In seinen besseren Tagen war Remzi Ünal Pilot bei der Luftwaffe und bei Turkish Airlines. Seit er dort rausgeflogen ist, sorgt sein Job als Privatdetektiv fürs nötige Kleingeld. Das ist aber ein Beruf, den es in der Türkei noch gar nicht so richtig gibt. Nicht nur seine Klienten, auch er selbst hat allen Grund, der Polizei aus dem Wege zu gehen. Dass er bei seinem ersten großen Fall nicht nur einen ausgerissenen Studenten finden soll, wird ihm schmerzhaft klar, als er über eine Leiche stolpert, seltsame Päckchen hin- und hertransportieren soll und plötzlich seine Aikido-Kenntnisse dringend braucht. Er lernt die verborgenen Seiten von Istanbul kennen.
Celil Oker, geboren 1952 in Kayseri, studierte Anglistik in Istanbul. Danach arbeitete er als Journalist, Übersetzer und Leiter einer Werbeagentur. Als er in der Zeitung die Ausschreibung las für den ersten türkischen Wettbewerb für Kriminalliteratur, beschloss er, seinen Lebenstraum zu verwirklichen, und schrieb Schnee am Bosporus. Er gewann den ersten Preis und hat inzwischen bereits fünf Bände der Remzi-Ünal-Serie veröffentlicht.
Autorentext
Celil Oker, geboren 1952 in Kayseri, gestorben 2019, studierte Anglistik in Istanbul. Danach arbeitete er als Journalist, Übersetzer und Leiter einer Werbeagentur. Seit 1998 lehrte er an der Fakultät für Kommunikation an der Istanbuler Bilgi-Universität.1999 las er in der Zeitung die Ausschreibung für den ersten türkischen Wettbewerb für Kriminalliteratur. Er beschloss, seinen Lebenstraum zu verwirklichen, und schrieb Schnee am Bosporus. Er gewann den ersten Preis und hat seither fünf Bände der Remzi-Ünal-Serie veröffentlicht.
Leseprobe
1
I ch hatte gerade mit meiner Cessna Skylane RG zur Landung auf dem Internationalen O'Hare-Flughafen von Chicago angesetzt, als drinnen das Telefon läutete.
Das Rauschen des durchs offene Fenster hereinwehenden Windes, das Brummen der Motoren sowie der Lärm, der just in diesem Moment durch das Ausfahren des Fahrwerks entstanden war, mochten verantwortlich sein dafür, dass ich das Klingeln des Telefons fast überhörte. Meine Augen wanderten zwischen dem Höhenmesser und dem Variometer hin und her, und ich versuchte - in einem Anfall von Masochismus -, eine perfekte Landung durchzuführen. Schnell nahm ich einen Schluck von meinem lauwarm gewordenen Nescafé. Weit und breit war kein anderes Flugzeug zu sehen.
Ich hatte etwa die Hälfte der Landepiste unter mir zurückgelegt, als plötzlich ein Seitenwind auftauchte und meinem kleinen Flieger einen heftigen Stoß versetzte. Ich drosselte die Motorleistung noch etwas. Das zweite Läuten des Telefons nahm ich zwar verärgert wahr, doch zog ich vor, es zu ignorieren. Ich hatte wieder einmal zu viel Tempo. Also reduzierte ich die Geschwindigkeit nochmals.
Beim dritten Klingeln des Telefons begann ich zu fluchen. Dieser Störenfried setzt alles daran, mich an einer ordentlichen Landung zu hindern. Er soll gefälligst warten. Ich nahm noch mehr Leistung zurück. Mein Flugzeug reagierte mit einem Hechtsprung, der mich in Panik versetzte. Also drehte ich wieder auf.
Meine Handinnenflächen waren leicht verschwitzt. Ich hatte Lust auf eine Zigarette, doch dafür blieb keine Zeit. Die Landebahn kam immer näher auf uns zu, und ich hob die Nase meines Fliegers wieder leicht an. Doch bereits das war zu viel, zumindest schien es mir so. Also richtete ich die Flugzeugnase wieder nach unten. Die Instrumententafel beachtete ich längst nicht mehr. Das war ein Fehler. Mein sicherer, auf unzähligen geglückten Landungen basierender Instinkt war wie ausgeschaltet durch diese Panik. Von neuem riss ich das Flugzeug hoch.
Die Rollbahn lag jetzt wieder genau unter mir. Meine Geschwindigkeit war viel zu hoch. Ich nahm das Gas ganz weg. Der verfrühte Ton der Überziehwarnung erklang zusammen mit dem vierten Läuten des Telefons. "Ruhig, verdammt noch mal", rief ich zum Telefon hinüber.
Um die sich mit jeder Sekunde verkürzende Piste unter mir nicht zu verpassen, kippte ich die Nase meines Fliegers hastig nach unten. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Räder stießen hart auf die Rollbahn auf. Zu hart. Zuerst zeigten sich Risse in den Flugzeugfenstern, dann war ein höllischer Lärm zu hören; schließlich stand ganz unten auf dem Bildschirm die Botschaft "You have crashed!".
Während ich zusehen musste, wie meine arme Cessna in die Brüche ging, läutete das Telefon zum fünften Mal. Ich erhob mich von meinem Platz und lief ins Wohnzimmer.
Ich nahm den Hörer ab und bellte hinein: "Ja, was ist ..."
Der Anrufer hatte wohl inzwischen die Hoffnung aufgegeben; jedenfalls hörte ich zunächst einmal gar nichts. Dann ertönte eine gutturale Frauenstimme mit einem Zungenschlag, der absolut nicht nach Istanbul gehörte: "Remzi Ünal? Spreche ich mit Remzi Ünal?"
"Ja, hier Remzi Ünal", antwortete ich. Remzi Ünal ... Expilot und Exflugkapitän, ausgetreten aus der Luftwaffe, geschasst von den Turkish Airlines, Remzi Ünal, den kein "frequent flyer" auch nur dem Namen nach kennt, den selbst die billigste Chartergesellschaft nicht haben will und der - dank Ihnen - nicht einmal imstande ist, seine Cessna auf dem Flight Simulator ordentlich zu landen, hier ist er, neu erstanden als Privatdetektiv Remzi Ünal.
"Äääm, ich verbinde Sie mit Yusuf Bey", näselte die Stimme. Offensichtlich hatte die Frau in einem Film eine Sekretärin so sprechen hören.
"Und wer ist bitte Yusuf Bey?"
Die Stimme schien plötzlich ihr Selbstbewusstsein eingebüßt zu habe