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Unterhaltsam, augenzwinkernd und anekdotenreich führt der Autor alles Wissenswerte rund um die Gebirge der Welt auf. Am Wegesrand seiner alpinen Route liegen geologische Fakten, erstaunliche Leistungen, spektakuläre Expeditionen, Kulturgeschichtliches und Abseitiges: wandernde Berge, Benimmregeln für Schlafsäle in Alpenhütten, eine kleine Kulturgeschichte des Tiroler Gröstls und das beste Rezept für Gamscarpaccio.
Sebastian Herrmann, geboren 1974, ist Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, Autor und lebt in München. Er hat viele Gipfel erklommen, mit dem Fahrrad mehrfach die Alpen überquert und mit Skiern wie Snowboard zur Erosion ganzer Gebirgszüge beigetragen. Auch alpine Niederlagen sind ihm nicht fremd: Der Karakorum im Norden Pakistans schüttelte ihn ab wie eine steifbeinige Bergziege; das Ettaler Manndl blieb ihm bis heute verwehrt.
Autorentext
Sebastian Herrmann, geboren 1974, ist Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, Autor und lebt in München. Er hat viele Gipfel erklommen, mit dem Fahrrad mehrfach die Alpen überquert und mit Skiern wie Snowboard zur Erosion ganzer Gebirgszüge beigetragen. Auch alpine Niederlagen sind ihm nicht fremd: Der Karakorum im Norden Pakistans schüttelte ihn ab wie eine steifbeinige Bergziege; das Ettaler Manndl blieb ihm bis heute verwehrt.
Leseprobe
Ein Buch über die Berge
Das Ettaler Manndl thront nackt über dem Kloster Ettal. Blanker Fels leuchtet vor dramatischem Himmel. Wolkenfetzen hüllen das Haupt des stolzen Mannes, dessen massiver Leib einst aus dem Kalk der Urmeere auferstand. Böen zausen die verkrüppelten Latschen rings um den Fels. Dohlen lassen ihren krächzenden Ruf wie Hohnlachen erschallen, als würden sie dem einsamen Bergsteiger spotten. In den schwarzen Vögeln leben die Seelen der Toten, raunen die Einheimischen - die Seelen der Toten, die nicht lassen konnten vom schroffen Ettaler Manndl.
Wer ein Buch über das Gebirge schreibt, der darf nicht an theatralischen Formulierungen sparen. Ein Bergautor muss dick auftragen und von Dramatik berichten. Die Berge sollten stets stolz, unnahbar und gefährlich sein. Abgründe müssen unendlich tief erscheinen und die Gipfel stets unerreichbar in den Himmel ragen. Von Todesgefahr, Felsfestungen, eisernem Willen, Beinahe-Katastrophen, Sehnen, Bangen und Bergkameradschaft sollte in einem Buch über die Berge die Rede sein. Aber doch nicht vom Ettaler Manndl, um Gottes willen!
Lassen wir die Klischees, Angebereien und esoterischen Überhöhungen des Berges also beiseite und betrachten die Fakten: Das Ettaler Manndl in den Ammergauer Alpen erreicht eine Höhe von 1633 Metern und zählt zu jenen Ausflugsbergen, die von München aus bequem erreichbar sind. Es handelt sich um einen besseren Hügel, dessen Besteiger nach vollbrachter Tat nicht über schwere Kletterpassagen, Stehbiwaks, abgefrorene Gliedmaßen oder die sogenannte Weiterentwicklung des Alpinismus diskutieren. Diese Menschen schwärmen stattdessen vom Kaiserschmarrn in der nahen Laber-Gipfelgaststätte und machen sich Sorgen, dass es auf der Rückfahrt auf der Garmischer Autobahn Stau geben könnte.
Das also ist das Ettaler Manndl - ein Ausflugsberg, ein Nichts im Angesicht der Felsgiganten, von denen die Helden des Alpinismus in der gängigen Bergliteratur berichten. Und ich habe meine schlimmste Niederlage als Bergsteiger an diesem Ettaler Manndl erlitten. Deshalb beginnt dieses Bergbuch mit einem Ausflugshügel.
Meine Eltern stiegen mit mir auf das Ettaler Manndl. Ich muss etwa sechs Jahre alt gewesen sein. Es war anstrengend. Und wie Kinder das in solchen Situationen nun einmal tun, wurde auch ich bald anstrengend. Ich nörgelte mich den Hang hinauf und ließ die Nerven meiner Eltern erodieren. An einer verschlossenen Hütte im Wald machten wir irgendwann Pause, aßen belegte Brote und tranken Apfelsaft.
Vom Tal aus ist das Ettaler Manndl gut zu erkennen. Wie der Name es verlangt, steht der Felsen wie eine einsame Figur auf dem Bergrücken. Als wir direkt an seinem Fuß standen, waren die Schmerzen des Aufstiegs vergessen. In mir machte sich Begeisterung breit, ein echter Berg, kein langweiliger Pfad durch einen Fichtenwald. Neben der Wegmarkierung für die letzten Höhenmeter auf das Haupt des Manndls war ein Schild angebracht. "Nur für Geübte" stand darauf.
"Man braucht ein Seil, um dort hinaufzusteigen", sagte mein Vater. "Aber wir haben keins dabei." Er versuchte meine offensichtliche Kletter-Euphorie durch einen Hinweis auf die mangelnde Ausrüstung zu ersticken.
Ich hielt ihm meinen Kindergürtel mit der Piraten-Schnalle hin. Das sei doch ein passabler Ersatz für ein Seil. Ich wollte auf diesen Berg. Mein Vater schüttelte den Kopf. Er sicherte mich stattdessen, indem er mich am Kragen packte und vom Felsen pflückte. Ich strampelte, schrie und wollte nicht einsehen, dass ein Sechsjähriger noch nicht zur Gruppe der Geübten zählt. Immerhin zeigte ich mich in der Disziplin "Selbstüberschätzung am Berg" sehr reif für einen Jungen in diesem Alter.
Der Abbruch auf den letzten Metern vor dem Gipfel für Geübte ist bis heute meine schlimmste Niederlage als Bergsteiger. Bis jetzt habe ich das Ettaler Manndl nicht bezwungen, diesen Kaiserschmarrn-Ausflugs-Wochenend-Gipfel. Jedes M