In seinem neuen Buch zeigt Axel Honneth, was es aus der philosophischen Tradition über einen vernünftigen Begriff der Freiheit noch zu lernen gibt, was sich heute der Realisierung einer solchen Freiheit in den Weg stellt und woher schließlich die Anregungen für eine weitere Verwirklichung von Freiheit stammen können. In einem ersten Schritt unternimmt er eine zwischen Hegel und Marx vermittelnde Begriffsklärung, während sich der zweite Teil sozialen Problemfeldern zuwendet, in denen die gegenwärtigen Hindernisse einer Realisierung von Freiheit besonders deutlich ins Auge fallen. Abschließend wird der Versuch unternommen, Triebkräfte zu bestimmen, die dem Kampf für die Freiheit heute neuen Aufschwung verleihen könnten.
Axel Honneth, geboren 1949, ist Jack C. Weinstein Professor of the Humanities an der Columbia University in New York. Von 2001 bis 2018 war Honneth geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialforschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Autorentext
Axel Honneth, geboren 1949, ist Jack C. Weinstein Professor of the Humanities an der Columbia University in New York. 2015 wurde er mit dem Ernst-Bloch-Preis, 2016 für Die Idee des Sozialismus mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch ausgezeichnet. 2021 hielt er in Berlin seine vielbeachteten Benjamin-Lectures zum Thema des Buches Der arbeitende Souverän.
Leseprobe
7 Vorwort: Die Armut unserer Freiheit
Die Mehrzahl der Aufsätze, die in dem vorliegenden Band versammelt sind, verdankt sich dem Versuch, einige mir später klargewordene Lücken meines Buches Das Recht der Freiheit [1] nachträglich zu füllen; als 2012 die ersten ausführlicheren Reaktionen auf meine Studie erschienen und mich auf gewisse Mängel meiner Überlegungen hinwiesen, habe ich damit begonnen, offengebliebene Fragen zu klären und nicht hinreichend bestimmte Thesen weiterzuentwickeln. Im Rückblick auf diese über einen Abstand von sieben Jahren entstandenen Beiträge bin ich zu dem Entschluss gelangt, sie in einem Band zu versammeln, der um den Begriff der "sozialen Freiheit" kreist; denn in kaum einem der hier versammelten Aufsätze unternehme ich nicht den Versuch, entweder durch Auseinandersetzung mit der Tradition eines solchen Freiheitsbegriffs, durch Aufweis einer mangelnden Realisierung seines normativen Gehalts in der sozialen Gegenwart oder schließlich durch Benennung seiner nach wie vor bestehenden Impulse einen weiteren Schritt in Richtung einer Aufhellung seiner Bedeutung zu unternehmen. Den Titel, den ich dann dem ganzen Band geben konnte, Die Armut unserer Freiheit , habe ich in leichter Abänderung einem der hier veröffentlichten Beiträge entnommen, in dem ich anhand von Hegels Konzept der Sittlichkeit die Idee der sozialen Freiheit weiter habe aufklären wollen: Dass wir heute unter einer Armut an Freiheit leben, soll heißen, dass es uns bislang in dem Bemühen um eine Realisierung der normativen Versprechen moderner Gesellschaften nicht gelungen ist, die Prinzipien sozialer Freiheit dort zu verwirklichen, wo sie am dringlichsten erforderlich wären.
Wie diejenigen wissen, die meine Studie gelesen haben, bildete die Sittlichkeitslehre Hegels das theoretische Rückgrat von Das Recht der Freiheit ; insofern steht sie auch im Zentrum der Aufsätze des I . Teils dieses Sammelbandes, in dem ich vornehmlich in der Beschäftigung mit der philosophischen Spannung zwischen Hegel 8 und Marx den Begriff der sozialen Freiheit noch einmal weiter zu erläutern versuche. Was mir über die besondere Bedeutung hinaus, welche die intellektuelle Konstellation von Hegel und Marx für das Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie als solche besitzt, an dieser Rückschau auf eine konstitutive Debatte des 19. Jahrhunderts von besonderem Gewicht zu sein scheint, ist die Selbstverständlichkeit, mit der damals die Idee der sozialen Freiheit als eine eigenständige Auffassung davon behandelt wurde, was es für uns heißt, tatsächlich frei zu sein: Sowohl Hegel als auch Marx waren der Überzeugung, dass individuelles Frei-Sein letztlich nur in geglückter Intersubjektivität gegeben sein kann, weil es dem Einzelnen ohne die anerkennende Bestätigung durch den Anderen nicht zu gelingen vermag, seine Absichten und Impulse zwanglos zu realisieren - nur dass beide Denker dann sehr unterschiedliche Vorstellungen davon entwickelten, welche sozialen Einrichtungen vorhanden sein müssen, um eine derartige Form von geglückter Intersubjektivität gesellschaftlich zu ermöglichen. Meine Beiträge im I . Teil des vorliegenden Bandes gehen diesen von Hegel und Marx entwickelten Alternativen in beiden Richtungen nach, um zu einer Einschätzung ihres jeweiligen Wertes für unser heutiges gesellschaftliches Selbstverständnis zu gelangen. Im letzten Aufsatz dieses Teiles unternehme ich hingegen den Versuch, den systematischen Kern der Idee sozialer Freiheit in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Freiheitsbegriffen der neuzeitlichen Tradition zu umreißen - ohne mit dem Ergebnis allerdings schon vollkommen zufrieden zu sein.
Der Titel des II . Teils - "Deformationen sozialer Freiheit" - soll signalisieren, dass es hier um Bemühungen geht, genauer zu erkunde