Theologie und Kirche stehen im Falle von »Transitional Societies« im Prozess der Überwindung von Gewalt und der Verwirklichung nachhaltigen Friedens vor enormen Herausforderungen. Das Paradigma der Versöhnung kann hier als zentrale Perspektive Öffentlicher Theologie Orientierung für gesellschaftliche Institutionen wie auch die Kirchen bieten. Die Kirchen stehen dabei vor der Aufgabe, nicht nur die zwischenmenschliche, sondern auch die vertikale Dimension der Versöhnung, die nach Gott als Akteur im Versöhnungsgeschehen fragt, zu berücksichtigen und in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Die Studie schlägt am Beispiel Ruandas vor, gesellschaftliche Versöhnungsmaßnahmen als Wegbereitung zu verstehen, die hoffend auf die transformative Kraft des Letzten wartet und handelnd darauf antwortet. [Preparing the Way for Reconciliation. Public Theology in the Context of Social Reconciliation Processes] In the case of »Transitional Societies«, theology and the church face enormous challenges in the process of overcoming violence and achieving sustainable peace. The paradigm of reconciliation as a central perspective of public theology can offer orientation for social institutions as well as the churches. The churches are faced with the task of taking into account not only the interpersonal but also the vertical dimension of reconciliation, which asks about God as an actor in the reconciliation process, and to bring this into the public discourse. Using the example of Rwanda, the study proposes to understand social reconciliation measures as a preparation of the way, which waits in hope for the transformative power of the Last and responds to it in action.
Autorentext
Maximilian Schell, Dr. theol., Jahrgang 1990, studierte evangelische Theologie und Psychologie in Bochum. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. 2019 wurde er mit dem Ernst-Wolf-Preis der Gesellschaft für Evangelische Theologie ausgezeichnet.
Inhalt
INHALT Erster Teil Methodische und begriffliche Vorverortungen 1 Fragestellung 15 2 Methode 22 2.1 Das Paradigma der Offentlichen Theologie im Kontext von Versohnungsprozessen 23 2.1.1 Geschichte und Auspragungen 23 2.1.2 Kontextualitat und Interkontextualitat 32 2.1.2.1 Der Begriff der Offentlichkeit und der Zivilgesellschaft im Kontext des ruandischen Versohnungsprozesses 32 2.1.2.2 Kontextualitat des Verfassers 38 2.1.3 Zwischenfazit: Das Paradigma der Offentlichen Theologie als methodisches Gerust der Studie 43 2.2 Sozial-ethische Grundentscheidungen der Untersuchung 45 2.2.1 Zwischen Differenz und Analogie: der christozentrische Ansatz 45 2.2.1.1 Der theologische Versohnungsbegriff zwischen Synthetisierung und Differenzierung 46 2.2.1.2 Das Changieren zwischen induktivem und deduktivem Vorgehen 47 2.2.1.3 Die Differenzlinien Letztes/Vorletztes, Kirche/Welt und Individuum/Kollektiv 50 2.2.1.4 Die Ausarbeitung von Kriterien 51 3 Gliederung und Aufbau 53 4 Theoretische Landschaften der Versohnung 59 4.1 Versohnung als neues Paradigma der Humanwissenschaften 59 4.2 Theologische Bedeutungsdimensionen des Begriffs Versohnung 63 4.3 Theologische Landschaften der Versohnung 67 4.4 Humanwissenschaftliche Bedeutungsdimensionen des Begriffs Versohnung 71 4.5 Humanwissenschaftliche Landschaften der Versohnung (Fanie du Toit) 74 4.5.1 Versohnung als soziale Wiederherstellung 75 4.5.2 Versohnung als liberaler Frieden 79 4.5.3 Versohnung als Agonismus 82 Zweiter Teil Grunduberlegungen zu einem theologisch-ethischen Versohnungsbegriff 1 Hannah Arendts Theorie des Verzeihens als Herausforderung fur die Theologie 89 1.1 Hannah Arendts Verzeihen in der Vita Activa 91 1.1.1 Anthropologie und Handlungstheorie bei Arendt 91 1.1.2 Das Verzeihen als Heilmittel gegen die Unwiderruflichkeit 95 1.1.3 Jesus als Entdecker des Verzeihens Hannah Arendts enttheologisierende Evangeliumslekture 99 1.2 Die theologische Rezeption Arendts 101 1.3 Arendts Theorie des Verzeihens (Thomas Durr) 109 1.3.1 Jesus und die Bedingungen der Vorhaltung und der Reue 110 1.3.2 Versprechendes Verzeihen 113 1.3.3 Politisches Verzeihen? 114 2 Hermeneutische Schlussel der christozentrischen Versohnungskonzeption 117 2.1 Christus als Ursprung, Wesen und Ziel der Versohnung 119 2.2 Wegbereitung der Versohnung Zwischen Gesetz und Evangelium 128 2.3 Unterscheidung der Versohnungsspharen 136 3 Zwischenfazit 141 4 Politiken der Versohnung 145 4.1 Jesus Christus als die Krisis und Hoffnung unversohnter Gesellschaft (Karl Barth) 145 4.1.1 Hochmut und Fall 152 4.1.2 Tragheit und Elend 152 4.1.3 Luge und Verdammnis 153 4.2 Wegbereitende Maßnahmen gegen Tyrannei, Lahmung und Ideologie innerhalb einer Transformationsgesellschaft 155 4.2.1 Gerechtigkeit als wegbereitende Uberwindung von Tyrannei 156 4.2.2 Aufbau und Starkung von Resilienz als wegbereitende Uberwindung von Lahmung 158 4.2.3 Wahrheit als wegbereitende Uberwindung von Ideologie 160 4.3 Vertiefungen: Individuum und Kollektiv im Versohnungsprozess 164 4.3.1 Der sozialpsychologische Ansatz sozialer Identitat 166 4.3.1.1 Die Theorie der sozialen Identitat 166 4.3.1.2 Die Selbstkategorisierungstheorie 169 4.3.1.3 Die Rekategorisierungsmodelle 171 4.3.2 Theologisch-ethische Perspektiven auf soziale Identitat 174 4.3.2.1 Stand der systematisch-theologischen Forschungslandschaft 174 4.3.2.2 Kernelemente christlicher Identitatskonstruktion 177 4.3.2.3 Theologisch-ethische Impulse zu kollektiven Identitatskonstruktionen 182 5 Zwischenfazit 201 Dritter Teil Das Fallbeispiel Ruanda 1 Vorbemerkungen zur historischen Analyse 207 2 Die Geschichte Ruandas und die Rolle der Kirchen vor dem Genozid 213 2.1 Die vorkoloniale Zeit 213 2.2 Die Kolonialzeit 18981962 215 2.3 Die erste und zweite Republik in der Unabhangigkeit bis 1990 219 2.4 Die fruhen 90er Jahre 221 2.5 Der Genozid 1994 224 3 Ruanda nach dem Genozid 227 3.1 Staatliche und rechtliche Maßnahmen 228 3.1.1 Sicherheit und Stabilitat 228 3.1.2 Wahrheit und Gerechtigkeit 231 3.1.3 Identitat und Erinnerung 235 3.1.4 Wirtschaft und Vision 238 3.2 Zivilgesellschaftliche Akteure und die Kirchen 240 3.2.1 Die Kirchen als Bottom-Up-Akteurinnen im Versohnungsprozess 242 4 Theologisch sozial-ethische Einordnung 247 Vierter Teil Kirche als Raum der Versohnung 1 Die Zeit- und Raumdimension im Diskurs um gesellschaftliche Versohnungsprozesse 253 2 Den Raum der Kirche als Raum Gottes denken 259 2.1 Das relationale Raummodell (Martina Low) 261 2.2 Die Kirche als Raum Gottes (Matthias Wuthrich) 263 2.2.1 Der trinitarische Gottesraum und der Raum der Kirche »in Christus« 264 2.2.2 Der interpersonale Raum der verborgenen Kirche 267 2.2.3 Der soziale Raum der sichtbaren Kirche 269 3 Zwischenmenschliche Versohnungsprozesse im Raum Gottes 272 3.1 Die gnadige Wo-Frage im trinitarischen Gottesraum 273 3.2 Versohnung in triangularer Beziehungsstruktur Der interpersonale Raum aller Getauften 277 3.3 Versohnende Raumgestaltung im sozialen Raum der sichtbaren Kirche 278 3.3.1 Spuren des Konflikts im institutionalisierten Raum der sichtbaren Kirche 279 3.3.2 Das Verhaltnis von Exklusion und Inklusion der Tater- und Opfergruppen im sozialen Raum der sichtbaren Kirche 281 4 Die presbyterianische Gemeinde Remera-Rukoma in Ruanda 285 5 Zwischenfazit 291 6 Zusammenfassung der Untersuchung und Ausblick 293 Literaturverzeichnis 299