

Beschreibung
Hans Sahl hat Zeit seines Lebens Gedichte geschrieben. Sie haben seinen Ruf begründet, einer der bedeutenden Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zu sein. Diese Gedichte werden hier zum ersten Mal vollständig publiziert. Damit liegt das poetische Überlebensgepä...Hans Sahl hat Zeit seines Lebens Gedichte geschrieben. Sie haben seinen Ruf begründet, einer der bedeutenden Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zu sein. Diese Gedichte werden hier zum ersten Mal vollständig publiziert. Damit liegt das poetische Überlebensgepäck und Vermächtnis dieses großen Schriftstellers zum ersten Mal in seinem ganzen Umfang vor. 1923, im Alter von 21 Jahren, veröffentlichte Hans Sahl sein erstes Gedicht in der damals hoch angesehenen »Weltbühne«. 1941, in ungleich finstereren Zeiten, erschien in einem New Yorker Verlag ein Gedichtband von ihm: »Die hellen Nächte« wiederum eine kleine Sensation! Ein Emigrant konnte in der Fremde einen Band mit Poesie veröffentlichen, und das sogar auf Deutsch! Das Schreiben von Gedichten begleitete Hans Sahl durch sein langes Leben. Die Schrecken des 20. Jahrhunderts finden in diesen Versen ihren Widerhall, aber Hans Sahl hat das Schreiben von Gedichten auch als Anker in einem unsteten Leben verstanden, und zu Recht begründen sie seinen literarischen Ruf. Zu Hans Sahls Lebzeiten sind zuletzt zwei von ihm selber zusammengestellte Bände mit Gedichten erschienen: »Wir sind die Letzten« und »Der Maulwurf«. Neben diesen Gedichten wird seine verstreut veröffentlichte Lyrik in diesem Band erstmals neu publiziert sowie bisher noch unveröffentlichte Gedichte aus seinem Nachlass. Weit über 80 Jahre nach dem Debüt dieses Autors wird damit endlich eines der bedeutendsten lyrischen Werke des 20. Jahrhunderts als Ganzes zugänglich gemacht.
"Eines der schönsten und lebendigsten, boshaftesten und liebevollsten Erinnerungsbücher über deutsche Schriftsteller im Exil."
Autorentext
Hans Sahl wurde 1902 als Sohn eines jüdischen Industriellen in Dresden geboren, schrieb ab Mitte der 1920er Jahre Filmkritiken in berühmten Blättern und begann in dieser Zeit auch seine ersten Erzählungen zu verfassen. 1933 musste er fliehen erst nach Frankreich, dann in die USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Kulturkorrespondent erst der Zürcher Zeitung, dann der Süddeutschen Zeitung in New York. Er übersetzte Thornton Wilder, Tennessee Williams und Arthur Miller. Seit 1989 lebte der Autor in Tübingen, wo er 1993 starb. Bei Luchterhand sind zuletzt die ersten drei Bände seiner Werkausgabe (Memoiren eines Moralisten/ Das Exil im Exil, Die Gedichte und der Roman Die Wenigen und die Vielen) erschienen.
Leseprobe
Wir sind die Letzten
1933-1975
Die wir ferner als die ungezten Sterne
unsere Kreise zogen auf entlegenen Planetenbahnen -
O danicht ungehrt
uns das Wort, das wir liebten, entgleite.
Vielleicht zeugt irgendwo
auf unzuglichem Gele
noch ein Fubdruck, eine Narbe im Gras
von den Spuren derer, die hier gingen
und eure Lieder sangen.
Die Letzten
Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zustig.
Wir tragen den Zettelkasten
mit den Steckbriefen unserer Freunde
wie einen Bauchladen vor uns her.
Forschungsinstitute bewerben sich
um Wherechnungen Verschollener,
Museen bewahren die Stichworte unserer Agonie
wie Reliquien unter Glas auf.
Wir, die wir unsre Zeit vertrdelten,
aus begreiflichen Grnden,
sind zu Trdlern des Unbegreiflichen geworden. Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz. Unser bester Kunde ist das schlechte Gewissen der Nachwelt. Greift zu, bedient euch. Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Wir sind zustig.
1973
Memo
Ein Mann, den manche fr weise hielten, erkle, nach Auschwitz w kein Gedicht mehr mglich. Der weise Mann scheint keine hohe Meinung von Gedichten gehabt zu haben - als wn es Seelentrster fr empfindsame Buchhalter oder bemalte Butzenscheiben, durch die man die Welt sieht. Wir glauben, daGedichte berhaupt erst jetzt wieder mglich geworden sind, insofern nich als nur im Gedicht sich sagen l, was sonst
jeder Beschreibung spottet.
Erinnerung an Berlin
Da war es Sommer, und die Stadt war mein
und bot sich an mit heftiger Gebe.
Wild flatterte mein Haar von Autobusverdecken,
auf denen rauchend man die Zweige streifte,
mit trichten Gedanken spielend. Weltverbesserungspln -
vom Zoo her wehte Raubtierluft. Die ersten
Wadenstrmpfe. Das erste Barthaar, und in
Hauseingen die ersten Pollutionen. Gterzge
wie nasse Elephantenrcken. Im Romanischen
die ersten Dichter. Worte schmeckend wie
Wrfelzucker. Die ersten Toten und an
LitfaSen die ersten Ahnungen vom
Untergang: Raubtiermen, die brennend
zwischen Hern niedergingen, geflgelte
Hyn, Krokodile mit Hoheitszeichen,
Stacheldrahtchimn -
Da war kein Sommer mehr, nur Knochenreste von Jahreszeiten, nur ein Abschiednehmen von ausgeleerten Glrn, Zuschlagen von Tren und eine Blume aus Eis, geschenkt von einem blinden D-Zug-Fenster.
1965
Ballade
So kamen wir von den Pen herunter in unsern erdfarbenen Meln. Hier und dort fehlte ein Mann, aber es kmmerte uns nicht, und wir an von den Rationen und hrten nicht auf das Weinen der Frauen. Die Sonne stand schon ziemlich niedrig. Manchmal fing einer an, von besseren Tagen zu sprechen, dann schlugen wir ihn auf den Kopf, bis er stille wurde. Das Essen mundete uns noch immer, aber es hatte einen Beigeschmack von Armut und Gewhnung, und nichts wunderte uns mehr, nicht einmal unser eigner Zustand, der in der Tat ungewhnlich war. Als sie endlich zum Sammeln bliesen, standen nur wenige auf, um dem Ruf zu folgen, die meisten blieben im Grase liegen und taten, als ob sie tot wn. Oder waren sie es schon?
1948
An eine Schulklasse
Den Schlern von Butzbach gewidmet
Ihr, die Ihr geboren seid, um zu vergessen,
was wi Ihr von den Tollheiten der Menschen? Die Wiese, auf die Ihr Euch legt, verrEuch nicht, wieviele von uns dort umkamen,
die Hand, die Ihr schttelt, daes eine Mrderhand sein knnte, die Euren Grunicht verdient.
Unser Dasein ist fr Euch bereits Legende geworden,
unser Leid ein Gercht von gestern.
Aber in den Liedern der Vertriebenen
und im Rascheln des Windes,
der ein verbranntes Buch aufblert,
erzen wir Euch, was geschah,
als der Hahn zum drittenmal kre.
Der Kopfpreis
Sie haben einen Preis ausgesetzt auf meinen Kopf, damit ich werde wie sie -kopflos:
die Zeit nicht mehr verstehe,
meine Kinder prgle,
mich in Behandlung begeben mu
Sie haben einen Preis ausgesetzt auf meinen Kopf, damit ich jasage, ohne zu nicken, brlle, ohne den Mund zu bewegen, nicht mein letztes Hemd hergebe fr die Armen, weil das unpraktisch ist und von Mangel an Lebenserfahrung zeugt.
Sie haben einen Preis ausgesetzt
auf meinen Kopf,
damit ich aufhre, ihn
in Sachen zu stecken, die mich
nichts angehen, und abwarte,
bis man sich hheren Ortes
dorthin fa, wo frher
ein Kopf war, und mir den meinen
mit dem Ausdruck des Bedauerns
zurckschickt.
Aufreibend ist es ...
Aufreibend ist es und beschwerlich, sich zu verweigern dem Herkmmlichen, Entscheidungen zu durchschauen, die nur Nuancen sind derselben Ratlosigkeit.
O die Wahrheit zu wissen, bevor sie allgemein wird,
ertragen die lange Schweigepflicht, bis alle aussprechen, was dir zu sagen so schwer fiel,
bis die Wahrheit in aller Munde ist und dadurch
schon wieder fragwrdig geworden ist und beinahe falsch.
