Über Jahrhunderte war die katholische Kirche souveräne Herrin ihrer selbst. Sie beherrschte die Interpretation des Kosmos, die Ordnung der Gesellschaft und - bis vor kurzem - den Körper der Menschen. Mit all dem ist es vorbei, auch bei den eigenen Mitgliedern. Sie wurde von der Machtposition vertrieben und auf den religiösen Markt geworfen. Diese radikale Kontextveränderung lässt nichts in ihr, wie es war, ob sie es will oder nicht. Alles wird prekär, also unsicher und abhängig von anderen: vom Partizipationsverhalten der eigenen Mitglieder etwa, von der politischen Unterstützung oder den religiösen Bedürfnissen der Gesellschaft. Wie auf dem Markt bestehen, ohne ihm zu verfallen? Wie die eigene Aufgabe unter diesen Bedingungen erfüllen? Welcher Umbau ist notwendig? Diesen Fragen stellt sich Rainer Bucher mit analytischer Schärfe und zukunftsweisenden Vorschlägen.
Rainer Bucher, Dr. theol., geb. 1956 ist Professor und Leiter des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.
Autorentext
Rainer Bucher, Dr. theol., geb. 1956 ist Professor und Leiter des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.
Klappentext
Über Jahrhunderte war die katholische Kirche souveräne Herrin ihrer selbst. Sie beherrschte die Interpretation des Kosmos, die Ordnung der Gesellschaft und - bis vor kurzem - den Körper der Menschen. Mit all dem ist es vorbei, auch bei den eigenen Mitgliedern. Sie wurde von der Machtposition vertrieben und auf den religiösen Markt geworfen. Diese radikale Kontextveränderung lässt nichts in ihr, wie es war, ob sie es will oder nicht. Alles wird prekär, also unsicher und abhängig von anderen: vom Partizipationsverhalten der eigenen Mitglieder etwa, von der politischen Unterstützung oder den religiösen Bedürfnissen der Gesellschaft. Wie auf dem Markt bestehen, ohne ihm zu verfallen? Wie die eigene Aufgabe unter diesen Bedingungen erfüllen? Welcher Umbau ist notwendig? Diesen Fragen stellt sich Rainer Bucher mit analytischer Schärfe und zukunftsweisenden Vorschlägen.
Leseprobe
I. Die Unvorstellbarkeit der Zukunft
" Am Ende dieses Jahrhunderts war es zum erstenmal möglich, sich eine Welt vorzustellen, in der die Vergangenheit (auch die Vergangenheit der Gegenwart) keine Rolle mehr spielt, weil die alten Karten und Pläne, die Menschen und Gesellschaften durch das Leben geleitet haben, nicht mehr der Landschaft entsprachen, durch die wir uns bewegten, und nicht mehr dem Meer, über das wir segelten. Eine Welt, in der wir nicht mehr wissen können, wohin uns unsere Reise führt, ja nicht einmal, wohin sie uns führen sollte."
E. Hobsbawn 1
"Die ... kulturelle Krisenerfahrung liegt in dem gleichzeitigen Verlust einer referenzstiftenden Vergangenheit und einer sinnstiftenden Zulunft."
H. Rosa 2
Ich möchte Sie in einem kleinen Gedankenexperiment dazu einladen, sich in das Jahr 1987 zurückzuversetzen. Oder gehen Sie einfach so weit zurück, als es Ihnen möglich ist. Erinnern Sie sich, wo Sie damals lebten, was Sie beschäftigte, bei wem und mit wem Sie lebten und vor allem: was Sie damals erstrebten, erhofften und von der Zukunft erwarteten.
Und dann führen Sie sich vor Augen, was seither tatsächlich in Ihrem Leben passiert ist.
Ihre Erfahrungen gehören natürlich nur Ihnen. Aber ich vermute, dass manches, vielleicht sogar vieles von dem, was in Ihrem Leben seither passiert ist, für Sie recht weit außerhalb Ihrer damaligen Vorstellungen lag.
Dieses kleine Gedankenexperiment lässt sich auch für die öffentliche Erinnerung anstellen. Dann liegen zwischen 1987 und heute der Zusammenbruch des Kommunismus, die Verbreitung von PCs, Internet und Handys, der Fastzusammenbruch des internationalen Finanzsystems, die unabweisbare Erkenntnis eines globalen Klimawandels mit apokalyptischem Drohpotential, der Beinahekollaps des in dieser Zeit überhaupt erst eingeführten Euros, die Wahl eines Afroamerikaners zum Präsidenten der USA und ein deutscher Außenminister, der offiziell mit seinem angetrauten Ehemann reist.
So unterschiedlich all diese Phänomene sind, sie haben eines gemeinsam: Sie kamen ziemlich unerwartet und waren jeweils noch kurz vorher kaum vorstellbar. Natürlich war die Zukunft immer schon ungewiss, praktisch unvorstellbar aber ist sie erst seit kurzem. Alles spricht dafür, dass es damit nicht vorbei ist. Es wird damit weitergehen, dass wir nicht wissen, wie es weitergehen wird. In 25 Jahren wird uns vieles überrascht haben und wir können uns heute noch nicht einmal vorstellen, was es sein wird. Was wir uns heute vorstellen, dass es kommen wird, wird nicht das sein, was kommen wird: Das lehren die letzten Jahrzehnte. Dass Neues kommt, wussten Menschen schon immer, dass das Neue aber mitunter weit außerhalb unserer Vorstellungskraft liegt, das ist wirklich neu. Die zentrale spätmoderne Erkenntnis besteht darin, dass es anders kommen wird als geplant, weil es anders ist, als wir denken, und die Zukunft zwar die Folge unserer Projekte sein wird, aber diese Folgen ganz andere sein werden, als man erwartete. 3
Zum Verstörendsten an solcherart Neuem zählt, dass zu seiner Analyse zuerst nur alte Kategorien zur Verfügung stehen. Am "Automobil", dem teuersten Konsumprodukt unserer Gesellschaft, kann man das gut demonstrieren. Sein Name – das "Sich-selbst-Bewegende" – markiert bis heute eine Differenz zur Kutsche, die ohne Pferd schlicht nur herumstehen konnte. Die ersten "Autos" sahen denn auch tatsächlich noch aus