Das beschauliche Lower Barton steht Kopf, denn die Hollywood-Diva und Oscar-Preisträgerin Miranda Stanforth hat sich angesagt. Im Herrenhaus Higher Barton wird der Roman 'Rebecca' von Daphne du Maurier mit Miranda in der Hauptrolle neu verfilmt, und selbst Mabel Clarence kann sich der Faszination der Schauspielerin nicht entziehen. Allerdings scheint der Star ein Geheimnis zu verbergen.
Als Miranda plötzlich spurlos verschwindet, deutet alles auf ein schreckliches Verbrechen hin. Mabel Clarence Spürsinn ist erneut gefragt, denn die Schauspielerin hatte nicht nur Freunde, und Motive, Miranda aus dem Weg zu räumen, gibt es zahlreiche.
Rebecca Michéle, geboren 1963 in Süddeutschland, lebt mit Ihrem Mann in der Nähe von Stuttgart. Seit 15 Jahren widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben und hat bereits mehrere historische Romane veröffentlicht. Mehr unter www.rebecca-michele.de.
Autorentext
Rebecca Michéle, geboren 1963 in Süddeutschland, lebt mit Ihrem Mann in der Nähe von Stuttgart. Seit 15 Jahren widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben und hat bereits mehrere historische Romane veröffentlicht. Mehr unter rebecca-michele.de.
Leseprobe
Eins
"Kinder, jetzt beruhigt euch bitte! Wenn alle durcheinanderreden, versteht ja niemand ein Wort." Resolut schob die zierliche Mabel Clarence den zwei Köpfe größeren, doppelt so breiten und dreißig Jahre jüngeren Alex Grant zur Seite. Die Hände in die Hüften gestemmt, sagte sie klar und deutlich: "Setzt euch endlich und trinkt eine Tasse Tee, dann sprechen wir in Ruhe darüber, aber einer nach dem anderen."
Mabel Clarence, pensionierte Krankenschwester aus London und seit fünf Jahren in Cornwall lebend, wunderte sich nicht darüber, dass diese Nachricht die Mitglieder des Laientheaters der Historischen Gesellschaft Lower Barton in Aufregung versetzen würde. Sie hatte es ja selbst erst wirklich glauben können, als alle Verträge unterzeichnet waren. Deshalb hatte sie so lange geschwiegen. Nun stand es aber in allen Zeitungen, dem Fernsehsender ITV Westcountry war es gestern Abend sogar einen Bericht wert gewesen, und ganz Lower Barton sprach nur noch über ein Thema.
Zu der Theatergruppe, die regelmäßig ein Schauspiel aus der bewegten Historie Lower Bartons aufführte, gehörten Männer und Frauen jeglichen Alters und jeglicher Herkunft. Heute standen die Älteren, was die Aufregung betraf, den jungen Leuten jedoch in nichts nach.
Deidre Trekenna half Mabel, den Tee auszuschenken, und stellte frisch gebackene Rosinenbrötchen bereit. Der starke, aromatische Tee wurde allgemein begrüßt, Hunger verspürte jedoch keiner. Nach und nach kehrte im Kirchengemeindesaal Ruhe ein. Die rund zwei Dutzend Männer und Frauen nahmen sich Stühle und bildeten einen Halbkreis.
Alle blickten erwartungsvoll auf Mabel.
Alex Grant trat neben sie und raunte: "Danke, Mabel. Ich bin immer noch der Meinung, du wärst als Leiterin der Theatergruppe die bessere Wahl. Auf dich hören sie, denn du kannst hervorragend mit Menschen umgehen."
Mabel schüttelte den Kopf.
"Du machst alles genau richtig und gut, Alex. Ich engagiere mich gern mit meinen Nähkünsten, darüber hinaus fehlt mir die Zeit, mich in den Verein einzubringen. Und du, Alex, stammst von hier und bist mit der örtlichen Historie bestens vertraut."
"Ich bewundere deine Ruhe." Alex grinste. "Nun ja, nach allem, was du in den letzten Jahren erlebt hast, ist es kein Wunder, dass dich das, was jetzt in Higher Barton geschehen wird, nicht besonders aufregt."
"Der Schein trügt", antwortete Mabel lächelnd. "Ich verstehe die Aufregung der anderen sehr gut. Es ist aber niemandem damit gedient, wenn wir hier alle durcheinanderreden."
Mabel Clarence, Mitte sechzig und erst seit wenigen Jahren Mitglied der Laienspielgruppe, brauchte ihre Stimme nie zu erheben. Sie hatte etwas Respektgebietendes an sich, ohne dabei zu dominant zu wirken. Es war ihre herzerfrischende Offenheit, die ihr eine allgemeine Beliebtheit bescherte. Außerdem hatte sich Mabel einen gewissen Ruf erworben, da sie das eine oder andere Verbrechen auf eigene Faust aufgeklärt hatte. Alle Einwohner des beschaulichen Ortes Lower Barton und darüber hinaus zollten der resoluten Rentnerin Hochachtung.
Lower Barton war eine kleine Stadt im Südosten Cornwalls. Wegen der sechs Meilen entfernten Küste kamen die Touristen in den Sommermonaten zwar schon auch hierher, die Ortschaft war aber nie so überlaufen wie deren unmittelbare Nachbarn Looe und Polperro an der Südküste. Ein Höhepunkt stellte das jährliche Festival im Mai dar, das in Erinnerung an die Vorfälle des Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert stattfand. In dieser Woche, mehr ein Volksfest mit Rummelplatz und Verkaufsbuden als die würdige Darstellung eines historischen Ereignisses, wurde das Stück Verrat in Lower Barton aufgeführt. Üblicherweise probten die Mitglieder der Theatergruppe bereits Wochen vorher mit vollem Einsatz, in diesem Jahr wurde die Aufführung jedoch zur Nebensache. Andere, wichtigere Ereignisse spielten sich in der sonst ruhigen und beschaulichen