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Zwölf Zeitgenossen Joachim Kaisers porträtiert aus seiner Sicht: Theodor W. Adorno, Ingeborg Bachmann, Wilhelm Backhaus, Maria Callas, Pablo Casals, Wilhelm Furtwängler, Gustaf Gründgens, Walter Maria Guggenheimer, Fritz Kortner, Arthur Rubinstein, Friedrich Torberg, Wieland Wagner. Kaiser kannte sie alle, hier erfahren Sie eine persönliche Würdigung, dieser denkwürdigen Begegnungen, die ihn berührt und geprägt haben.
Joachim Kaiser, geboren 1928 in Milken/Ostpreußen, studierte Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Er war lange Zeit Kulturkritiker bei der Süddeutschen Zeitung in München und Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Künste in Stuttgart. Joachim Kaiser verstarb 2017.
Autorentext
Joachim Kaiser, geboren 1928 in Milken/Ostpreußen, studierte Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Er war lange Zeit Kulturkritiker bei der Süddeutschen Zeitung in München und Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Künste in Stuttgart. Joachim Kaiser verstarb 2017.
Leseprobe
Ingeborg Bachmann
Daß Ingeborg Bachmann aus Klagenfurt stammte - sie wurde dort am 25. Juni 1926 geboren -, weiß heute jeder halbwegs wache Zeitgenosse; es gehört fast zur Allgemeinbildung. Mittlerweile wird, Ingeborg Bachmann zu Ehren, beim Klagenfurter Literaturtreffen und Literatur Wettbewerb alljährlich der »Ingeborg Bachmann«-Preis verliehen. Längst erkennt man in der Dichterin eine Große, eine Heilige, eine Prinzessin und Königin unserer Nachkriegs-Literatur. Alles dies ist sie gewiß auch gewesen. Und noch viel mehr: eine zähe, im Grunde durchaus kräftige, weltzugewandte, keineswegs über den Sphären des Politischen und Gesellschaftlichen schwebende Frau, Dame, Dichterin. Sie zog sich gern gut, ja chic, erlesen, elegant an. Sie war ganz scheu und ganz bestimmt.
Aber nicht nur, daß Ingeborg Bachmann aus Klagenfurt kommt, ist mittlerweile bekannt geworden. Entsetzlicherweise wurde auch ihr Tod in Rom zu einem langwährenden, die Öffentlichkeit ausführlich betreffenden Vorgang. Man kann sich das nicht schlimm, nicht fürchterlich genug ausmalen: Alle, die das Glück hatten, Ingeborg Bachmann näher zu kennen, sie immer wieder zu sehen und zu sprechen, mit ihr befreundet zu sein - sie alle hatten doch zumindest eines erfahren: welch ein Wert, welch eine Notwendigkeit die Diskretion gewesen ist für diese österreichische Dichterin. Ingeborg Bachmann fürchtete bundesdeutsch auftrumpfende Vorlautheit ebenso wie anbiedernd österreichische Kameraderie. Und darum war ihr langwieriges Hinsterben im römischen Krankenhaus während endloser Oktober-Wochen des Jahres 1973 nicht nur unsäglich schrecklich, sondern auch unsäglich unangemessen. Alles wurde noch jahrelang diskutiert: wie war es gekommen, daß ihr Zimmer in Flammen stand, daß sie offenbar mit einer Zigarette einschlafend alles in Brand gesetzt hatte, daß sie dann noch hatte telephonieren, daß sie unter strittigen Umständen hatte gefunden und in ein Krankenhaus transportiert werden können? Drei Wochen lang las man nun Tag für Tag Zustandsberichte über die hoffnungslose oder vielleicht doch nicht ganz hoffnungslose Situation der Dichterin.
Es war ein gespenstisches öffentliches Hinsterben in einem römischen Krankenhaus. Politiker, literarische und sonstige Zelebritäten telephonierten mit Rom; Tag für Tag fand ein - wie es hieß: schmerzloser - Todeskampf weltweite Beachtung. Wenn ein alter Mensch langsam dem Tod entgegengeht, wenn ein jäher Unfall einen Jüngeren plötzlich hinwegreißt: dies zu fassen ist die Umwelt irgendwie gewöhnt. Aber von einer 47jährigen, auf Diskretion, Noblesse, Scheu und empfindsamen Abstand angewiesenen Dichterin gleichsam stündlich, als ginge es um Lebens- und Sterbens-Kursschwankungen, hören zu müssen, wie nahe der Tod sei, das war schlimm. Das vergißt man nie. In einem ihrer Gedichte hat Ingeborg Bachmann einen Goethe-Vers für solche Unsäglichkeiten abgewandelt: »Die Augen täten dir sinken.«
Ob es verwunderlich wirkt, daß hier nicht von einer Autorin oder Textproduzentin oder Schriftstellerin die Rede ist, sondern von einer »Dichterin«? Diese Bezeichnung, mag sein, klingt sehr altmodisch, wie »Jüngling« oder »Bräutigam«. Aber auf Ingeborg Bachmann paßte das Wort wie auf niemanden sonst, der seit 1945 seine Stimme erhob. Auch meine Bezeichnungen wie »Dichterin« oder »Prinzessin« galten ja nicht nur einem Rang, sondern vor allem einer Art. Man könnte sich eine Dichterin vorstellen, die im trivialen Sinne wenig Talent besitzt, eine Prinzessin, die arme Eltern hat. Doch die Art, in der Ingeborg Bachmann agierte, re-agierte oder auch dem Gespräch, der Vertraulichkeit sich entzog, die Sicherheit, mit der sie sich ihren Unsicherheiten stellte, ihren Ängstlichkeiten, ihr Vermögen, ja ihre Lust, trotz alledem und alledem Worte zu finden: das war eine poetische Existenz. Wer immer sie sah, sagte ganz ohne zu lächeln, sondern eher zärtlich, ein wenig gerührt, etwas Selbstverständliches bewundernd: »Ja, eine Dichterin«. Wie bei