ich noch vor einem Jahr mit einem klaren Nein beantwortet. Und eine eigene Biografie interessiert mich nicht. Aber ein projektbezogenes Thema könnte in den nächsten Jahren ein Thema werden. Mal sehen, wie viel Wasser noch die Rhone hinunterfliesst.

Was war in den letzten zwei Jahren trotz der Herausforderungen ein absolutes Highlight für Sie?
Viele alltägliche neue Eindrücke rund um meinen Wohnort. Ich dachte, ich kenne fast jeden Waldweg und jede Seebadi am Hallwilersee. Da hab ich mich gründlich geirrt. Diese kleinen Entdeckungsreisen waren regelmässige Aufsteller. Und kürzlich das Konzert am Jazzfestival Montreux mit Robert Plant und Alison Krauss. So musikalisch, berührend und sensationell gespielt. Diese Vibes werden mich noch eine Weile begleiten.

Was möchten Sie den Menschen mit Ihrer Musik mitgeben?
Eine kleine Auszeit aus dem Alltag, tröstliche Momente und Freudensprünge.

Wie schon erwähnt, trägt Ihr neues Album den Titel «Ziitsammläri». Sammeln Sie abgesehen von Zeit sonst noch etwas?
Vollgeschriebene Notizbücher und Coop-Sammelmarken für die Kinder meiner Geschwister.

Was ist das letzte Buch, das Sie gelesen haben – und würden Sie es weiterempfehlen?
«Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Anregung zur Achtsamkeit» von Frank Berzbach. Dieses Buch lese ich gerade zum zweiten Mal und es passt perfekt zu meinen neuen Songs.

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