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In urbanen Ballungsräumen treffen Bevölkerungsgruppen, Szenen und Milieus mit unterschiedlichen Praktiken und Wertvorstellungen aufeinander. Lokale Verhältnisse und Sicherheitslagen werden unübersichtlicher. Hier sieht sich die Polizei gefordert, mit Wissens-, Vertrauens- und Beziehungsarbeit Abhilfe zu schaffen. Neben ihrem Kerngeschäft, der Verfolgung von Straftaten und der Gefahrenabwehr, etabliert sie die Präventionsarbeit. Unterschiedliche Formen dieser spezifischen polizeilichen Arbeit werden in dem Band durch ethnografische Praxisforschung vorgestellt.
»Der Band zeigt einen sehr interessanten und vielschichtigen Einblick in die präventiven Arbeitsstrategien der Polizeiarbeit im großstädtischen Kontext und sei allen anempfohlen, die ein Interesse an der Schnittstelle zwischen Polizei und Stadtgesellschaft haben.« Jens Wurtzbacher, socialnet.de, 06.11.2017
Autorentext
Thomas Scheffer ist Professor für Soziologie an der Universität Frankfurt am Main. Christiane Howe, Eva Kiefer, Dörte Negnal und Yannik Porsché sind dort wiss. Mitarbeiterinnen.
Klappentext
In urbanen Ballungsräumen treffen Bevölkerungsgruppen, Szenen und Milieus mit unterschiedlichen Praktiken und Wertvorstellungen aufeinander. Lokale Verhältnisse und Sicherheitslagen werden unübersichtlicher. Hier sieht sich die Polizei gefordert, mit Wissens-, Vertrauens- und Beziehungsarbeit Abhilfe zu schaffen. Neben ihrem Kerngeschäft, der Verfolgung von Straftaten und der Gefahrenabwehr, etabliert sie die Präventionsarbeit. Unterschiedliche Formen dieser spezifischen polizeilichen Arbeit werden in dem Band durch ethnografische Praxisforschung vorgestellt.
Leseprobe
Einführung
Thomas Scheffer
Was macht die großstädtische Polizei, wenn sie Kriminalprävention betreibt? Nun, zunächst sehr viel, was so gar nicht nach Polizeiarbeit aussieht: Tee trinken, Quatschen, Schlendern, Theater spielen, Flugblätter verteilen, Fahrräder kodieren etc. Das vorliegende Buch versucht, die verwirrend vielfältigen ethnografischen Erfahrungen einer vierköpfigen Forschungsgruppe zu ordnen. Nicht entlang vorgefasster Definitionen oder entlang von Evaluationsschemata, sondern entlang der Arbeitsformen, die bei genauerer Analyse zutage treten. Genauer heißt: wir fragen jeweils, woran hier mit wem, wie und womit gearbeitet wird und in welchem Stand sich die bearbeitete Sache jeweils befindet. Derart sortieren wir die Unmengen der erhobenen Arbeitsepisoden, gruppieren und reihen sie, um die praktischen Orientierungen der Beforschten nachzuvollziehen. Diese Nachvollzüge bieten die Grundlage für unser Verständnis von Prävention: nicht die Projektschriften, Selbstauskünfte oder Regularien.
Prävention als vielgestaltige kommunitaristische Praxis
Unsere Analysen zeigen zunächst, dass polizeiliche Prävention sehr Unterschiedliches bezeichnet. Mal geht es um Kontakte ins Milieu, mal um ein Jugend-Projekt, mal um Anti-Gewalt-Schulungsreihen. Die Unterschiede betreffen Gestalt oder Form der präventiven Arbeiten: das Zusammenspiel aus Angelegenheit, Handlungsfeld, Bündnis und eingebrachten Ressourcen und Techniken. Unsere Analysen zeigen aber auch: die präventive Arbeit ist jenseits dieser unterschiedlichen Ausformungen gleich gerichtet. Dies erlaubt uns eine praktische Bestimmung urbaner, polizeilicher Prävention. Die Präventionsbeamt*innen arbeiten mit Anderen an geteilten Angelegenheiten im sozialen Bündnis. Durchgängig müht sich kriminalpräventive Prävention um eine Reduktion soziokultureller Distanz.
Angesichts von Vielgestaltigkeit und Gleichgerichtetheit der Kriminalprävention generieren unsere Praxisstudien eine Hypothese: die polizeiliche Prävention speist sich vor allem aus einer Bündnisorientierung; sie vollzieht sich entsprechend als eine Art angewandter Kommunitarismus. Präventionsbeamt*innen sind demnach in ihrer alltäglichen Arbeit vor Ort geneigt, sich - neben allerlei formalen und rechtlichen Verpflichtungen als Organisationsmitglieder bzw. dem Staat Dienende - als Kommunitaristen zu betätigen. Hiermit ist gemeint: eine Art und Weise der tatkräftigen Durchdringung des urbanen oder kommunalen Raums als Feld gemeinschaftlicher Problembearbeitung, das gängige Partikularinteressen, etablierte Arbeitsteilungen und formale Funktionsbestimmungen zurückdrängt. (vgl. Schnur 2003). Eine kollektive Problembearbeitung also, die zwischen und jenseits von Staat, Markt und Privatheit operiert. Dies impliziert, im Sinne des Kommunitarismus, dass den Präventionsbeamt*innen weder universelle Werte (alle Individuen müssen/sollen/können) noch ein Werterelativismus oder gar eine formalistische Indifferenz taugliche Orientierung bieten. Weder ein Verurteilen noch ein Hinnehmen genügt, um in den urbanen Gemengelagen Kapazitäten der Problembearbeitung zu schöpfen. Als Bündnispartner sind sie in ihrer jeweiligen Kapazität aufgerufen, sich gemeinsam dem ausgemachten public problem (Dewey 2012 [1946]) zu widmen.
Der angewandte Kommunitarismus präferiert lokale Aushandlungen, gemeinschaftliches Engagement und Sachorientierung. Er impliziert ein Maß an Entdifferenzierung zugunsten geteilter Probleme. Neben der etablierten Zuständigkeitsverteilung gewinnen Kontakte, Beziehungsnetzwerke und schließlich Bündnisse an Gewicht. Es erwachsen Arenen der Kollaboration, die sich nicht unter die Logiken der Interessenverfolgung, der Profitorientierung oder des Gewaltmonopols subsumieren lassen. Die Mobilisierung lokaler, sachbezogener Engagements schöpft - ganz im Sinne der kommunitaristischen Sozialtheorie - "soziales Kapital" (Putnam 1993, 1995) als Ressource der gemeinsamen Problembearbeitungskapazität. Damit unterstellen wir nicht schon allseitige Problemlösungen, die Überwindung von Machtungleichheiten oder die Abkehr von staatlicher Herrschaft. Wir entdecken gleichwohl eine Stärkung lokaler "Verständigungsverhältnisse" (McCarthy 1989), insofern sich die Bündnispartner*innen im Zuge ihrer Arbeitsprozesse und Kooperationen wechselseitig aufwerten und Vertrauen schenken (vgl. Bude et al. 2010). Die Beteiligten sind es, die sich dabei an geteilten Werten orientieren: Gemeinsinn, Solidarität, Verantwortlichkeit, Problembewusstsein. So befördert präventive Polizeiarbeit alternative Ordnungskonzepte im urbanen Raum.
Die so gestifteten Ordnungen lösen sich von den Logiken des Marktes oder des Staates. Beobachtbar wird dies in den wechselseitigen Anrufungen im Bündnis: hier verlangt die Sache nach gemeinsamen Engagement; hier sind Bündnispartner*innen in ihrer je eigenen Kapazität gefragt; hier überschreiten Bemühungen die etablierte Arbeitsteilung. Die Beteiligten fungieren nicht mehr primär als Gegenspieler*innen, Konsument*innen, Untergebene oder Klient*innen. Sie definieren sich in mehrseitigen Beziehungen im Rahmen von Bündnissen, die sich um Angelegenheiten scharen. Jenseits von Universalismus und partikularem Interesse sind es diese Bündnisse, die lokale Werte schaffen, an die sich wiederum die Bündnispartner*innen binden: in Abmachungen, im Sachbezug, im rituellen Austausch. Diese Haltung ist dem community policing verwandt, das nicht umsonst mit der Prävention eng verbunden wird (Dölling et al. 1993). Sie ist allerdings in einem wesentlichen Punkt von diesem zu unterscheiden: Der polizeiliche Kommunitarismus setzt keine Gemeinschaften voraus (Palmiotto 2000). Hier wird nicht die Polizei von der Gemeinde beauftragt. Die Präventionsbeamt*innen beziehen sich hier nicht auf eine festgefügte, etablierte Community, wie sie vielleicht in ländlichen Regionen oder Kleinstädten manifest werden. Vielmehr beteiligen sie sich an der Schaffung derselben. Die Polizei ist dann selbst Teil einer Vergemeinschaftung, die sich gerade im urbanen Raum aus verschiedensten Gruppierungen, Institutionen und Milieus speist.
Der polizeiliche Kommunitarismus präferiert die Vermittlung, Involvierung und Mobilisierung lokaler Kräfte gegenüber der technischen und for…