Der Künstler als junger Mann - der neue autobiographische Roman des preisgekrönten Autors
Christian Haller erzählt in diesem autobiographischen Roman die Geschichte eines jungen Mannes, der es sich schon seit Kindertagen angewöhnt hatte, den Anforderungen, mit denen er konfrontiert wurde, auszuweichen. Dieses Verhaltensmuster behält er auch in Freundschaften und bei seiner ersten Liebe bei. Er duckt sich lieber unter den Erwartungen weg, als dass er sich ihnen stellt. Im Vermeiden und Ausweichen entdeckt er aber eine Kraft, die ihn weiter tragen wird, als es selbst die ihm nahestehendsten Menschen für möglich gehalten hätten.
Am 19. Juni um vier Uhr nachts wird Christian Haller von einem dumpfen Schlag geweckt. Es dauert einige Zeit, bis er begreift, was dieser dumpfe Schlag bedeutet: Die Terrasse seines Hauses wurde vom Hochwasser des vorbeifließenden Flusses in die Tiefe gerissen. Aber nicht nur sein Haus ist bis in die Grundfesten erschüttert, auch sein Lebensfundament ist mit einem Mal untergraben und zeigt bedenkliche Risse. Diese Einsicht erschreckt den gerade siebzig Jahre alt gewordenen Autor, sie lähmt ihn aber nicht. Er weiß, wie er dem Schrecken begegnen kann - mit Erzählen. Und dieses Erzählen führt in die Tiefen seiner Erinnerung. Im Ton eines großen autobiographischen Romans blickt er zurück auf die Anfänge seines Lebens. Geduldig und mit einem nicht zu überbietenden Gespür für Stimmungen und untergründig sich regende Gefühle erzählt er von sich als Kind, als Schüler und später als Gymnasiast. Von seiner Leidenschaft für das Theater erzählt er, von der ersten Liebe - und von dem unbezwingbaren Hang, den Anforderungen der Wirklichkeiten auszuweichen und sich in Ersatzwelten zu flüchten. Und er erzählt zugleich von der verblüffenden Fähigkeit, sich in diesen Ersatzwelten mit einer Macht einzurichten, dass er in der Realität doch bestehen kann.
Christian Haller wurde 1943 in Brugg, Schweiz geboren, studierte Biologie und gehörte der Leitung des Gottlieb Duttweiler-Instituts bei Zürich an. Er wurde u. a. mit dem Aargauer Literaturpreis (2006), dem Schillerpreis (2007) und dem Kunstpreis des Kantons Aargau (2015) ausgezeichnet. Zuletzt sind von ihm die 'Trilogie des Erinnerns' und die Romane 'Im Park'(2008) und 'Der seltsame Fremde'(2013) erschienen. Er lebt als Schriftsteller in Laufenburg.
Der Künstler als junger Mann der neue autobiographische Roman des preisgekrönten AutorsChristian Haller erzählt in diesem autobiographischen Roman die Geschichte eines jungen Mannes, der es sich schon seit Kindertagen angewöhnt hatte, den Anforderungen, mit denen er konfrontiert wurde, auszuweichen. Dieses Verhaltensmuster behält er auch in Freundschaften und bei seiner ersten Liebe bei. Er duckt sich lieber unter den Erwartungen weg, als dass er sich ihnen stellt. Im Vermeiden und Ausweichen entdeckt er aber eine Kraft, die ihn weiter tragen wird, als es selbst die ihm nahestehendsten Menschen für möglich gehalten hätten.Am 19. Juni um vier Uhr nachts wird Christian Haller von einem dumpfen Schlag geweckt. Es dauert einige Zeit, bis er begreift, was dieser dumpfe Schlag bedeutet: Die Terrasse seines Hauses wurde vom Hochwasser des vorbeifließenden Flusses in die Tiefe gerissen. Aber nicht nur sein Haus ist bis in die Grundfesten erschüttert, auch sein Lebensfundament ist mit einem Mal untergraben und zeigt bedenkliche Risse. Diese Einsicht erschreckt den gerade siebzig Jahre alt gewordenen Autor, sie lähmt ihn aber nicht. Er weiß, wie er dem Schrecken begegnen kann mit Erzählen. Und dieses Erzählen führt in die Tiefen seiner Erinnerung. Im Ton eines großen autobiographischen Romans blickt er zurück auf die Anfänge seines Lebens. Geduldig und mit einem nicht zu überbietenden Gespür für Stimmungen und untergründig sich regende Gefühle erzählt er von sich als Kind, als Schüler und später als Gymnasiast. Von seiner Leidenschaft für das Theater erzählt er, von der ersten Liebe und von dem unbezwingbaren Hang, den Anforderungen der Wirklichkeiten auszuweichen und sich in Ersatzwelten zu flüchten. Und er erzählt zugleich von der verblüffenden Fähigkeit, sich in diesen Ersatzwelten mit einer Macht einzurichten, dass er in der Realität doch bestehen kann.
Autorentext
Christian Haller wurde 1943 in Brugg, Schweiz, geboren, studierte Biologie und gehörte der Leitung des Gottlieb Duttweiler-Instituts bei Zürich an. Er wurde u. a. mit dem Aargauer Literaturpreis (2006), dem Schillerpreis (2007) und dem Kunstpreis des Kantons Aargau (2015) ausgezeichnet. Zuletzt ist die Novelle »Sich lichtende Nebel« erschienen, für die er den Schweizer Buchpreis 2023 erhielt. Christian Haller lebt als Schriftsteller in Laufenburg.
Leseprobe
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Die Schwindel wurden seltener und hörten schließlich ganz auf, als wir 1947 von Brugg nach Basel umzogen. Unweit unserer neuen Wohnung stand das St. Jakob-Denkmal, und ich sah staunend zu der Frau auf, die, umgeben von gebrochenen Kriegern, hoch aufgerichtet zur Altstadt sah. Die Gestalten aus weißem, angewittertem Marmor erinnerten mich an Figuren aus meiner Kinderbibel, doch hier ragten sie vor Bäumen und einem Sommerpavillon leuchtend zum Himmel. Die Frau mit erhobener Hand schien im Begriff, die gerade Straße zum Äschenplatz und weiter zum Münster zu eilen, von wo nach ersten Spaziergängen mit Mama allmählich das Rot des Sandsteins in meine neue Umgebung drang. Es fand sich nicht allein am Münster, es wehte von den Tür- und Fensterstürzen herrschaftlicher Gebäude in unser Quartier herein, verband sich mit dem gebrochenen Gelb der "Baumgarten-Häuser", diesen in der Zwischenkriegszeit errichteten Mietshäusern, deren Fassadengestaltung dem süddeutschen Barock nachempfunden war. In den beiden Farben, dem Rot des rheinischen Sandsteins und des badischen Gelbs, begegnete mir eine Vergangenheit, von der ich zwar nichts Genaues wusste, die mir jedoch auf rätselhafte Weise vertraut war. Im "Kirschgarten-Museum", das ich mit Mama besuchte, waren selbst die Räume noch entsprechend dem Rot des Sandsteins eingerichtet, und die vornehme Lebensweise, die sich in den hohen Räumen, Kachelöfen, den Bildern und Möbeln ausdrückte, empfand ich als eine mir entsprechende Art des Wohnens: Ich hätte gern in der Zeit des roten Sandsteins gelebt. Einen Nachhall dieses vergangenen Lebens fand ich an der Eulerstraße. Dort wohnten Mamas Eltern. Neben den vererbten, dunkel glänzenden Möbeln gab es auch orientalische Decken, bemalte Keramiken, alte Fotografien, und Großmama erzählte von einer noch anderen Vergangenheit, die "Rumänien" hieß. Diese Vergangenheit hatte die Farbe gebrochenen Gelbs, wie es ähnlich an den Baumgarten-Häusern in unserem Quartier zu finden war.
So gehörten die beiden Farben von nun an zu mir, und sie waren wie das Grün an den Blättern, wie das Rot und Gelb der Blumen in der Gärtnerei in Brugg oder auf den Juraweiden. Nichts Beherrschendes, Anmaßendes, Befehlendes ging von ihnen aus. Sie hielten sich im Gegenteil zurück, umgaben mich mit einem Gefühl von etwas Vertrautem in der noch neuen und unbekannten Umgebung. In der Phantasie konnte ich leicht in die vergangene Zeit des Sandstein-Rots und des Baumgarten-Gelbs zurückgehen, bewegte mich durch Zimmer mit Seidentapeten und Kristalllüstern, wie ich sie im Museum gesehen hatte. Die Stühle hatten hohe Rücken- und geschwungene Armlehnen, standen bei einem Kanapee mit aufgepolstertem Bezug. Durch die Fenster fiel gedämpftes Licht, und im schattig dunklen Hintergrund des Zimmers tagträumte ich eine Tür, durch die ich zum Flur und in ein Kinderzimmer gelangen konnte, das einen Riemenboden und mit Holzpaneelen verkleidete Wände hatte, karg und ordentlich war. Dort gab es neben einem Bett mit Gitterstäben vor allem Spielsachen, die ich selbst nicht besaß, ein Schaukelpferd etwa oder einen Kreisel. Menschen existierten in meinen Phantasien nicht, nur Räume, die ich in meinem Kopf wie ein mir allein gehörendes Museum durchstreifen konnte, und wenn ic…