

Beschreibung
(...) Dichter sollten in den Untergrund gehen, sie sollten darauf verzichten, dass der Leser ihnen folgt, und damit auch auf Anerkennung und Popularität, d. h. auf alles, was ihre Surrogate leichter als sie, zusammen mit ihnen und durch sie erreichen. (Genauer...(...) Dichter sollten in den Untergrund gehen, sie sollten darauf verzichten, dass der Leser ihnen folgt, und damit auch auf Anerkennung und Popularität, d. h. auf alles, was ihre Surrogate leichter als sie, zusammen mit ihnen und durch sie erreichen. (Genauer wäre es freilich, zu sagen, dass nun keiner mehr irgendetwas erreicht, sondern nur eine x-beliebige Auswahl und funktionale Platzierung, wie das Geschäft eben läuft, vollzogen worden ist. Ein derartiges Bestreben stünde nicht nur den irrationalen Ursprüngen der Kulturordnung, sondern auch generell der Schönheit der Kulturexistenz gegenüber.) In dürftigen Zeiten verringert sich die Zahl der tatsächlichen LeserInnen gleichermaßen wie die Zahl der Dichtenden. Dementsprechend wird auch die Zahl der Leser, die den poetischen Text und sein Surrogat auseinanderhalten können, niedriger (gut möglich, dass es solche Leser noch weniger gibt als Dichter...). Dem Leser soll die Möglichkeit gegeben werden, die Poesie wiederzuerkennen und wiederzubekommen. Dies mag ihm der Dichter dadurch ermöglichen, dass er den Leser verlässt, ihm den Rücken zukehrt (oder er kehrt den Rücken nur dem eigenen Sentiment, Egoismus und Narzissmus zu). Nur auf diesem Weg kann er den wahren Leser aus der Hölle befreien, dem Dichter als Falle zu dienen. Wenn die Zeit reif ist, wird der wahre Leser den Dichter finden und ihn zurückgewinnen, denn er verliert nicht die Poesie, sondern im Gegenteil: er spürt ihren Herzschlag heftiger denn je. ()
Leseprobe
Vorwort des Autors für die deutsche Ausgabe Dieses vorliegende Buch umfasst Texte, die ich zu verschiedenen Zeiten geschrieben habe. Abgesehen davon, dass ihre zeitlich-historischen Kontexte, Motive und Impulse verschieden sind, besitzen sie dennoch ein für diese theoretischen Manifestationen charakterisierendes gemeinsames Zeichen: sie beschäftigen sich mit den grundsätzlichen Problemen der Literatur und in erster Linie der Poesie. Das Gleiche gilt auch für die zwei Interviews und einen Briefverkehr, die ebenfalls Einzug in dieses Buch gefunden haben. Das Buch ist so strukturiert, dass die Texte teils nach thematischen und teils nach Genre-Prinzipien geordnet sind: so kann der sich dafür interessierende Leser hier sowohl jene Texte, die philosophischen und soziologischen Aspekten der Literatur nachforschen, als auch Essays vorfinden, die gänzlich an der Schwelle der philosophischen und literarischen Essayistik entstanden sind. Ein Kapitel des Buches eint Materialien, in denen unmittelbar nur der georgische Kulturkontext thematisiert wird. Dies war meine volle Absicht: Für mich als einen georgischen Schriftsteller ist es in erster Linie wichtig, dass meine werten deutschsprachigen Leser die erste persönlichen Ausstellung in Deutschland von meinen theoretischen Manifestationen, eben in dem Beziehungskontext, den ich zu meiner heimatlichen Kultur pflege, lesen. Genau wie jeder andere Schriftsteller bin auch ich ein organischer Teil meiner Muttersprache, Kultur und Geschichte. Dementsprechend verlässt auch mein Denken, sogar in den literarisch-philosophischen Themen vertieft, die völlig abstrakt sind und abseits stehen, niemals die Sorge um die schmerzhaften Probleme meiner Heimat. Dem erfahrenen Leser, der dieses Buch, besonders aber den Schluss, also das fünfte Kapitel liest, wird nicht entgehen, dass durch meinen intensiven Dialog mit der europäischen Philosophie und Literatur als roten Faden die Frage hindurchzieht, die auch für die zeitgenössische Kunst das A und O darstellt: wie kann man den modernistischen Neuklassizismus überwinden, der nach der klassischen Moderne entstanden ist und bis heute anhält? Wäre das überhaupt möglich? Der geübte Leser wird auch meine bescheidene Antwort sofort erkennen: zurück d. h. gleichzeitig nach vorne zur Romantik! Selbstverständlich ist diese Antwort nicht die beste und schon gar nicht einzigartig, aber zu der gelangte ich nur durch meinen unermüdlichen Fleiß in der Poesie (und nicht durch literarisches Business oder literarischen Sport) und nur durch mein unkommerzielles Privatleben. Deshalb ist sie für mich besonders wertvoll. * An dieser Stelle möchte ich meinen herzlichen Dank an die beiden Übersetzerinnen Frau Dr. Manana Paitschadse und Frau Maja Lisowski aussprechen. Mir ist sehr bewusst, mit welchen Schwierigkeiten ihre Arbeit verbunden war und mit welcher Professionalität sie ihre Aufgaben erfüllt haben. Besonders glücklich macht mich, dass ein langjähriger Freund von mir, Dominik Irtenkauf, M.A. in Deutscher Philologie, Philosophie und Komparatistik, unentgeltlich die schwere Last des Lektorats für dieses Buch übernommen hat. Damit bereicherte er jene deutsch-georgische Metapher, die unsere Freundschaft ausmacht, noch um ein weiteres Mosaikteilchen. Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Freunden: Frau Dr. Steffi Chotiwari-Jünger, Prof. Uli Rothfuss und dem Dichter Traian Pop Traian, die schon seit vielen Jahren ihre Kräfte nicht scheuen, damit das deutschsprachige Publikum mein literarisches Schaffen kennen lernen kann. Zum Schluss danke ich noch dem Georgischen Nationalen Buchzentrum, denn ohne seine finanzielle Hilfe hätte dieses Buch nur sehr schwer den Weg zum deutschen Leser finden können. Dato Barbakadse Tbilissi, den 09.10.2016
Inhalt
Inhalt Vorwort des Autors für die deutsche Ausgabe /5 I Poesie und Politik /11 Die Negierung der Kommunikation und die Ordnung der Wörter /33 Poesie und postgutenbergsche Realität /45 II Die Unmöglichkeit des Wortes /53 Zur Erklärung eines alten Themas mittels eines alten Themas /71 Die entgegenkommenden Gegensätze /84 Die Verteidigung der bösen Nicht-Identität der Poesie gegen die gute Identität der deutlichen Welt des ewigen Alltags /94 III Als Schriftsteller im postsowjetischen Georgien /105 Über die Verantwortung des Dichters in einer präliterarischen Situation /130 Über den Reigen /146 Wem die Stunde schlägt? /166 IV Ein Briefverkehr mit Otar Tschiladse /179 V Aus den theoretischen Aufzeichnungen 1998-2001 /215 Fragmentarische Fragmente 2010-2014 /267 Namensregister /319 Erstveröffentlichungen /323 Übersetzerverzeichnis /325 Autorenhinweis /326 Inhalt /327
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