CHF11.90
Download steht sofort bereit
Antonia Baum führt das typische Leben einer jungen, privilegierten Frau in der Großstadt: Sie hat einen interessanten Job, führt eine feste Beziehung und genießt die urbanen Annehmlichkeiten. Ihre Umgebung in einem sozial schwachen Bezirk kann sie dabei weitgehend ausblenden. Dann erwartet sie ein Kind - und plötzlich ist ihr Blick auf ihr Leben völlig verändert, und sie bekommt Angst. Nicht nur scheint ihr Platz in der Gesellschaft plötzlich unklar zu sein, ihre Identität ist in Gefahr und die Nachbarn wirken bedrohlich. In ihrem Buch macht Antonia Baum das Persönliche politisch, sie schildert ihr Erleben und kommt dabei auf die ganz großen gesellschaftlichen Themen: wie Erfolgreiche und Abgehängte nebeneinanderher leben , wie man Mutterschaft und ein eigenes Leben verbindet, weshalb man sich mit Kind plötzlich in altmodischen Beziehungsmodellen wiederfindet und warum Mütter es eigentlich niemandem recht machen können.
Antonia Baum, geboren 1984, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Kulturwissenschaft. Sie hat verschiedene Kurzgeschichten veröffentlicht und erhielt große Medienresonanz für ihre erschienenen Romane 'Vollkommen leblos, bestenfalls tot' (2011) und 'Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren' (2015) und 'Tony Soprano darf nicht sterben' (2016). Seit Februar 2012 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Autorentext
Antonia Baum, geboren 1984, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Kulturwissenschaft. Sie hat verschiedene Kurzgeschichten veröffentlicht und erhielt große Medienresonanz für ihre erschienenen Romane "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" (2011) und "Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren" (2015) und "Tony Soprano darf nicht sterben" (2016). Seit Februar 2012 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Leseprobe
2
Mein Freund und ich flogen nach Israel. Wir lagen auf dem Boden eines Airbnb-Appartements, das im Internet viel größer ausgesehen hatte, und schwiegen. Ich hätte gerne etwas gesagt, denn wir schwiegen zu viel in diesem Appartement. Ich hätte gerne etwas gesagt, aber da war nichts. Das Schweigen war wie eine Treppe hoch in den Wahnsinn, und der Rhythmus unseres Atems machte die Stufen. Ich ging auf die Dachterrasse und sah in den Himmel, der rosafarbene Streifen hatte. Es dämmerte. Ich wollte rauchen, Wodka trinken und Drogen nehmen, aber das ging nicht. Das wären unter normalen Umständen die Mittel meiner Wahl gewesen. Oder Kleider kaufen, aber das ging auch nicht, denn ich wusste nicht, für welchen Körper. Ich ging zurück und legte mich wieder neben ihn. Ich hörte den Takt unseres Atems und konnte nicht mehr. Mit einer Stimme, die klang, als würde sie beim Sprechen umknicken, machte ich ihn darauf aufmerksam, dass sich soundso viel Prozent (es war eine recht hohe Zahl) der Paare im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes trennen würden. Dass man von Kindern erst mal unglücklich wird (auch da gibt es eine Studie). Dass er es vollkommen vergessen könne, intensiv an seiner Kunst zu arbeiten. Dass er keine Ahnung habe, worauf er sich da einlasse, und mit Sicherheit unterschätzte, wie hart es werden würde. Er sagte, dass ihm die Studien egal seien.
Und seit wann interessierst du dich überhaupt für Studien?
Seit wir nicht mehr wissen, was uns erwartet. Seit ich weiß, dass wir unser Leben bald nicht mehr im Griff haben werden.
Er sagte, er unterstütze mich, egal, wie ich mich entscheiden würde, und nannte das, was in meinem Bauch war, den kleinen Flips. Ich erschreckte mich, war aber auch froh darum, denn ich hatte gehört, dass Babys schlechte Vibes schon im Mutterleib mitbekommen.
Wir gingen zum Strand und schwiegen weiter. Das Schweigen wurde immer lauter, und ich schämte mich dafür. Das Schweigen erzählte klagend, aber ganz ohne sich zu schämen, von meiner Not und seiner Ratlosigkeit. Warum war das Problem bei mir (das heißt literally in mir) und er nur derjenige, der mich »unterstützen« wollte? Ich fragte ihn, warum das so sei, und er antwortete: »Wenn ich sage, ich will, hast du Angst, nicht mehr frei entscheiden zu können. Das heißt: Ich will, aber wenn du nicht willst, bin ich bei dir.«
Ich hasste, dass ich panisch war und er ruhig, genau so, wie es im Drehbuch stand. Warum war das so? Warum glaubte ich trotz der Worte meines Freundes, es sei allein meine Aufgabe zu entscheiden? Weil ich davon überzeugt war, dass ich, im Gegensatz zu ihm, nicht gehen konnte? Ging jetzt das, was man so häufig mit Biologie begründete, los, diese geheime Macht, die Frauen und Männer teilte und von der ich mich immer versucht hatte fernzuhalten, der ich geglaubt hatte, längst entkommen zu sein?
Vorher war diese Teilung stärker spürbar gewesen. Als Mädchen hatte ich es gehasst, dass es die Jungs waren, die um mich werben sollten. Dass ich mir das stumm, heilig und lange ansehen sollte. Wichtig war es gewesen, möglichst oft Nein zu sagen. Die von der zweiten feministischen Bewegung inspirierten Frauen, mit denen ich als Teenager zu tun hatte, sagten, dass Mädchen sich nehmen konnten, was sie wollten. Sie sagten, dass wir genauso sein könnten wie Jungs. Das heißt Jungs, nicht Mädchen waren die Bezugsgröße. Besonders glücklich machte es sie, wenn wir Dinge taten, die typischerweise Jungs taten (Lager bauen, ruppig sein, sich für Technik interessieren). Auch wenn ich glaube, dass die Antwort auf Geschlechterungerechtigkeit nicht ist, dass sich alle verhalten, wie Männer sich angeblich verhalten, hatten diese Impulse bestimmt etwas Gutes, weil sie Bewegung in alte Strukturen brachten.
Praktisch funktionierten die Ratschläge allerdings nicht, weil sie die Regeln des Spiels zwischen Jungs und Mädchen durcheinanderbrachten, was besonders im Teenageralter deutlich wurde. Ein st