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'Erlebte Literatur' ist das Ergebnis von mehr als 40 Jahren engagierter Beobachtung und kritischer Begleitung deutscher Nachkriegskriegsliteratur. Es sind Würdigungen, Analysen, Marginalien und Reaktionen zu den wichtigsten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur durch Joachim Kaiser, einem der maßgeblichen Kultur-Kritiker und Mitglied der 'Gruppe 47'. 'Erlebte Literatur' - das ist eine unkonventionelle, persönliche Literaturgeschichte.
Joachim Kaiser, geboren 1928 in Milken/Ostpreußen, studierte Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Er war lange Zeit Kulturkritiker bei der Süddeutschen Zeitung in München und Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Künste in Stuttgart. Joachim Kaiser verstarb 2017.
»Erlebte Literatur« ist das Ergebnis von mehr als 40 Jahren engagierter Beobachtung und kritischer Begleitung deutscher Nachkriegskriegsliteratur. Es sind Würdigungen, Analysen, Marginalien und Reaktionen zu den wichtigsten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur durch Joachim Kaiser, einem der maßgeblichen Kultur-Kritiker und Mitglied der »Gruppe 47«. »Erlebte Literatur« - das ist eine unkonventionelle, persönliche Literaturgeschichte.
Autorentext
Joachim Kaiser, geboren 1928 in Milken/Ostpreußen, studierte Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie und Soziologie. Er war lange Zeit Kulturkritiker bei der Süddeutschen Zeitung in München und Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Künste in Stuttgart. Joachim Kaiser verstarb 2017.
Leseprobe
Einleitung
Über Auswahl und Aufbau
Dieses Buch - »Erlebte Literatur« - möche ein Gegenstück sein zu meinen beiden Bänden: »Erlebte Musik«. Es enthält die Summe, die Dokumentation meiner Bemühungen um die werdende deutschsprachige Nachkriegsliteratur.
Der Titel meint nicht bloß das Leseerlebnis, sondern auch das Miterleben. Alle Autoren, von deren Büchern oder Gesamtwerken hier die Rede sein wird, habe ich persönlich kennengelernt, gesehen, gesprochen, als Vortragende oder Zelebritäten erlebt. Thomas Mann begegnete ich einst in Frankfurt, hörte seine berühmt gewordenen Reden (wagte aber als blutjunger Literat auf einer S. Fischer-Party leider nicht, ihn anzusprechen, obwohl ich ihn so bewunderte und er sich wahrscheinlich über die Verehrung eines jungen Deutschen, der ihn wirklich gelesen hatte, gefreut hätte). Bertolt Brecht sah ich im Hause Suhrkamp ... »Wie geht es Ihnen, Brecht?« fragte der alte Suhrkamp den Besucher aus der DDR etwas maliziös. »Sehr gut, denn ich habe ein gutes Gewissen«, antwortete Brecht spitz und wie aus der Pistole geschossen. Auch Gottfried Benn trat während der fünfziger Jahre, freilich immer sehr leise, als Redner oder Rezitator öffentlich auf- und ich hörte ihn.
Mit Max Frisch bin ich fast befreundet, seit ich ihn, Mitte der fünfziger Jahre - ich war damals Hörspieldramaturg -, in Zürich besuchen durfte, und zwar um ihn zu bitten, er möge doch aus seiner Tagebuchparabel »Der andorranische Jude« einen Hörspieltext machen. Das tat er dann zwar nicht - wohl aber brachte ihn mein Verlangen vielleicht doch auf die Idee, sein später so berühmtes »Andorra«-Drama zu schreiben. Und daß ich mit vielen jüngeren Autoren gut bekannt oder gar befreundet war oder bin, zumal wenn sie der Gruppe 47 nahestanden, zu deren Tagungen H. W. Richter mich seit 1953 einlud, ließ eine Tuchfühlung entstehen, auf die man als Kritiker nicht verzichten sollte, falls sie nicht zur Befangenheit oder zu falscher Kameraderie fuhrt.
So behandelt dieses Buch nur Schriftsteller, die nach 1945 in der deutschsprachigen Literatur eine Rolle spielten. Selbstverständlich »wirkte« auch ein Kafka, ein Musil oder ein Rilke in die Nachkriegszeit hinein. Aber diese Großen waren 1945 bereits tot.
Für mein Bestehen auf Gegenwärtigkeit möchte ich folgenden Grund nennen: So häufig auch in einer Person literarische und musikalische Interessen vereinigt sind - nie habe ich beobachten können, daß solche Doppelt-Engagierten sich auf die gleiche Weise verhalten zu Musik und Literatur! Im Bereich der Musik reagiere ich leidenschaftlich »museal«, nämlich traditionszugewandt, der großen Klassik ergeben. Bei der Literatur ist es genau umgekehrt. Da interessierte und interessiert mich die zeitgenössische Produktion unmittelbar, ja weit heftiger als die große Vergangenheit. Natürlich habe ich bedeutender Musik, die im 20. Jahrhundert und nach 1945 komponiert worden ist, immer aufgeschlossen zu begegnen versucht. Schönberg und Strawinsky, Hindemith und Schostakowitsch, Karl Amadeus Hartmann und Benjamin Britten, Henze und Prokofjew, Kagel und Bernd-Alois Zimmermann, Nono und Ligeti (um nur Komponisten zu nennen, die nach 1945 noch lebten und produzierten) sind ja wahrlich keine Sektierer gewesen, sondern Repräsentanten unserer Welt: Sie lösten dem die Zunge, was viele Zeitgenossen erfüllt oder bedrängt ... Trotzdem vermochten mich all die Werke, die sie einer schwierigen Kompositions-Situation erfolgreich abtrotzten, nie auch nur annähernd so zu bewegen, zu fesseln, wie die Musik der großen Vergangenheit zwischen Bach, Brahms und Bruckner. Doch ein neuer Roman von Frisch oder Grass, ein neues Stück von Beckett oder Ionesco, ein neuer Essay von Sartre, Hans Magnus Enzensberger oder Reinhard Baumgart waren und sind mir nach wie vor wichtiger als alle weiß Gott unbezweifelbare Größe des Weimarer Gestern oder des Elisabethanischen Vorgestern. Darum diese offenkundig inkonsequenten, einander