Gegen unseren Briefträger konnte man nichts machen

Ob er vom Elend der Fußballprofis spricht oder von einer merkwürdigen Reise mit der Eisenbahn durch Ägypten, ob er über das Leben in New York plaudert oder von einem alten Briefträger berichtet, der seine Briefe wie eine persönliche Gunst austrug: Peter Bichsel erzählt seine Geschichten aus dem Alltag ohne große Moral, aber mit einer kleinen, meist gut versteckten Lehre. Er will nichts erklären, keinen Sachverhalt bis ins letzte Detail ausleuchten, nein, ihm geht es nur ums Erzählen.
In seinen Kolumnen entstanden zwischen 1990 und 1994 , die hier versammelt sind, berichtet Bichsel nicht vom raschen Hin und Her des Zeitgeistes, sondern von Menschen, die ihm begegnen und deshalb wichtig und ernst genommen werden müssen. Der Leser fühlt sich an die Hand genommen, ja, es kann der Eindruck entstehen, diese Sätze seien einzig für ihn geschrieben.

Autorentext
Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern geboren und wuchs als Sohn eines Handwerkers ab 1941 in Olten auf. Am Lehrerseminar in Solothurn ließ er sich zum Primarlehrer ausbilden. 1956 heiratete er die Schauspielerin Therese Spörri ( 2005). Er ist Vater einer Tochter und eines Sohnes. Bis 1968 (und ein letztes Mal 1973) arbeitete er als Primarlehrer. 1964 wurde er mit seinen Kurzgeschichten in Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen auf einen Schlag bekannt; die Gruppe 47 nahm ihn begeistert auf und verlieh ihm 1965 ihren Literaturpreis. Zwischen 1974 und 1981 war er als persönlicher Berater für Bundesrat Willi Ritschard tätig, mit dem er befreundet war. Mit dem Schriftsteller Max Frisch war er bis zu dessen Tod 1991 eng befreundet. Er ist seit 1985 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Bichsel lebt in Bellach bei Solothurn.

Leseprobe

Organisation ist alles Ich habe nicht die Absicht, umzuziehen. Ich werde wohl, wenn alles gut geht, da bleiben, wo ich bin. Trotzdem quält mich der Gedanke, umziehen zu müssen. Und ich mache - ohne umziehen zu wollen - dauernd in meinem Kopf Planspiele, wie das vor sich zu gehen hätte, und ich stelle fest, es wäre einfach unmöglich - all dieses Gerümpel, all diese Umstände, all diese Schwierigkeiten. In Wirklichkeit - das weiß ich - wäre es einfach: Andere konnten und können das auch und es gibt für alle organisatorischen Schwierigkeiten Organisationen, die es gegen Bezahlung tun. Hinterher würde es einfach gewesen sein. So einfach - so beleidigend einfach -, wie es war, die Eltern zu beerdigen. Ich wünschte mir immer, vor ihnen zu sterben, damit mir diese riesigen Umstände des Organisierens erspart blieben. Und dann waren es beleidigend kleine Umstände, weil alles so organisiert ist, daß alle es können - und wenn es bis jetzt alle gekonnt hatten, dann konnte ich es wohl auch. <