Tiefpreis
CHF73.60
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 1 bis 2 Wochen.
Kein Rückgaberecht!
Die Tradition kulturkritischen Denkens hat einigen Scharfsinn darauf verwendet, Risiken der Industrialisierung kultureller Formen zu beschreiben. Vergleichsweise selten fiel der Blick auf die produktiven Leistungen der "Massenkultur". Damit meine ich nicht nur Unterhaltung oder die Pazifizierung politischer Ansprüche, sondern die Erzeugung von Wahrnehmungs- und Kommunikationsmustern, die es erlauben, eine so hochgetriebene Kontingenz auszuhalten, wie die moderne Gesellschaft sie hervorbringt. Künste, Wissenschaften und Philosophie stellen Formexperimente auf Dauer, die für eine Permanenz der Differenzierung kultureller Sinnformen sorgen. Ihre Resultate geben gewöhnlich die Beurteilungsfolie für die "Massenkultur" ab. Aber wären diese Leistungen der "Hochkultur" gesellschaftlich möglich, gäbe es nicht komplementäre Sinnformen, die mit einem hohen Maß an Typisierung für ausreichende kommunikative Anschlussfähigkeiten und Wahrnehmungsroutinen sorgen? Was ist gefährlich an Typisierung? Worin besteht sie? Wenn in diesem Buch von "Massenkultur" die Rede ist, so meint der Ausdruck nicht eine schlechtere Variante der "Hochkultur".
Gefragt wird vielmehr nach Typisierungsleistungen der Kommunikation und der Wahrnehmung. Recht betrachtet, ermöglichen Typisierungen von Sinn gerade die Ausbildung von Individualität, deren Untergang Kritiker der Typisierung beklagen. Mit Hilfe massenhaft bekannter und anschlussfähiger Symbolformen kann Individualität überhaupt erst bemerkt, begehrt, kultiviert, mit Emotionen, Motiven, Kognitionen und Verhaltensweisen bekleidet und in diversen Arenen gesellschaftlicher Kommunikation vorgeführt und genossen werden.
Typisierungen lassen sich an vielen Beispielen beobachten. Ich habe mich für das Kino entschieden, weil Filme sich im 20. Jahrhundert zu der wohl bedeutendsten Form entwickelten, mit der die Gegenwartskultur sich einem Massenpublikum darstellt und zu einem reflektierten Umgang mit ihren eigenen Möglichkeiten anregt. Fast jeder ist von Filmen fasziniert. Sie berühren existentielle Fragen, die in vergleichbarer Konkretheit und ohne tadelnde Haltung von der Religion kaum noch beantwortet werden. Thema dieses Buches ist also eine Theorie der Massenkultur. Exemplarisch entfaltet wird sie am Beispiel des Kinos. Diagrammatisch ist die Methode der Darstellung. Mein Ziel ist es, Darstellung als eine Praxis vorzuführen. Entwickelt an Darstellungen des Kinos, beschreibt sie die Praxis der Philosophie, mithin ein philosophisches Konzept von Theorie. Plausibilität gewinnen Darstellungen in der Durchführung am Material.
Am Beispiel des Kinos entfaltet dieses Buch eine Theorie der Massenkultur. Während die Künste, die Wissenschaften und die Philosophie sich darauf spezialisieren, Differenzierungsprozesse der Sinnbildung zu kultivieren und damit die Welt in ihren Möglichkeiten zu vervielfältigen, sorgt die Massenkultur für hinreichende Typisierungsleistungen, um Differenzierungen aufzufangen und kommunikativ zu stabilisieren. Darum ist die Kritik der Massenkultur als einer Entfremdungsmaschine zwar populär, aber voreilig. Sie unterschätzt die Integrationsleistung solcher Sinnformen für die moderne Gesellschaft und verwechselt den differenzsensiblen Beobachtungsstil der Wissenschaften, der Philosophie und der Künste mit der Kultur insgesamt, die dann in ihrer Gestalt als Populärkultur lediglich im Modus der Kritik Interesse findet. Stattdessen sollten wir die Leistung von Typisierungen, die symbolische Prozesse in Wahrnehmungen und Kommunikation herbeiführen können, wertschätzen. Um die moderne Kultur zu verstehen, müssen Differenzierungs- ebenso wie Typisierungsleistungen in den Blick genommen werden. Typisierungsleistungen der Massenkultur treten exemplarisch im Film hervor. Das Kino war vielleicht die massenkulturell wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts. Kunstansprüche werden in dieser Symbolform ebenso realisiert wie säkularisierte Spielarten der Religion, Schulungen der Wahrnehmung, Abenteuer der Emotion und Laboratorien der Kommunikation. Im Kino spiegelt sich die Welt in ihren Möglichkeiten. Hier kommt Welt zur Erscheinung und wird auf Gedankliches hin durchsichtig. Was wir auf der Leinwand betrachten, ist nie bloße sinnliche Erscheinung, sondern eine bestimmte Formierung von Sinn. Deshalb sind Bilder des Kinos mehr und anderes als Projektionen banaler menschlicher Wünsche oder deren industrielle Ausbeutung. In ihnen werden Varianten der Welt denkbar, deren Reflexionsgehalt noch im ungetrübten Vergnügen an der Filmwirklichkeit einen Überschuss über schlichte Identität als Verdoppelung des Selben bedeutet. Filme sind Formen, mit denen die Gesellschaft sich in ihren eigenen Wirklichkeiten und Möglichkeiten für die Augen eines Massenpublikums beschreibt. Sie richten die Wahrnehmung und die Kommunikation auf die Beobachtung kohärenter Möglichkeitsräume aus. Ihr Publikum laden sie dazu ein, sein Leben mit dem Leben in den Filmwelten zu vergleichen, denn die Differenz zwischen Leben und Kino steht nicht in Frage. Filme besitzen dieses Potential dank ihrer diagrammatischen Form. Bilder, Worte und Musik verschränken sich in ihnen zu einer komplexen Einheit, deren Prägnanz und sinnliche Wucht Erfahrungen innerweltlicher Transzendenz erlauben.
Autorentext
Dirk Rustemeyer, geb. 1959, ist seit 1998 Professor für Philosophie an der Universität Witten/Herdecke. Seit 2001 Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Trier. Bei Velbrück Wissenschaft hat er veröffentlicht: Diagramme. Dissonante Resonanzen: Kunstsemiotik als Kulturtheorie (2009).
Klappentext
Am Beispiel des Kinos entfaltet dieses Buch eine Theorie der Massenkultur. Während die Künste, die Wissenschaften und die Philosophie sich darauf spezialisieren, Differenzierungsprozesse der Sinnbildung zu kultivieren und damit die Welt in ihren Möglichkeiten zu vervielfältigen, sorgt die Massenkultur für hinreichende Typisierungsleistungen, um Differenzierungen aufzufangen und kommunikativ zu stabilisieren. Darum ist die Kritik der Massenkultur als einer Entfremdungsmaschine zwar populär, aber voreilig. Sie unterschätzt die Integrations-leistung solcher Sinnformen für die moderne Gesellschaft und verwechselt den differenzsensiblen Beobachtungsstil der Wissenschaften, der Philosophie und der Künste mit der Kultur insgesamt, die dann in ihrer Gestalt als Populärkultur lediglich im Modus der Kritik Interesse findet. Stattdessen sollten wir die Leistung von Typisierungen, die symbolische Prozesse in Wahrnehmungen und Kommunikation herbeiführen können, wertschätzen. Um die moderne Kultur zu verstehen, müssen Differenzierungs- ebenso wie Typisierungsleistungen in den Blick genommen werden.