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Nordirland und das spanische Baskenland waren über Jahrzehnte geprägt von politischer Gewalt. Als politische Strategie kommt Gewalt jedoch besonders in Demokratien nicht ohne Legitimation aus. Die fortdauernde Existenz bewaffneter Gruppen in beiden Regionen lässt sich daher nur vor dem Hintergrund der Perzeption ihrer Gewalt und des Staatshandelns erklären. Das Augenmerk dieser Studie liegt darum auf den öffentlichen Aushandlungsprozessen der nationalistischen Bewegungen. Was wurde unter Gewalt verstanden? Welche Ausprägungen als verboten oder gar als geboten angesehen? Die Analyse der Gewaltdiskurse zeigt, wie es zum Ende der Gewaltanwendung kam, ohne dass die bewaffneten Gruppen ihre Kernziele erreicht hatten.
»Damit füllt der Autor eine bisher bestehende Forschungslücke, die diverse Anknüpfungspunkte an viele weitere noch ausstehende Studien zu diskursiven Aushandlungsprozessen im Umgang mit politischer Gewalt, u.a. auch in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, bereithält.« Robert Wolff, H-Soz-u-Kult, 24.08.2021
Autorentext
Sebastian Seibert ist promovierter Historiker und Politikwissenschaftler und gegenwärtig als freiberuflicher Bildungsreferent tätig.
Leseprobe
1Einleitung: Sprechen über politische Gewalt »Die Gewalt spricht nicht«, überschrieb der renommierte Gewaltforscher und Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung Jan Philipp Reemtsma einst einen Vortrag über das Verhältnis von Macht und Gewalt. Sie begleite vielmehr die Macht wie ein stummer Schatten. Während in Habermas' »Theorie des kommunikativen Handelns« Gewalt gleichsam den Gegenpol zur Kommunikation darstellt, bedeutet sie für Reemtsma jedoch nicht deren Ende: »Zwar spricht sie nicht, aber indem sie sich zeigt, sagt sie dennoch allerlei.« In einer triadischen Konstruktion stelle Gewalt selbst einen Akt der Kommunikation dar und werde dadurch zu sozialem Handeln. Zweifellos erzeugt Gewalt als Akt der »Eliminierung von Handeln durch Handeln« auch ohne kontextualisierende Diskurse Realität und sendet dabei in einem gewissen Rahmen auch eine Botschaft an Dritte. Allerdings setzt gerade aus politischen Motiven ausgeübte Gewalt eine weitergehende, sprachliche Kommunikation voraus. So werden einzelne Gewaltakte erst dadurch politisch und wirken über die jeweils direkt Betroffenen hinaus, indem sie in Kontext gesetzt und mit einer bestimmten Botschaft verbunden werden. Erst die begleitende Kommunikation, die den Gewaltakt in seiner konkreten Ausrichtung erklärt und in einen Ziel-Mittel-Kontext einordnet, macht diesen deutbar und ermöglicht es, Wirkungen, die über eine diffuse Angst hinausgehen, wie Drohpotenziale, Vermeidungshandeln oder Zugeständnisse des politischen Gegners zu generieren. Anders als bei Gewaltanwendungen in anderen Zusammenhängen, die nicht notwendigerweise ein politisches Ziel verfolgen und daher auch zum Selbstzweck werden können, kommt Gewalt als politische Strategie nicht ohne Legitimation aus. Laut Reemtsma ist die moderne europäische Kultur aber von einer prinzipiellen Gewaltaversion gekennzeichnet. In ihr wird nicht nur zwischen erlaubter, gebotener und verbotener Gewalt unterschieden, sondern Gewalt grundsätzlich als Problem angesehen. Diese wird nur noch als legitim anerkannt, wo sie vor schlimmerer Gewalt schützen soll. Innerhalb demokratisch verfasster Gesellschaften, in denen theoretisch politische Mehrheiten organisiert werden können, um Veränderungen durchzusetzen und bestimmte politische Ziele zu erreichen, erscheint die Anwendung von Gewalt besonders begründungspflichtig. Umso größere Bedeutung kommt hier dem Kampf um die Deutungshoheit zu, der stets mit dieser einhergeht und darauf abzielt, die eigene Anwendung von Gewalt zu rechtfertigen und ihr Legitimität zuzuweisen und gleichzeitig die Legitimität derjenigen zu schwächen, die diese ablehnen oder gegen sie vorgehen. 1.1 Fragestellung und Forschungsstand Die nordirische wie die baskische Gesellschaft waren über Jahrzehnte geprägt von politischer Gewalt. Diese Gewalt konnte vielfältige Formen annehmen. Sie äußerte sich seitens der nicht-staatlichen Akteure in Bombenanschlägen und gezielten Morden, aber auch in »punishment shootings« und »punishment beatings«, Vertreibungen, Mobbing, der Eintreibung einer »Revolutionssteuer« und Straßenkampf. Von staatlicher Seite wurde darauf mit zum Teil erheblicher Repression reagiert, die nicht nur gravierende Einschränkungen von Freiheitsrechten, sondern auch Menschenrechtsverletzungen mit einschloss. Die Gewalt war somit kein randständiges Phänomen, sondern wirkte auf breite Teile der Gesellschaft und führte zu einer erheblichen Polarisierung. Hier wie dort wurde, noch lange nachdem die alte politische Ordnung durch eine andere, formal demokratische ersetzt worden war, in einem erheblichen Ausmaß Gewalt in der politischen Auseinandersetzung angewandt. Erst 33 Jahre nach der Ablösung des Stormont-Regimes in Nord-irland respektive der Verabschiedung einer demokratischen Verfassung in Spanien verkündeten mit der (Provisional) Irish Republican Army und Euskadi Ta Askatasuna (militar) (Baskenland und Freiheit) die jeweils bedeutendsten Gewalt anwendenden Gruppen das Ende ihres bewaffneten Kampfes. Dass diese über einen so langen Zeitraum fortbestehen konnten, zeugt davon, dass der Einsatz von Gewalt von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung lange Zeit als legitim angesehen wurde. Schließlich ist eine Gruppe oder Organisation, die ihre politischen Ziele mit Gewalt durchsetzen will, von einer Unterstützerbasis abhängig: von den Straßenkämpfern, die einen Ort so lange blockieren, bis Untergetauchte entkommen, Waffen in Sicherheit gebracht oder alle Spuren nach einem Anschlag verwischt sind; von der Menschenmasse, die es als Schutzschild ermöglicht, verbotene Insignien hochzuhalten und Salutschüsse zu Ehren von getöteten Mitstreitern abzugeben; von Informanten, Kurieren, Geldwäschern und Bereitstel-lern von sicheren Häusern und Waffenverstecken; von denen, die sie vor Durchsuchungen warnen, die sie und die Inhaftierten politisch unterstützen oder die generell nicht bereit sind mit den staatlichen Sicherheitskräften zu kooperieren, etc. Ihr Erfolg hängt also von ihrer Fähigkeit ab, Akzeptanz für ihre Aktionen zu finden und Menschen für sich zu mobilisieren, sowie von der Reaktion der Zivilgesellschaft. Ohne aktive oder passive Unterstützung mag eine solche Gruppe eine Zeit lang trotzdem bestehen können, stellt sich die Gesellschaft aktiv gegen sie, ist sie jedoch nicht überlebensfähig. Insofern reflektiert sie in gewisser Weise die Einstellungen und Sehnsüchte eines Teils der Gesellschaft, aus der sie hervorgegangen ist. Als die bewaffneten Gruppen unter den Vorgängerregimen aktiv wur¬den, war ihre direkte Gewaltanwendung gegen das politische System und seine Repräsentanten in breiten Teilen der Gesellschaft vor allem als Notwehr verstanden worden. Im Falle Nordirlands sah sich die IRA 1969 dabei explizit dem Vorwurf ausgesetzt, nicht bereit gewesen zu sein, ihrer traditionellen Rolle, nämlich dem Schutz der katholischen Bevölkerung vor Pogromen und Polizeiwillkür, nachzukommen. Die neuformierte Provisional IRA zog daraus Konsequenzen und trat zunächst primär mit dem Anspruch auf, diese Rolle wieder auszufüllen. Unabhängig davon inwieweit sie diese tatsächlich erfüllte, nur die Illusion des Schutzes erweckte oder im Gegenteil sogar zu mehr Übergriffen beitrug, verschaffte es ihr Legitimität und Rück-halt in der nationalist community. Aber auch im Baskenland genossen während der Franco-Zeit ETA-Aktivisten einen Heldenstatus, galten baskischer Nationalismus und politische Gewalt als notwendige Antwort auf die aktuellen Gegebenheiten. Beiden Organisationen wurde zudem zugesprochen, maßgeblich zum Sturz des alten Systems beigetragen zu haben. Zeitgenössische, auf teilnehmender Beobachtung basierende Studien verdeutlichen, wie stark die Menschen beider Regionen in diesen Jahren von einer antago…
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