1986 wurde Österreich vom Skandal um die Verstrickungen des damals neu gewählten Bundespräsidenten Kurt Waldheim in den Nationalsozialismus erschüttert. Bis dahin hatten die führenden Politiker der Zweiten Republik eine Mitverantwortung für Holocaust und Kriegsgräuel zurückgewiesen und damit seit den 1950er-Jahren weitergehende Entschädigungsansprüche der Opfer zurückgewiesen. Infolge internationaler Kritik und inländischer Proteste begann jedoch durch die »Waldheim-Affäre« eine bis heute andauernde Auseinandersetzung um die Neubewertung der NS-Vergangenheit Österreichs. Cornelius Lehnguth untersucht in dieser ersten Gesamtdarstellung der politischen Kontroversen der »Waldheim-Debatte« die konkurrierenden, oftmals generationsbedingten Erzähl- und Handlungsmuster der im Nationalrat vertretenenen Parteien; zugleich analysiert er die Vergangenheitspolitik der beteiligten Akteure, die er in zahlreichen Interviews für seine Studie befragt hat.
Vorwort
Österreichs Umgang mit der NS-Vergangenheit seit 1986
Autorentext
Cornelius Lehnguth, Dr. rer. pol., studierte in Leipzig Politik- und Kulturwissenschaften und verbrachte für seine Promotion in den Jahren 2007/2008 zwei längere Studienaufenthalte in Wien. Er ist derzeit als Hochschulreferent an der Universität Frankfurt tätig.
Inhalt
Inhalt Einleitung 11 1. Forschungsinteresse 11 2. Nationalsozialismus und Gedächtnis als Forschungsgegenstand 13 3. Theoretische und methodische Zugänge: Gedächtnis und Generation 19 3.1. Gedächtnis, Narrativ und Geschichtspolitik 19 3.2. Generation und Situationsdeutung 23 3.3. Politische Generationen in Österreich 27 4. Fragestellungen und Hypothesen 53 5. Methodik, Quellen und Aufbau der Arbeit 55 Österreichische Gedächtnisgeschichte und Vergangenheitspolitik 1945-1986 58 1. Nationalsozialismus und Gedächtnisgeschichte 58 1.1. Die "Moskauer Deklaration" als "Magna Charta" der Zweiten Republik 58 1.2. Die innenpolitische Verselbständigung der Opferthese 62 1.3. Opferthese und Kriegsdienst 64 1.4. Der antifaschistische Rekurs auf die Opferthese ab Mitte der 1960er Jahre 66 2. Nationalsozialismus und Vergangenheitspolitik 68 2.1. Entnazifizierung und Amnestie 68 2.2. "Wiedergutmachung" 70 2.3. Exkurs: Kunstrückgabe 74 3. Nationalsozialismus und die österreichischen Parteien 77 3.1. Nationalsozialismus, Antisemitismus, Entnazifizierung und "Wiedergutmachung" im Spiegel der Gründungsparteien ÖVP, SPÖ und KPÖ 77 3.2. Die Formierung des "nationalen" Lagers 84 3.3. Die innerparteiliche Integration ehemaliger Nationalsozialisten 86 4. Zusammenfassung: Die Externalisierung des Nationalsozialismus und die Parteien 89 Aufbruch und Beharrung 1986-1988 91 1. Die Waldheim-Affäre und ihre geschichtspolitischen Auswirkungen 92 1.1. Die Waldheim-Affäre 92 1.2. Waldheim und die Opferthese - Geschichtspolitische Positionen der Parteien 111 1.3. Die Watch-List-Debatte 1987 126 1.4. Exkurs: Der "Republikanische Club Neues Österreich" und das zivilgesellschaftliche Engagement der Intellektuellen 135 2. Das Gedenkjahr 1988 152 2.1. Das Gedenken der staatlichen Repräsentanten 154 2.2. Das Gedenken der parteipolitischen Akteure 159 2.3. Das Ehrengaben- und Hilfsfondsgesetz 1988 172 3. Kulturpolitische "Stellvertreterkriege" 178 3.1. Die Kontroverse um das "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" 179 3.2. Die Kontroverse um "Heldenplatz" 191 4. Zusammenfassung: Aufbruch und Beharrung 200 Von der Opferthese zum offiziellen Bekenntnis zur Mitverantwortung 205 1. Vranitzkys Bekenntnis zur Mitverantwortung 1991 und die Reaktionen der Parteien und der Öffentlichkeit 206 1.1. Drei Dimensionen des Mitverantwortungsbekenntnisses 211 1.2. Das Mitverantwortungsbekenntnis in der Retrospektive der politischen Akteure 226 2. Die Wiederannäherung - Die Erklärungen von Vranitzky und Klestil in Israel 231 3. Das Gedenkjahr 1995 237 4. Zusammenfassung 246 Vergangenheitspolitische Konsequenzen der Mitverantwortung und geschichtspolitische Gegenläufigkeiten seit den 1990er Jahren 249 Materielle Konsequenzen: Die Parteien und die "Wiedergutmachung" 249 1. Zwischen Opfer- und Mitverantwortungsthese: Die Parteien und die "Wiedergutmachung" 1988-1995 250 1.1. Der Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus 254 1.2. Die Errichtung des Nationalfonds in der Retrospektive der politischen Akteure 268 2. Die "Holocaust Era Assets"-Debatte in Österreich 273 2.1. Die Internationalisierung von Entschädigung und Restitution 273 2.2. Erste Maßnahmen in Österreich - Kunstrückgabegesetz und Historikerkommission 277 2.3. Zwangsarbeiterfonds und Allgemeiner Entschädigungsfonds 287 2.4. Exkurs: Waldheim remixed - Die ÖVP/FPÖ-Regierung und die "EU-Sanktionen" 304 2.5. Die Errichtung des Versöhnungs- und Allgemeinen Entschädigungsfonds in der Retrospektive der politischen Akteure 310 2.6. "Causa Leopold", die "goldene Adele" und die Novellierung des Kunstrückgabegesetzes 314 3. Die Rehabilitierung der Deserteure 324 4. Zusammenfassung: Die Parteien und die "Wiedergutmachung" 340 Ambivalente Erinnerung: Die Parteien und die Erinnerungskultur 344 1. Denkmal- und Ausstellungskontroversen 344 1.1. Wehrmachtslegende und Opferthese - Die Kontroversen um das Stalingrad-Denkmal und die Wehrmachtsausstellung(en) 344 1.2.