Tiefpreis
CHF19.20
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 6 Wochen.
Kein Rückgaberecht!
Plinio Martinis Lyrik kennt drei Schaffensperioden. Die erste ist lyrisch und elegisch und findet sich in den beiden ersten im Druck erschienenen Werken des Autors. Die zweite wird durch ihr religiöses Engagement charakterisiert; aber nur vereinzelte Gedichte daraus wurden in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt, war doch die geplante Veröffentlichung des dritten Lyrikbandes zuerst durch Schwierigkeiten bei der Verlagssuche, dann durch das nachlassende Interesse des Dichters, der für sich neue Ziele gefasst hatte, gescheitert. Die tiefgreifenden Veränderungen in der Kultur und der Gesellschaft der Sechzigerjahre haben den Autor auch anderweitig sehr in Anspruch genommen. Die dritte lyrische Schaffensperiode folgt unmittelbar auf das Erscheinen des ersten Romans Il fondo del sacco (1970, Nicht Anfang und nicht Ende), und zwar noch bevor er mit der Arbeit an seinem zweiten Roman Requiem per zia Domenica (1975, Requiem für Tante Domenica) begann. Es handelt sich vor allem um Gedichte epigrammatischen Charakters, von denen die meisten erst postum veröffentlicht wurden. Christoph Ferbers Auswahl berücksichtigt mit Scharfsinn und Gleichgewicht alle drei Schaffensperioden. Neunzehn Gedichte stammen aus Paese così (1951), Martinis Erstling mit dem programmatischen Titel; zehn Gedichte aus dem zwei Jahre darauf erschienenen Diario forse d'amore (1953), neun aus Ed eri in mezzo a noi der religiösen, bis heute unveröffentlichten Sammlung, die 1963 druckfertig war. Schließlich dreizehn Gedichte aus der Zeit 19721973, die meist postum erschienen sind; einige wenige wurden in François Lafrancas Kunstdruck Le catene (1975) publiziert. Diese rund fünfzig ins Deutsche übersetzten Gedichte stellen auch im Original die bisher weitaus grösste Auswahl von Martinis Lyrik dar.
Autorentext
Plinio Martini, 1923 in Cavergno im Maggiatal geboren, wuchs als Sohn eines Bäckers mit sieben Geschwistern auf. Er besuchte das Lehrerseminar in Locarno, unterrichtete dann in Cavergno, später in Cevio. Martini heiratete und wurde Vater von drei Kindern. Er starb 1979 im Alter von 56 Jahren. Plinio Martini begann sein Schaffen als Lyriker. 1951 und 1953 erschienen die Gedichtbände Paese così und Diario forse d'amore. Die Gedichte bereiteten die Romane vor, die ihn berühmt werden liessen: Der Roman Il fondo del sacco wurde 1970 veröffentlicht; 1974 erschien er in deutscher Übersetzung unter dem Titel Nicht Anfang und nicht Ende. Der zweite Roman Requiem per zia Domenica / Requiem für Tante Domenica erschien 1975. In seinem Werk hat Martini die klischierten Tessinbilder revidiert. Er gehört längst zu den Klassikern der Tessiner Literatur. Das Schweizerische Literaturarchiv hat 2022 den Nachlass von Plinio Martini übernommen.
Leseprobe
L'allodola Ho toccato le nebbie del mattino appese ai rami scarni degli ontani lungo il torrente nella valle azzurra. C'era in alto la voce di un'allodola. Incredibile il sole poi m'avvolse: fumavano le pietre come dorsi. Die Lerche Ich habe die Frühnebel berührt, längs des Flusses hingen sie an den nackten Erlenästen im blauen Tal. Ganz oben die Stimme einer Lerche, und die Sonne hüllte mich unglaublich ein: Wie Rücken rauchten die Steine. Processione Con tanto tempo che portiamo di povertà faticosa fino a questo rassegnato tornare in processione nei campi a implorare la pioggia, con tanti secoli sul dorso, il passo è sempre quello della gerla, chini dietro la statua del Santo pietoso che curò gli appestati, e noi poveretti con il nostro stentare guarderà dal cielo. Ci guarda intanto un gruppo di turisti dall'ombra delle case, dov'esce il sentiero che ci ha sgranati dentro il solleone, prima fra gli orti, e poi sulla cotica secca dei prati. Fanno fotografie. Porteranno nel Nord, dentro città complicate e brumose, la nostra offerta intimità: ori barocchi, stracci, e questo cantare strascicato, che è patire, e fa tanto folclore. Prozession Wie lange schon tragen wir unsere mühsame Armut in dieser wie immer schon resignierten Zuflucht zur Prozession durch die Felder, um Regen zu erflehen, mit wieviel Jahrhunderten auf dem Rücken, im langsamen Schritt der Tragkörbe- träger, gebeugt hinter der Statue des barmherzigen Heiligen, der die Pestkranken heilte und uns in unserer Mühsal vom Himmel her zuschaut. Im Schatten der Häuser, wo der Weg anfängt, der uns, zuerst zwischen Gärten, dann auf der trockenen Erde der Wiesen, mit seiner Mittagssonne fast schält, beschaut uns eine Gruppe Touristen. Man schießt Fotografien. Anderswohin, nach Norden, in unübersichtliche, dunstige Städte, bringen sie unsere dem Heiligen geopferte Intimität: barockes Gold, armselige Kleider, und diesen schleppenden Gesang, der Leid bedeutet, für sie aber nichts als Folklore. Pensare che della vita di un uomo resti qualcosa di più che questa traccia di lepre sulla neve quasi rettilinea dalla fossa del ruscello a quel boschetto di nocciòli. Denken, dass vom Leben eines Menschen etwas mehr als nur diese Hasenspur übrigbleibt, gradlinig fast auf dem Schnee, vom Graben des Bachs bis zum Nussbaumhain.