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Mobilität, Flexibilität, Konkurrenz und existenzielle Abhängigkeit vom Körper - der Beruf von Tänzerinnen und Tänzern bringt biografisches Unsicherheitspotenzial mit sich. In Interviews zeigen sich jedoch auch unerwartete Wege der Herstellung biografischer Sicherheit. Diese legt Sophie Pfaff in einer Studie frei, in der weder Unsicherheit unweigerlich angenommen noch Sicherheit gefordert wird. Neben neuen Einsichten für die Biografieforschung und die Kunstsoziologie liefert der Band Anknüpfungspunkte an Debatten um Arbeitsorganisation und Transnationalisierungsprozesse.
Autorentext
Sophie Pfaff promovierte im Fach Soziologie an der Universität Halle-Wittenberg.
Leseprobe
Einleitung "What's next..." - Biografien sind unübersichtlicher, spontaner, flexibler geworden in der späten Moderne. Wohin geht es? Aber auch: Ergibt die Vergangenheit Sinn? Kann man einzelne Phasen des Lebens und Arbeitens in einen Zusammenhang bringen, persönliche Identität stiften? Und wie können angesichts dieser Gemengelage Entscheidungen getroffen werden? Diese Arbeit untersucht (Un)Sicherheit in Biografien von Bühnentänzerinnen und -tänzern. In einem rekonstruktiven Forschungsdesign wird Unsicherheit für diese Gruppe nicht unweigerlich angenommen oder Sicherheit normativ gefordert. Vielmehr wird das Phänomen im Rahmen der Sinn- und Relevanzstrukturen der Akteurinnen und Akteure betrachtet. Mit den Tänzerinnen und Tänzern steht eine soziale Gruppe im Zentrum, die bisher soziologisch kaum beachtet wurde, welche jedoch - neben der offensichtlichen kunstsoziologischen Relevanz - Anknüpfungspunkte an aktuelle Debatten um Arbeitsorganisation, die körperliche Dimension des Sozialen und Transnationalisierungsprozesse bietet (vgl. 1.2). Unter prekären Arbeitsbedingungen lebende Künstlerinnen und Künstler sind Sozialfiguren, die schon lange Bestandteil des alltäglichen Wissensvorrates sind. Dass sie jedoch auch über den engen Bereich der Kunst hinaus als Beispiele für eine neue Form des Arbeitens (und Lebens) gelten können, ist in soziologischer Hinsicht spannend. Diese These wird in der Arbeitssoziologie aus unterschiedlichen Richtungen vertreten. Luc Boltanski und Ève Chiapello beobachten in ihrer Studie Der neue Geist des Kapitalismus, dass Künstlerinnen und Künstler in der Manager-Ratgeberliteratur immer wieder als Vorreiterinnen und Vorreiter des projekt- und netzwerkbasierten Arbeitens auftauchen (Boltanski und Chiapello 2006). Auch Pierre Menger schließt in seinen Forschungen zu Künstlerarbeitsmärkten an die These an, dass Künstlerinnen und Künstler trotz ihrer kritischen Haltung gegenüber der Ökonomie ironischerweise immer deutlicher ein "Idealbild des Arbeitnehmers der Zukunft" (Menger 2006, 10) darstellen würden und als "Vorreiter bei der Erprobung (hyper)flexibler Arbeitsformen" betrachtet werden können (Menger 2006, 70). Auch im deutschsprachigen Diskussionszusammenhang erhält der Arbeitsmarkt von Künstlerinnen und Künstlern in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit. Nachdem dieser lange als "exotische Nische", als Abweichung von der Norm angesehen wurde und somit auch nicht im Zentrum des Interesses von Arbeitssoziologinnen und -soziologen stand, rückt er mit dem neuerlichen Strukturwandel von Arbeit wieder stärker auf den (Forschungs-)Plan (Manske und Schnell 2010, 699). So weisen Carroll Haak und Günther Schmid darauf hin, dass durch eine nähere Betrachtung des Arbeitsmarktes von Künstlerinnen und Künstlern (und Publizistinnen und Publizisten) Charakteristika aufgezeigt werden können, "die künftige Veränderungen des Arbeitsmarktes im Kern vorwegnehmen" würden und dass dort auch Lösungsmöglichkeiten für dabei auftretende Probleme gefunden werden könnten (Haak und Schmid 2001, 159). Zentraler Punkt in der Diskussion um die aktuellen Entwicklungen der Strukturen von Arbeit sind die Unsicherheiten, die durch die Deregulierung von Arbeit und den damit verbundenen Flexibilisierungs- und Subjektivierungstendenzen für die Einzelnen entstehen. Die entsprechenden Forschungsarbeiten sind von der Figur des Verlustes geprägt. Dort wird ein Verlust von Sicherheiten beschrieben, die mit dem sogenannten "Normalarbeitsverhältnis" verbunden sind, also vor allem von staatlichen Absicherungen gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter. Wenn nun "atypische" Beschäftigungsformen an Bedeutung gewinnen, bedeutet das in dieser Logik auch die Zunahme von Unsicherheiten. Gleichzeitig wird - in unterschiedlichem Ausmaß - der gegenwärtige Strukturwandel von Arbeit als ambivalent bewertet. Denn flexibilisierte Arbeit eröffnet den Einzelnen auc Gestaltung von Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsweise. Eine ähnliche Ambivalenz wird auch in Beiträgen zur Soziologie der "Zweiten Moderne" festgestellt (Bauman 2003, 2008; Beck 1987; Beck und Beck-Gernsheim 1993; Bonß 1995; Hitzler und Honer 1994; Sennett 1998). Dort tritt das Phänomen der Unsicherheit zunächst ebenso als Verlust auf, hier in einer größeren Breite von Lebensbereichen. Neben dem Verlust der vergesellschaftenden Funktion von Arbeit, wird auch der Verlust anderer sozialer Institutionen wie Klasse oder Lebenslauf beschrieben. Dadurch werden die Einzelnen freigesetzt aus bis dato bestimmenden Strukturen und werden einerseits in die Pflicht genommen bzw. erhalten andererseits die Chance, ihr Leben selbst zu gestalten. Ausgehend von diesen Überlegungen können Tänzerinnen und Tänzer in einem ersten Schritt als besonders akzentuierter Fall angesehen werden, was die beschriebene Ambivalenz des spätmodernen Arbeitens und Lebens betrifft. So war eine der Ausgangshypothesen dieses Forschungsprojektes, dass sich für Biografien von Tänzerinnen und Tänzern strukturell betrachtet ein hohes biografisches Unsicherheitspotential ausmachen lässt. Zusätzlich zum traditionell vorwiegend projektbasierten Arbeiten als Tanzkünstlerin oder Tanzkünstler sind gerade in den letzten Jahren in beiden Untersuchungsgebieten (in Deutschland und den Niederlanden) durch Kürzungen in öffentlichen Kulturetats kontinuierlich sogenannte "normale" Arbeitsstellen für Tänzerinnen und Tänzer weggefallen. In Folge dessen hat in beiden Ländern das Arbeiten als Freelancer in dieser Berufsbranche zugenommen. Die staatlichen Instrumente der sozialen Sicherung sind jedoch nur unzureichend an diese neuen "normalen" Arbeitsverhältnisse angepasst worden. Darüber hinaus haben die Tänzerinnen und Tänzer im Vergleich zu anderen Künstlergruppen mit tanzspezifischen Unsicherheitspotentialen wie der Notwendigkeit einer zweiten Karriere ab ungefähr dem 40. Lebensjahr und dem Risiko der Arbeitsunfähigkeit durch Verletzungen sowie mit anderen Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu tun. Andersherum betrachtet ist die Kunst in modernen Gesellschaften ein Bereich, in dem der Wert der Freiheit eine große Rolle spielt. So eröffnet das selbstständige Arbeiten neben den damit verbundenen Risiken auch größere Spielräume für eine weitgehend selbstbestimmte Arbeitsgestaltung. Auch die im transnationalen Feld des Bühnentanzes institutionalisierte Praxis des Netzwerkens stellt eine mögliche Form der biografischen Absicherung dar, die Alternativen zu nationalstaatlich regulierten sozialen Sicherungen bietet. Ein genauerer Blick auf die Biografien von Tänzerinnen und Tänzern eröffnet also die Möglichkeit, eine Künstlergruppe näher zu betrachten, für die ein ambivalentes Zusammenspiel von (neuen) Unsicherheiten und zukunftsweisenden Formen der Herstellung von Sicherheit anzunehmen ist. Ob (Tanz-)Künstlerinnen und Künstler nun tatsächlich Vorreiterfiguren für das Arbeiten und Leben in der späten Moderne darstellen, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Vielmehr werden am Beispiel der Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer in Biografien empirisch beobachtbare Formen von (Un)Sicherheit aufgezeigt und anschließend die aus dem Datenmaterial gewonnenen Erg…
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