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Schwer zu sagen, wie viele der kuriosen und komischen Dinge, die ihr im Alltag widerfahren, im Zusammenhang mit ihren Diagnosen stehen - vermutlich viele. Warum Menschen auf sie anders reagieren, kann sich die Studentin und Journalistin erst erklären, als der damals 22-Jährigen Asperger diagnostiziert wird. Das Enttäuschendste: Sie kann keinen einzigen Rainman-Trick. Das Schönste: Fast alles andere. Außer den Vorurteilen, gegen die sie angeht. Sie startet ein Crowd-Funding-Projekt und bringt 2014 die Zeitschrift 'N#MMER. Magazin für Autisten, AD(H)Sler und Astronauten' heraus, die ein gewaltiges Echo erfährt. In ihrem Buch erzählt sie, wie es ist, sensorisch hochempfindlich durch die Welt zu gehen, und was es bedeutet, Freundschaften zu führen und zu lieben, wenn soziale Interaktionen wie Händeschütteln und das Halten von Blickkontakt Anstrengung kosten. Ihr Leben erscheint darin so reich, intensiv und vielschichtig, dass der Normalo zuweilen neidisch wird. Und begreift, warum sie sich ihre 'Ticks' nicht einfach wegtherapieren lassen will. Und dass es gut ist, wenn manche Menschen anders sind.
Denise Linke, Jahrgang 1989, studierte Politikwissenschaft in Berlin. Nach Stationen bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit arbeitet sie heute als freie Journalistin und Autorin. Mit Joachim Gerhard veröffentlichte sie 2016 den Bestseller Ich hole euch zurück. Ein Vater sucht in der IS-Hölle nach seinen Söhnen. Im Berlin Verlag erschien Nicht normal, aber das richtig gut. Mein wunderbares Leben mit Autismus und ADHS (2015).
Vorwort
»Wir waren viel zu lange viel zu leise.«
Autorentext
Denise Linke, Jahrgang 1989, studierte Politikwissenschaft in Berlin. Nach Stationen bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit arbeitet sie heute als freie Journalistin und Autorin. Mit Joachim Gerhard veröffentlichte sie 2016 den Bestseller Ich hole euch zurück. Ein Vater sucht in der IS-Hölle nach seinen Söhnen. Im Berlin Verlag erschien Nicht normal, aber das richtig gut. Mein wunderbares Leben mit Autismus und ADHS (2015).
Leseprobe
Ein Baumhaus ohne Tür
Im Sommer 2011 hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, nach Los Angeles zu fliegen und drei Monate dortzubleiben. Drei Monate können eine verdammt lange und teure Zeit sein, besonders in einer Stadt, in der man für ein Loch achthundert Dollar Miete im Monat bezahlt.
Und wenn ich »Loch« sage, dann meine ich das ziemlich wörtlich.
Mein Zuhause war eine Ecke, die mit Brettern notdürftig vom Rest des Zimmers abgetrennt wurde. Sie war ungefähr so groß wie die bettgestelllose Matratze, die ich von meinem Vorgänger übernahm. Es blieb bloß noch Platz für ein winziges Bücherregal und für eine Stange, an die man mit Glück zehn Kleidungsstücke hängen konnte, bevor sie herunterkrachte.
Außerdem durfte ich für diesen Spottpreis die Wohnküche benutzen, den Balkon und ein kleines Bad, das ich mir mit riesigen Spinnen teilen musste.
Ich war abends angekommen. Ryan hatte mich abgeholt.
Heiße Luft schlug mir entgegen, als ich den Bauch des Flugzeugs verließ. Alles sah nach Terrakotta oder Naturstein aus und fühlte sich auch so an, sogar die Luft. Sie lag schwer auf meinen Schultern und roch nach Staub. Durch eine große Glasfront erschlug mich die Schwärze der Nacht.
Wir hielten Händchen. Ryan trug meine Taschen zum Auto, einem alten, klapprigen VW-Bus. Ich stieg ein und knallte die Tür zu.
Als wir die Parkwächter passierten, bat Ryan mich um sieben Dollar. Er habe gerade kein Bargeld, sagte er und stülpte entschuldigend die Taschen seiner bunt gestreiften Boardshorts nach außen. Ich fischte ein paar Dollarnoten heraus und gab sie ihm. Die Scheine fühlten sich an wie Monopoly-Geld, so dick und klein. Und die Straßen sahen genauso unecht aus wie das grüne Papier, die Luft und der Terrakotta-Flughafen. Es war finster, hier und da malten Neonleuchtreklamen grelle Lichtkleckse auf die Straßen und die Schlaglöcher. Wir schwiegen die ganze Fahrt. Erst als wir anhielten, sprach Ryan wieder.
»This is Treehouse.«
Ich blickte ihn fragend an.
»We call it Treehouse cause there's a huge tree in the middle.«
Daher also der Name Baumhaus. Eine naheliegende Begründung. Ich schleppte mich erschöpft siebzehneinhalb Stufen nach oben und stand vor einer angelehnten Tür.
»This is our apartment.«
Eine goldene, aber garantiert nicht aus Gold gefertigte »1« hing schief auf dem blauen Grund einer Tür. Mir schien das Ganze nicht sehr verheißungsvoll.
»Why is the door open?«
Im Gegensatz zu mir wirkte Ryan überhaupt nicht ängstlich. Die derangierte Tür kümmerte ihn nicht. So lässig würde ich mich nie geben können.
»We never close the doors. Everybody is welcome.«
Ich warf einen Blick die siebzehneinhalb Stufen hinunter. Er blieb im Müll am Treppenabsatz liegen. Jeder war willkommen?
»Like ... everybody? As in ... everybody?«
Ich lauschte dem Straßenlärm. Ein paar Typen unterhielten sich, ein Mädchen lachte schrill auf, zwei oder drei Hunde bellten. Und ein Obdachloser raschelte. Er hing kopfüber und bis zur Hüfte in einer Mülltonne. Da sie neben dem VW-Bus stand, war es aller Vermutung nach unsere Mülltonne.
»No, stupid, just the Treehouse people.«
Wer auch immer zu den Treehouse-Leuten gehörte. Um keinen Streit vom Zaun zu brechen, sagte ich nichts weiter. Das Fehlen einer vernünftigen Haustür bereitete mir Unbehagen, aber ich wollte jetzt wirklich nicht spießig sein. Nicht direkt nach meiner Ankunft.
Am nächsten Morgen schälte ich mich bei Sonnenaufgang aus den Laken. Der Tesafilm, mit dem unsere Gardinen an die Glaswand geklebt waren, hatte sich an einigen Stellen gelöst und ließ Helligkeit und, deutlich schlimmer, große Hitze in unser Goldfischglas-Schlafzimmer. Noch müde sah ich mich das erste Mal richtig im Raum um. Er hatte drei Wände. Eine bestand aus einer großen, zugenagelten Tür, eine andere aus Fensterglas, und die dritte war