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Jiddische Gedichte als Brücken in eine vergangene Welt
Ihre Gedichte sind Brücken aus Papier: Brücken zwischen Osteuropa und Amerika, Brücken in die Zeit vor der Shoah, Brücken aus der Tradition in die Moderne. Die vier Dichterinnen, deren Werke in diesem Band präsentiert sind, wurden Ende des 19. Jahrhunderts geboren. Sie wuchsen auf in der reichen Kultur des jiddischen Osteuropa und erlebten die turbulenten Jahrzehnte der Emanzipation als Frauen und als Jüdinnen. Sie wanderten aus in die Neue Welt und wurden durch die Shoah ihrer europäischen Wurzeln beraubt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten hatten sie eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Welt und fassten ihre Erfahrungen in Gedichte, die einen lyrischen Dialog ergeben, einen Austausch zwischen vier Frauen mit ähnlichem Hintergrund, aber sehr eigenen Persönlichkeiten. Ein faszinierender Blick in eine vergangene Welt, die in den Gedichten zu neuem Leben erwacht. Anna Margolin (18871952), Kadja Molodowsky (18941975), Malka Heifetz Tussman (18961987) und Rochl Korn (18981982) gelten im englischsprachigen Raum als die wichtigsten Vertreterinnen jiddischer Lyrik. Übersetzt und herausgegeben von Peter Comans, der bereits als Übersetzer Abraham Sutzkevers hervorgetreten ist, präsentiert der Band erstmals eine Auswahl ihrer Gedichte in deutscher Sprache.
"Splitter von Licht und Nacht ist eine Hommage an die Dichterinnen und ihre vernichtende Welt.", Jüdische Allgemeine, 04.10.2013
Autorentext
Anna Margolin (18871952), Kadja Molodowsky (18941975), Malka Heifetz Tussman (18961987) und Rochl Korn (18981982) gelten im englischsprachigen Raum als die wichtigsten Vertreterinnen jiddischer Lyrik. Übersetzt und herausgegeben von Peter Comans, der bereits als Übersetzer Abraham Sutzkevers hervorgetreten ist, präsentiert der Band erstmals eine Auswahl ihrer Gedichte in deutscher Sprache.
Leseprobe
Fun jener zajt lid (Tel-Aviv, 1962) Fun jener zajt lid Fun jener zajt lid iz a sod faran un in sod a hojz mit a shtrojenem dach es shtejen draj sosnes un shwajgn zich ojs, draj shomrim af shtendiker wach. Fun jener zajt lid iz a fojgl faran, a fojgl brojn-gel mit a rojtlecher brust, er kumt dort tsu flien jedn winter afsnaj un hengt, wi a knosp af dem naketn kust. Fun jener zajt lid iz a stezhke faran, azoj shmol un sharf, wi der din-dinster shnit, un emets, wos hot zich farblondzhet in tsajt, gejt dort um mit shtile un borwese trit. Fun jener zajt lid kenen wunder geshen noch hajnt, in a tog, wos iz chmarne un gro, wen er dejfekt arajn in dem gloz fun der shojb di tsefiberte benkshaft fun a wundiker sho. Fun jener zajt lid ken majn mame arojs, un shtejn af der shwel a wajle fartracht un mich rufn ahejm, wi a mol, wi a mol: Genug zich geshpilt shojn, du zest nisht? S'iz nacht. Jenseits des Gedichts (Tel Aviv, 1962) Jenseits des Gedichtes Jenseits des Gedichts ist ein Obsthain ganz nah und im Obsthain ein Haus, das ist strohüberdacht, und es stehen drei Kiefern und schweigen sich aus wie drei Wächter auf ständiger Wacht. Jenseits des Gedichts ist ein Vogel ganz nah, ein Vogel braungelb und mit rötlichem Bauch, und er kommt jeden Winter aufs Neue geflogen, eine Knospe, so hängt er im blattlosen Strauch. Jenseits des Gedichts ist ein Saumpfad ganz nah, er ist schmal, zieht sich fein wie der dünn-dünnste Schnitt. Jemand geht dort, verirrt und verloren in Zeit, wandelt barfuß vorüber mit lautlosem Tritt. Jenseits des Gedichts können Wunder geschehn, selbst im Grau dieses Tages, ganz wolkenverhangen, wenn er wieder und wieder aufs Fensterglas haucht einer schmerzlichen Stunde entflammtes Verlangen. Jenseits des Gedichts steht vielleicht meine Mutter auf der Schwelle noch lang, hat an etwas gedacht, und sie ruft mich nach Hause, wie einst, so wie einst: »Hast genug jetzt gespielt. Siehst du nicht? Es ist Nacht.« Ch'hob hajnt bajnacht Ch'hob hajnt bajnacht gefilt a lid af majne lipn es iz gewezn wi a pejre zaftik-zis un harb, nor es iz ojsgerunen in majn blut bajm togs bagin, un s'gejen mir blojz noch zajn rejech un zajn farb. Zajn shtiln tsiter her ich alts in shtamlenish fun zachn, wos hobn durch dem lid gezolt nisgale wern; zej shtejen itst farlozte, mit farmachte hertser, un s'ken zej mer nisht efenen kejn betn un bashwern. S'wejnt mit farfritn tojt in mir ajeder ejwer, un s'iz majn kop gebojgn owldik tsu dr'erd; es hot mich Got gerufn banajen dem berejshes, un ich ich hob zajn shtim farfelt un nisht derhert. Farwjanet iz der tog shojn in zajn frister sho, un in majn hant akoredik welkt s'wajse blat papir s'hot mit a chmare Got farshtelt far mir zajn ponem, un wi a fremde shtej ich itst baj majn farshemter tir. Heute Nacht Ich spürte heute Nacht auf meinen Lippen ein Gedicht, es war wie eine Frucht, so eine saftig-süße und doch herbe, jedoch zerrann es mir im Blut, kaum dass der Tag begann, und seither gehen mir noch nach sein Duft und seine Farbe. Ich hör sein Zittern immerzu in Dingen, die nur stammeln, die ihre Offenbarung im Gedicht gefunden hätten. Jetzt stehen sie verlassen, zugesperrt die Herzen, und öffnen kann sie nichts, kein Bitten und kein Betteln. Es weint um diesen frühen Tod in allen meinen Gliedern, ich beug mein Haupt zur Erde, von der Trauer Last beschwert. Mich hatte Gott berufen, seine Schöpfung zu erneuern, und ich, ich habe seinen Ruf versäumt und nicht gehört. Der Tag ist fahl geworden schon in seiner frühsten Stunde, und unfruchtbar verwelkt in meiner Hand das weiße Blatt Papier. Gott hält vor mir sein Angesicht verborgen hinter einer Wolke, und ich steh da wie eine Fremde, eine Schmach für meine Tür. Pejsechdike nacht Ch'ken nisht ufshtejn fun bet un efenen far dir di tir. Majne kuljes ongeshpart on der want, wi gezotlte ferd, wartn, az emetsens hant zol tsufirn zej tsu mir. Ch'bin fremd geworn der erd, un der himl iz mir tsugetejlt azoj karg, ot, wifl es nemt blojz arum di ejntsike shojb in der want. Ch'ken nor zen, wi lewone rajst wolkns af shtiker un bet ojs di wegn far dir. Eljohu hanowi nisht ongefilt dem kos un nisht dem tish gegrejt, nor sajwi darfstu kumen hajnt tsu mir in der nachtiker sho, wajl wer ojb nisht du? Un afile ojch dan, wen s'hobn mentshn dich blojz ojsgetracht, un dich geshikt af wander-wegn wajte az du zolst zej farbajtn dem trojer fun nacht af a kos mit tsefinkltn wajn muzstu kumen tsu mir, ot bald, un barirn mit dajn ojsgeshtrekter hant di kuljes, wos shtejen ongeshpart on der want, un chalojmes ojs zejer ejgene kindhejt in a zumerdik-tsegrintn wajtn wald. Die Nacht vor Pejsech Ich kann nicht aufstehen aus meinem Bett, um dir zu öffnen die Tür. Meine Krücken, gelehnt an die Wand, warten wie gesattelte Pferde, dass jemandes Hand sie herführt zu mir. Ich bin entfremdet der Erde, ist mir so wenig nur zugeteilt, wie gerade mal passt in das einzige Fenster dort in der Wand. Ich kann nur den Mond sehen, wie er die Wolken zerreißt und die Wege bereitet für dich. Prophet Eljohu, nicht gefüllt ist der Becher und der Tisch nicht bereitet, doch trotzdem, heute sollst du zu mir kommen, zu nächtlicher Stunde, denn wer sonst als du? Und sogar für den Fall, dass dich die Menschen bloß ausgedacht und geschickt haben weit auf die Wanderschaft, damit du eintauschst für sie die Trauer der Nacht gegen den Becher mit funkelndem Wein musst du zu mir kommen, und bald, und berühren mit deiner ausgestreckten Hand die Krücken, die stehen gelehnt an die Wand, und sich fortträumen in ihre eigene Kindheit in einem sommergrünen, fernen Wald. Alts wos iz ejnzam Alts, wos iz ejnzam, hot di farb fun majn trojer, un alts, wos farshemt iz un mid, shtejt in a krojn fun farloshene shtern baj dem ershtn wort fun majn lid. Farworlozte betler, farshtojsene printsn, fargesener shmejchl, farshpetikt gewejn wer wet zich nojgn far ajch un farbetn ajch ale, wen ich wel nisht zajn? Alles was einsam ist Eine Farbe hat alles, was einsam ist, die meiner Trauer, und was je an Scham oder Müdheit zerbricht, steht da, gekrönt mit erloschenen Sternen, erklingt nur ein Wort erst von meinem Gedich…
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