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Wer wohnt schon gern in seinem Auto? Zumal, wenn marodierende Banden die Stadt beherrschen? Stan und Charmaine, ein nettes, normales Paar, durch die Wirtschaftskrise in Not geraten, werden immer verzweifelter. Eine Anzeige verspricht Rettung: das Positron Project, ein 'soziales Experiment', verspricht ein Leben in Sicherheit und geregelten Verhältnissen. Hastig unterschreiben sie, obwohl die Bedingungen eigenwillig sind - alle Bewohner der streng abgeschiedenen Stadt Consilience wechseln im Monatsturnus zwischen dem Status eines Gefangenen und dem eines Freien. Zunächst läuft alles bestens - auch wenn Charmaine und Stan, ohne dass der jeweils andere davon weiß, eine sexuelle Obsession für ihre Hauspartner entwickeln - also jene Leute, die ihr schmuckes Heim bewohnen, wenn sie selbst ihren Gefängnismonat absolvieren. Doch dann finden sich Charmaine und Stan durch einen 'Buchungsfehler' in verschiedenen Zyklen wieder, und bald ist viel mehr gefährdet als nur ihre Ehe ...
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr 'Report der Magd' wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto.
Autorentext
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr "Report der Magd" wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto.
Leseprobe
I - WOHIN?
BEENGT
Das Schlafen im Auto ist beengt. Als Dritte-Hand-Honda ist es ohnehin schon kein Palast. Wär's ein Transporter, hätten sie mehr Platz, aber sich so einen leisten zu können, nie im Leben, nicht mal damals, als sie noch Geld zu haben glaubten. Stan sagt, sie hätten Glück, überhaupt ein Auto zu haben, und das stimmt, aber dieses Glück macht das Auto nicht größer.
Charmaine findet eigentlich, dass Stan hinten schlafen sollte, weil er mehr Platz braucht - es wäre nur fair, er ist größer -, aber er muss vorne sein, um im Notfall schnell losfahren zu können. Unter solchen Bedingungen zu funktionieren, traut er Charmaine nicht zu: Sie wäre viel zu beschäftigt mit Schreien, sagt er. Also kann Charmaine den geräumigeren Rücksitz haben, wobei nicht mal sie sich ausstrecken kann, sondern sich wie eine Schnecke zusammenrollen muss.
Die Fenster lassen sie meist zu, wegen der Mücken und der Gangs und der allein herumziehenden Vandalen. Letztere haben eher selten Gewehre oder Messer dabei - wenn ja, muss man dreimal so schnell das Weite suchen -, sind aber dafür meist massiv gestört, und ein Irrer mit einem Stück Metall oder einem Stein oder selbst einem hochhackigen Schuh kann jede Menge Schaden anrichten. Die halten einen für einen Dämon oder einen Zombie oder eine Vampirhure, und nichts, was man auch nur irgendwie zur Beruhigung zu ihnen sagen könnte, wird sie von dieser Überzeugung abbringen. Wie Oma Win immer zu sagen pflegte: Um Verrückte sollte man einen Bogen machen oder am besten gleich die Beine in die Hand nehmen.
Bei den bis auf einen winzigen Spalt geschlossenen Fenstern wird die Luft irgendwann knapp und schwer von ihren eigenen Ausdünstungen. Es gibt kaum Möglichkeiten, zu duschen oder seine Sachen zu waschen, und das schlägt Stan aufs Gemüt. Auch Charmaine schlägt es aufs Gemüt, aber sie bemüht sich, dieses Gefühl zu verdrängen und die Sache positiv zu sehen, denn was nützt das Jammern?
Was nützt überhaupt irgendwas?, denkt sie des Öfteren. Aber was soll es nützen, auch nur zu denken, Was nützt es? Also sagt sie stattdessen: »Sind wir doch optimistisch, Schatz!«
»Wozu?«, könnte Stan erwidern. »Nenn mir einen verdammten Grund, verdammt noch mal optimistisch zu sein.« Oder er könnte sagen: »Halten wir lieber die Klappe, Schatz«, wobei er ihren leichten, positiven Tonfall imitiert, was gemein von ihm ist. Er kann gemein sein, wenn er schlechte Laune hat, doch im Grunde seines Herzens ist er ein guter Mann. Die meisten Menschen sind im Grunde ihres Herzens gut, wenn sie die Chance bekommen, ihre Güte zu zeigen: Charmaine ist wild entschlossen, auch weiterhin daran zu glauben. Eine Dusche bringt das Gute im Menschen hervor, denn, wie Oma Win zu sagen pflegte: Reinlichkeit kommt gleich nach Frömmigkeit, und Frömmigkeit bedeutet Gutmütigkeit.
Das war so einer ihrer Sprüche, genau wie: Deine Mutter hat sich nicht das Leben genommen, das ist dummes Gerede. Dein Vater hat sein Bestes getan, aber irgendwann wurde es ihm zu viel. Du solltest wirklich versuchen, alles andere zu vergessen, ein Mann ist nicht zurechnungsfähig, wenn er getrunken hat. Und dann sagte sie: Lass uns Popcorn machen!
Und dann machten sie Popcorn, und Oma Win sagte: Guck nicht aus dem Fenster, Herzchen, das willst du gar nicht sehen, was die da draußen machen. Das ist nicht schön. Die brüllen einfach aus Lust und Laune. Das ist Selbstdarstellung. Komm, setz dich zu mir. Es ist doch jetzt alles gut, denn schau, du bist hier, und wir sind jetzt glücklich und in Sicherheit!
Aber es war nicht von Dauer. Das Glück. Die Sicherheit. Das Jetzt. WOHIN?
Stan rutscht im Fahrersitz hin und her und sucht nach einer bequemen Lage. Aber keine Chance. Was kann er also tun? Wohin können sie sich wenden? Es gibt keinen sicheren Or