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Die Frage nach den Grenzen von Autonomie zielt nicht auf die Problematisierung des Rechts auf Freiheit, das zu den elementaren menschlichen Grundrechten gehört. Vielmehr geht es in diesem Band um die Bedingungen der Realisierung von Autonomie, den Kontext ihrer Umsetzung. Der Fokus liegt hierbei vor allem auf jenen unvermeidlich gesetzten Bedingungen, die sich einerseits aus der Körpergebundenheit des Menschen ergeben sowie andererseits aus dem sozialen Kontext allen Handelns. Es geht also nicht darum, unumstößliche Grenzen der Reichweite von Autonomie ausfindig zu machen, sondern ihre Voraussetzungen und Möglichkeitsbedingungen zu klären, insbesondere für die Situation von Behinderten. Die in diesem Band vorgelegten Untersuchungen eröffnen Perspektiven zur Revision gängiger Lehrbuchversionen des Begriffs Autonomie und leisten damit einen Beitrag zur Verteidigung von Autonomie und dem Recht auf Freiheit auch angesichts ihrer realen Grenzen.
Das Thema Autonomie ist in jüngster Zeit wieder aktuell geworden, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Frage nach moralischen Rechten von Menschen mit Behinderung. Die Frage nach den Grenzen von Auto-nomie zielt nicht auf die Problematisierung des Rechts auf Freiheit, das zu den elementaren Grundrechten gehört, sondern will die Bedingungen der Realisierung von Autonomie genauer in den Blick nehmen. Es geht also nicht darum, Grenzen der Reichweite von Autonomie ausfindig zu machen, sondern ihre Voraussetzungen und Möglichkeitsbedingungen zu klären. Konkreten Anlass dazu hat in den letzten Jahren die Debatte um den Neurodeterminismus gegeben. Kants Versuch, mit seiner Idee 'intelligibler Freiheit' einen metaphysisch 'freien Willen' zu retten, ist gescheitert. Darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Aber wie weit reichen die Argumente des Neurodeterminismus, um Kant zu widerlegen? Eher legen sie einen Kompromiss nahe. Menschliches Verhalten ist weitgehend deter-miniert und dennoch von bewussten Entscheidungen geleitet. Wir sind ein Stück weit frei, autonom, aber innerhalb bestimmter Grenzen. Einem ähnlichen Kompromiss nähern sich auch die Debatten um Autonomie und Gemeinschaft in der Frage nach der sozialen Bedingtheit menschlichen Handelns. Die Komplexität moderner Gesellschaft hat den Spielraum des Einzelnen nicht eingeschränkt, sondern erweitert, fordert vom Individuum dadurch aber auch ein aktiveres Orientierungsverhalten. Ein weiteres Thema, das Fragen nach der Autonomie indirekt betrifft, sind die autonomietheoretischen Impli-kationen des Egalitarismus. Sie legen nahe, an die Stelle eines reinen 'Zufallsegalitarismus' das Konzept eines erweiterten Egalitarismus zu setzen, ein Verständnis von Gleichheit, das den Wert von Autonomie respektiert und die Forderung nach sozialer Freiheit mit der Forderung nach gleichen Rechten in Einklang bringt. Gegenüber naturalistischen und deterministischen Argumenten ist schließlich zu bedenken, dass selbst innerhalb der Physik ein strikter Determinismus nicht vertretbar ist. Das zeigt das Beispiel der Thermodynamik. Die irreversiblen Prozesse, von denen hier die Rede ist, lassen sich nicht deterministisch herleiten. Und für die Identifikation eines mentalen Ereignisses mit einem physikalischen ist kein Naturgesetz verfügbar. Manche der Behauptungen des Neurodeterminismus lassen sich vom Standpunkt der Physik aus nicht begründen. So bleibt ein Spielraum für Freiheit und ein theoretischer Spielraum für die anthropologische Deutung menschlichen Tuns. Intentionalität, Sprache und Bewusstsein können nicht naturalistisch wegerklärt werden, ohne Selbstwidersprüche zu erzeugen. Die Verteidigung von Autonomie erfordert eine Revision des Naturbegriffs, mit einem kritischen Blick auf die naturalistischen Ethiken, zu denen insbesondere auch der Utilitarismus und die moderne Bioethik gehören. Ihnen fehlt ein Bezug zum Thema der Leiblichkeit, das Natur und Leiblichkeit als Praxis und Sinnhorizont ins Bild bringt und eine Alternative zu einem Konzept von Natur als Objekt eröffnet. Leiblichkeit reduziert Natursein nicht auf die Materialität des Körpers, sondern erscheint als die Möglichkeitsbedingung aller menschlichen Praxis und zugleich als ein Feld menschlicher Selbstaneignung und Selbstbestbestimmung. Der Neurodeterminismus ist, wie neuere Entwicklungen der Neuropsychologie und Befunde zur Entwicklung des Selbst in seinem sozialen Umfeld belegen, nicht in der Lage, die Fähigkeit zur Autonomie im Falle geistiger Behinderung aufzuheben. Autonomie ist keine Illusion und entwickelt sich im sozial-kognitiven Austausch mit anderen Menschen. 'Nicht autonom, und doch Person.' Personsein als Voraussetzung für den Anspruch auf moralische Rechte gründet auf der Fähigkeit zu Sozia-lität und Beziehungsfähigkeit, über die auch geistig behinderte Menschen verfügen. Eine Verteidigung moralischer Rechte ist gerade im Fall von Behinderung eine Notwendigkeit. Behinderte erfahren sehr oft die Missachtung ihrer Autonomie, wie aus der Biographie vieler Behinderter ersichtlich ist. In ihrem Fall ist es besonders wichtig, die Ambivalenzen auszuräumen, die die Verwendung des Autonomiebegriffs charakterisieren. Dazu hat auch die Auseinandersetzung mit John Rawls von Seiten feministischer Theoretikerinnen wesentlich beigetragen. Die Frage der Rechte für Behinderte waren Anlass zur Kritik und Revision seiner Konzeption von Gerechtigkeit. In Berufung auf Kant entwickeln Theoretikerinnen ein Konzept assistierter Freiheit, das für den Lebensalltag von Behinderten von großer Bedeutung ist. Diese Forderung findet eine Konkretisierung am Beispiel von Menschen mit der Alzheimer-Krankheit mit all ihren Schwierigkeiten. Die Spannung zwischen dem Anspruch auf Selbstsorge und dem Befund von Demenz lässt sich nur durch ein relationales Konzept von Autonomie glätten.
Autorentext
Elisabeth List ist Professorin am Institut für Philosophie der Universität Graz. Bei Velbrück Wissenschaft hat sie veröffentlicht: Vom Darstellen zum Herstellen. Eine Kulturgeschichte der Naturwissenschaften (2007); Ethik des Lebendigen (2009).
Harald Stelzer ist Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Graz sowie an der Fachhochschule Joanneum für Wirtschaftsethik. Veröffentlicht hat er u.a.: Karl R. Popper und kritischer Rationalismus interkulturell gelesen (2007).
Inhalt
Inhalt Thomas Zoglbauer: Freiheit zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Eine Einführung zum Konzept der Autonomie Herta Nagl-Docekal: Selbstgesetzgebung und das Glück. Autonomie bei Kant Walter Reese-Schäfer: Autonomie und Gemeinschaft Harald Stelzer: Autonomie und Determiniertheit. Konzeption einer sozial integrierten Autonomie. Christian Hiebaum: Gleiche Freiheit. Zur autonomietheoretischen Pointe egalitären Denkens Brigitte Falkenburg: Naturalistische Behauptungen und menschliche Autonomie Theda Rehbock: Grenzen der Autonomie, die Natur und die Würde des Menschen. Zur Bedeutung und Problematik des Naturbegriffs in der gegenwärtigen Ethik Wolfgang Jantzen: Autonomie nichts anderes als eine Illusion? Elisabeth List: Nicht Autonom und doch Person. 'Geistige Behinderung' als Problem der Moralphilosophie Sigrid Graumann: Autonomie und Gerechtigkeit für behinderte Menschen Ursula Naue: Autonomie, Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit neu denken. Menschen mit Alzheimer-Krankheit und das Konzept der eigenen Verantwortung für die Gesundheit.