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Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst - zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.
Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.
Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie auch lebt. 2016 war sie Finalistin des 24. open mike und des 10. poet bewegt Literaturwettbewerbs, 2017 Stipendiatin des 21. Klagenfurter Literaturkurses. 2019 stand sie auf der Shortlist für den Wortmeldungen-Förderpreis. Streulicht ist ihr erster Roman.
Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem gefeierten Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Sie spürt den Sollbruchstellen im Leben ihrer Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis der Hausrat aus allen Schränken quoll. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.
Autorentext
Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie heute auch lebt. Für ihren Debütroman Streulicht, der 2020 auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung und dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet.
Klappentext
In ihrem gefeierten Debütroman erkundet Deniz Ohde die Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin und erzählt von den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit und dem Versuch, sich von der verinnerlichten Abwertung zu befreien.
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis der Hausrat aus allen Schränken quoll. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst - zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.
Leseprobe
D ie Luft verändert sich
D ie Luft verändert sich , wenn man über die Schwelle des Ortes tritt. Eine feine Säure liegt darin, etwas dicker ist sie, als könnte man den Mund öffnen und sie kauen wie Watte. Niemandem hier fällt das mehr auf, und auch mir wird es nach ein paar Stunden wieder vorkommen wie die einzig mögliche Konsistenz, die Luft haben kann. Jede andere wäre eine fremde. Auch mein Gesicht verändert sich am Ortsschild, versteinert zu dem Ausdruck, den mein Vater mir beigebracht hat und mit dem er noch immer selbst durch die Straßen geht. Eine ängstliche Teilnahmslosigkeit, die bewirken soll, dass man mich übersieht. Ich übertrete die Schwelle an der Endhaltestelle, wo die Busse eine Schleife fahren und dann vor dem Haupteingang des Friedhofs eine Pause einlegen. Hier verändert sich das Licht, wie gestrichener Ton spannen sich mir die Wangen über den Knochen, und mit jedem Schritt ragt eine der Laternen aus der Dunkelheit. Die Dächer der neben dem Weg zur Großen Eiche aufgereihten Einfamilienhäuser heben sich so scharf vom dahinterliegenden Himmel ab, dass ich sie selbst dann noch sehe, wenn ich für kurze Zeit die Augen schließe, als hätte ich zu lang in die Sonne gestarrt. Als ich an der Großen Eiche ankomme, ist mein Blick schon zu meinem alten geworden, ich bemühe mich, keinen bestimmten Punkt zu fixieren, obwohl mich niemand dabei sehen kann, sich niemand auf der Straße befindet, dem meine Blicke auffallen könnten, nur hinter einzelnen Fenstern ist noch Licht, und Schattenrisse bewegen sich in den Räumen, stehen von ihren Fernsehsesseln auf, um sich bettfertig zu machen oder das Tablett mit dem Abendessen wegzubringen. Es kommt mir vor, als müsste hinter jeder Fassade der Tod lungern, müssten hinter den dunklen Fenstern Krankenbetten mit Dahinsiechenden verborgen sein. Kein Geräusch dringt durch die Straßen bis auf das leise Brummen, das den Ort zu jeder Zeit erfüllt, nachts fällt es besonders auf. Ein weißes Rauschen, das von der anderen Seite des Flusses herrührt und sich schon in meine Ohrmuschel gräbt, weich und rau zugleich, wie ein vertrauter Deckenbezug sich auf der Haut anfühlt. Auch das ist eine Eigenart des Ortes, die mir wie allen anderen hier schon nach wenigen Stunden nicht mehr ungewöhnlich vorkommen wird. Einzig an der letzten Kreuzung vor dem Haus begegnet mir doch jemand, ein Vater mit seiner kleinen Tochter, die an seiner Hand geht und unter einer der Laternen ihren eigenen Schatten entdeckt, er fächert sich um sie herum auf, mit ausgewaschenem Rand. Sie versucht im Spiel auf ihm herumzuspringen. "Stirb, du Schatten!", ruft sie begeistert, und der Vater lächelt mich stolz an. Ich lächle zurück und erwarte, dass mir dabei die Wangen von den Knochen bröckeln wie ausgedörrte Erde.
Der Schlüssel dreht sich leichtgängig im Schloss der maroden Holztür, sie gibt das gleiche Geräusch von sich wie immer, als würde ich gerade von der Schule nach Hause kommen, Schweiß vom Schulsport zwischen den Schulterblättern, leere Brottüten in den Fächern des Rucksacks, aber es ist dunkel, und ich schalte das Licht im Treppenhaus an. Im ersten Stock stapeln sich Kartons neben der Wohnungstür und Holzkörbe mit Kartoffeln und Zwiebeln. Der Schlüssel steckt hier von außen, dieser dicke Metallschlüs…