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Amerika in der nahen Zukunft: Zusammengepfercht in riesigen Megacities leiden die Menschen unter den Folgen der Überbevölkerung und des Klimawandels wie Smog, Dürreperioden und extreme Hitze. Aus Sorge um das Leben ihrer fünfjährigen Tochter Agnes nimmt die junge Mutter Bea an einem nie dagewesenen Regierungsexperiment teil: Gemeinsam mit zwanzig anderen Pionieren möchte sie in einem der staatlich geschützten Nationalparks, zu denen Menschen eigentlich keinen Zugang haben, im Einklang mit der Natur leben. Doch der Alltag in dieser neuen Wildnis wartet mit ganz eigenen Herausforderungen auf, und schon bald stoßen die Pioniere an ihre Grenzen ...
Diane Cook lebt mit ihrer Familie in Brooklyn, New York. Sie war Produzentin der Radiosendung »This American Life« und wurde 2016 mit einem Stipendium des National Endowment for the Arts ausgezeichnet. Ihr Debütroman »Die neue Wildnis« war ein großer Erfolg und wurde 2020 für den Booker Prize nominiert.
Für Leser*innen von T.C. Boyles »Die Terranauten«, George Orwells »Die Farm der Tiere« und Frank Schätzings »Der Schwarm«
Autorentext
Diane Cook lebt mit ihrer Familie in Brooklyn, New York. Sie war Produzentin der Radiosendung »This American Life« und wurde 2016 mit einem Stipendium des National Endowment for the Arts ausgezeichnet. Ihr Debütroman »Die neue Wildnis« war ein großer Erfolg und wurde 2020 für den Booker Prize nominiert.
Leseprobe
Das Baby glitt in der Farbe eines Blutergusses heraus. Bea sengte die Nabelschnur durch und wickelte sie von dem zarten Hals des Mädchens ab, und obwohl sie wusste, dass es sinnlos war, hob sie ihre Tochter hoch, tippte auf ihre weiche Brust und blies ein paar flache Atemzüge in ihren verschleimten Mund.
Um sie herum dehnte sich der eigenartige Gesang von Grillen aus. Beas Haut prickelte vor Hitze. Schweiß trocknete auf ihrem Rücken und Gesicht. Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht und würde, schneller, als richtig erschien, wieder sinken. Von der Stelle aus, an der Bea kniete, sah sie ihr Tal, seine geheimen Gräser und Sträucher. In der Ferne standen einsame Kuppen und etwas näher Erdhügel, die aussahen wie den Weg nach irgendwo weisende Steinmännchen. Am Horizont zeichnete sich klar und weiß die Caldera ab.
Bea grub mit einem Stock in dem harten Boden, dann mit einem Stein, schließlich schaufelte und glättete sie mit den Händen. Sie schob die Plazenta hinein. Danach das Mädchen. Das Loch war nicht tief, und der Bauch ihres Babys ragte heraus. An dem kleinen, von der Geburt nassen Körper hafteten grober Sand und winzige goldene Knospen, die durch die Sonnenhitze von ihren Stängeln gebröselt waren. Bea streute dem Säugling noch mehr Erde auf die Stirn, holte mehrere welke grüne Blätter aus ihrem Hirschlederbeutel und legte sie darauf. Von den Beifuß-Sträuchern um sich herum brach sie spröde Äste ab, deckte damit den aufgeblähten Bauch ab, die absurd schmalen Schultern. Das Baby war ein unförmiges Hügelchen aus Pflanzengrün, rostrotem Blut, einem trüb violetten Aderngeflecht unter feuchter Seidenpapierhaut.
Jetzt kamen die Tiere, die es gewittert hatten, allmählich näher. Am Himmel sank ein Zyklon von Bussarden herab, wie um die Fortschritte zu prüfen, und stieg dann mit einer Thermik wieder auf. Bea hörte den weichen Schritt von Kojoten. Sie schlängelten sich durch den blühenden Beifuß. Eine Mutter mit drei mageren Jungtieren tauchte im schartig geworfenen Schatten auf. Ein Jaulen sickerte aus ihrem teilnahmslosen Gähnen heraus. Sie konnten warten.
Wind regte sich, und Bea atmete die staubige Hitze ein. Sie vermisste den muffigen Geruch des Krankenhauszimmers, in dem sie Agnes vor mittlerweile wohl acht Jahren auf die Welt gebracht hatte. Das kratzige OP-Hemd, das sich über ihre Brust spannte und verwickelte, wenn sie versuchte, sich auf die eine oder andere Seite zu drehen. Die kühle Luft um ihre Hüften, zwischen ihren Beinen, wohin Arzt und Schwestern starrten, wo sie herumtasteten und Agnes aus ihr herauszogen. Damals hatte Bea das Gefühl gehasst. So exponiert, benutzt, tierhaft. Hier aber war alles Staub und heiße Luft. Hier hatte sie den kleinen Körper - war sie im fünften Monat gewesen? Im sechsten? Siebten? - mit einer Hand herausgeleiten müssen, während sie mit der anderen eine herabstoßende Elster abwehrte. Sie hatte allein sein wollen. Doch was hätte sie nicht für eine tastende Hand in einem Gummihandschuh gegeben, für umgewälzte Luft, brummende Apparate, ein frisches Laken statt dem Wüstenstaub. Etwas sterilen Trost.
Was hätte sie nicht für ihre Mutter gegeben.
»Haut ab«, zischte sie die Kojoten an und warf mit der Erde und den Steinchen nach ihnen, die sie gerade ausgegraben hatte. Aber sie legten nur die Ohren an, das Muttertier setzte sich, und die Jungen schnappten nach ihrer Schnauze, ärgerten sie. Wahrscheinlich hatte sie sich vom Rest des Rudels weggestohlen, um ihrem Nachwuchs einen Extrabissen zu verschaffen, oder um mit ihnen Aasfressen zu üben, Überleben zu üben. Das machten Mütter so.
Bea verscheuchte eine Fliege von den Augen des Babys, die anfangs erschrocken gewirkt hatten, es nicht geschafft zu haben, jetzt aber vorwurfsvoll. In Wahrheit hatte Bea das Kind nicht gewollt. Nicht hier. Es war falsch, es auf diese Welt zu bringen. Das hatte sie die ganze Zeit so empfunden. Doch was, wenn d