

Beschreibung
In seinem 75. Lebensjahr legt Walter Kempowski einen neuen Roman vor, seinen zehnten. Die »Letzten Grüße« sind nur vordergründig die Abschiedsgrüße eines Amerikareisenden an seine Frau. Sie sind auch Grüße an seine Leser - und darüber hinaus das Resümee eines ...In seinem 75. Lebensjahr legt Walter Kempowski einen neuen Roman vor, seinen zehnten. Die »Letzten Grüße« sind nur vordergründig die Abschiedsgrüße eines Amerikareisenden an seine Frau. Sie sind auch Grüße an seine Leser - und darüber hinaus das Resümee eines Repräsentanten seiner Generation, die Auseinandersetzung eines Unzeitgemäßen mit den Werten des »Alten Europa« im Angesicht der Neuen Welt.
Die Einladung zu einer Lesereise durch Amerika kommt für den Schriftsteller Alexander Sowtschick im rechten Augenblick. Sein neuer Roman will nicht recht vorwärts gehen. Seine Ehe mit Marianne dümpelt vor sich hin. Die Beleidigungsklage eines Kollegen, den Sowtschick »Dünnbrettbohrer« genannt hat, steht ins Haus. Und auch der bevorstehende 70. Geburtstag löst zwiespältige Gefühle aus. Also macht sich der distinguierte ältere Herr mit Goldrandbrille auf in die Neue Welt. 37 Stationen sind zu absolvieren, vom aufregenden New York über die frömmelnd-puritanischen Universitäten an der Ostküste bis in den kanadischen Norden. Sowtschick liest vor beflissenen Kulturträgern und gelangweilten Studenten, vor unbefriedigten Archivarinnen und ältlichen Professorengattinnen. Doch seine Bücher sind weniger präsent, als er erhoffte, und die Vorurteile seiner Gastgeber gegenüber den Deutschen findet er verstörend. Selbst die kleinen erotischen Abenteuer erweisen sich als nicht wirklich erregend. Über allem liegt die Melancholie des Abschieds, gepaart mit der illusionslosen Ironie eines Unzeitgemäßen. Die junge Generation hat ihn längst überholt. Doch wer dem Ende wirklich näher ist, bleibt offen.
"Was Kempowski aus Alltagsbeobachtungen rausholt, wie er seine Leitfigur einkreist, in allen Lebensregungen erfahrbar macht, das beweist alte Meisterschaft."
Autorentext
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
Leseprobe
Teil
Deutsche Wochen? - Alexander hatte die Einladung spontan absagen wollen: vier Wochen Amerika? Aus allem herausgerissen werden, nicht mehr im Bchergang auf- und abschreiten, nicht im Garten den Frauen zusehen, wie sie sich ber das Unkraut bcken; Harke und Hacke sind an die wei Mauer gelehnt? Die rosa aufdernden Tage, die dunkelroten Sonnenunterge, die Silhouetten der Be vor den geften Wolken - ausgreifend und verzweigt Einen Acht-Stunden-Flug ertragen ber nachtdunklem Meer, eingeklemmt zwischen Rauchern und Tempotuchmenschen, von vorn Gestank in regelmgen Anblasungen und von hinten endloses Gerede? Dann: drben von einer Stadt in die andere vagabundieren, beleuchtete Wasserfe, nachgebaute Einwandererhtten, Bibliotheken, eine wie die andere, schlechte Hotels! - Und Tag fr Tag Rede und Antwort stehen mssen fr Dinge, die man nicht zu verantworten hat?
Leugnen Sie auch den Holocaust?
Vor Leuten, die noch nie etwas von einem gehrt haben, geschweige denn gelesen?
Warum schreiben Sie?
Welche Position nimmt der Erzer in Ihrer Prosa ein?
Nein.
Andererseits: vier Wochen Amerika? Die tichen Unannehmlichkeiten des Arbeitstages hinter sich lassen, der Roman kommt nicht von der Stelle, und die leidige Sache mit der Beleidigungsklage, Dnnbrettbohrer, weshalb hatte er auch den an sich so liebenswerten Kollegen Mergenthaler aus Aschaffenburg einen Dnnbrettbohrer genannt?
Vier Wochen entrckt zu sein, Gast, immerfort eingeladen zu werden zu Essen und Trinken und zuslich pro Lesung noch zweihundertfnfzig Dollar in die Hand gedrckt bekommen? Und: auch sonst alles gratis? W es nicht eine Snde, ein solches Angebot auszuschlagen? Vier Wochen kreuz und quer den neuen Kontinent bereisen? Auf den Klippen des Pazifischen Ozeans sitzen und sich von Schaum umflocken lassen Ausgebreitet schweben ber Canyons und riesige Flsse, die Highways hinauf-hinuntergleiten durch Wer und Wsten, je nachdem? - Und: wrde man die Erwartungen des deutsch-amerikanischen Instituts nicht enttchen mit einer Absage? Wer konnte denn wissen, wer sich stark gemacht hatte fr ihn: Ich bin dafr, dawir endlich mal den Sowtschick hinberschicken
Eine Einladung war ja lst fig gewesen.
Zum Dank fr solch warme Frsprache dann ein Nein! aus Sassenholz wie eine kalte Dusche?
Und: Wann k man da mal wieder hin: New York, San Francisco, Boston, Denver - Wo lag eigentlich Denver?
Ganze Kompanien deutscher Schriftsteller waren bereits drben gewesen, Niels Ptting, Hinze aus Mlln, Kargus aus St. Peter - sogar Ellen Butt-Prmse, eine Verfasserin von Pferde-Lyrik, und Udo Scharrenhejm, dessen Mutter aus Spanien stammte und dessen Vater Isler war. Leute, die man besser he zu Hause lassen sollen, statt sie als Botschafter des Landes nach drben zu schicken, wo sie dann mit narrativem Kitsch aufwarteten und in politischer Hinsicht sonst was erzten; aller Welt auf die Nerven gingen, also - irgendwie peinlich.
Deutsche Wochen, da hatte man doch als ein deutscher Romancier eine Verantwortung zu tragen.
Sliche Dichter mlichen und weiblichen Geschlechts, die vom deutsch-amerikanischen Institut hinbergeschickt wurden, hatten danach ein Buch ber ihre Reise verffentlicht, die Klippen des Pazifischen Ozeans erwt und die Highways hinauf-hinunter, die gelben Taxis von New York und das Elend ethnischer Minderheiten. Auch das bte sich an, die Sache fr eine abrundende Publikation auszunutzen. Warum nicht?
Die Menschen da drben freuen sich auf Sie, stand in dem Brief des Instituts, womit die Null-Komma-null-null-null-Prozent der amerikanischen Bevlkerung gemeint sein mochten, die berhaupt eine Ahnung davon hatten, daes in Europa auch Schriftsteller gab. Oder einzelne Emigranten und Auswanderer, die ihre alte Heimat ganz anders in Erinnerung hatten, als sie in den neuesten Publikationen aus Frankfurt und Mnchen dargestellt wurde.
Die Beleidigungsklage - weshalb hatte er sich auch hinrein lassen, den sensiblen Brockes-Preistrr Fritz-Harry Mergenthaler einen Dnnbrettbohrer zu nennen? Den Gedanken daran wrde er mitnehmen mssen hinber, der war nicht abzuschtteln.
Auch das wehe Gefhl in der Brust, das ihm manches Mal zu schaffen machte, und die gelegentlichen Schwindelanfe wrden ihn begleiten, Anwandlungen, die ihn sogar zwangen, sich an einer Wand festzuhalten?
Vielleicht doch lieber nicht aufbrechen zu fernen Gestaden, das endlose Fliegen, Fahren, Sitzen, Warten Aurdem: ein Romanmanuskript auf dem Schreibtisch, fr das schon Vorschsse kassiert worden waren. Karneval ber Lethe, der Roman, der wehmtige Abgesang an sein Publikum: Der Wagen rollt aus und kommt rttelnd zum Stillstand. Es kam nicht recht vom Fleck, das Monstrum Vielleicht wrde eine lere Pause das so beraus empfindliche Gebilde fr immer zerstren.
Aber vielleicht wrde die Pause der Arbeit ja auch zugute kommen. Abstand gewinnen, und nach der Rckkehr mit frischer Kraft und neuen Ideen das Werk vollenden, das leider schon angekndigt worden war in einer literarischen Wochenzeitung, obwohl doch erst ein paar Seiten vorlagen: Nun konnte man nicht mehr zurck. …
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