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Wissen ist Macht, heißt es, und gut ist, was man jederzeit abrufen und messen kann - vor allem in ökonomischer Hinsicht. Wir leben in einer Welt der Zahlen und Formeln, Zeit ist Geld, Erfolg rein materiell. Im Angesicht der Krise wird deutlich, welchen monströsen Götzen wir opfern. Der ehemalige Benediktinermönch und Bestsellerautor Anselm Bilgri erinnert unsere Wissens- und Informationsgesellschaft an ein anderes Bildungsideal: die Herzensbildung. Im Vordergrund stehen die sozialen, emotionalen, kommunikativen, religiösen und künstlerischen Fähigkeiten des Menschen. Herzensbildung ist nicht unmittelbar zweckgerichtet, sondern zielt auf die Entfaltung von Persönlichkeit und die Formung unseres Wesens. Sodass das, was die alten Philosophen unter Glückseligkeit verstehen, überhaupt erst möglich wird.
Anselm Bilgri, geboren 1953, war bis 2004 Benediktinermönch, Cellerar und Prior des Klosters Andechs. Heute wirkt der 'Gratwanderer zwischen Kirche und Welt' als Vortragender, Buchautor, Coach und Mediator. und ist Mitgründer der Akademie der Muße. Bei Piper erschienen seine Bücher 'Finde das rechte Maß', 'Stundenbuch eines weltlichen Mönches', 'Herzensbildung' und 'Vom Glück der Muße'.
Vorwort
Über die Wiederentdeckung unserer inneren Werte.
Autorentext
Anselm Bilgri, geboren 1953, war bis 2004 Benediktinermönch, Cellerar und Prior des Klosters Andechs. Heute wirkt der "Gratwanderer zwischen Kirche und Welt" als Vortragender, Buchautor, Coach und Mediator. und ist Mitgründer der Akademie der Muße. Bei Piper erschienen seine Bücher "Finde das rechte Maß", "Stundenbuch eines weltlichen Mönches", "Herzensbildung" und "Vom Glück der Muße".
Leseprobe
LIEBE
für die
Ego-Gesellschaft
»Liebe und tu, was du willst!«
AUGUSTINUS
Seit der Aufklärung, also seit der Zeit, die wir die Moderne nennen, strebt der Mensch nach der Freiheit von Bindungen. Ging es zunächst darum, Gebundenheiten an vorgegebene Autoritäten und Strukturen zu überwinden, etwa im feudalistischen Ständestaat mit seinen seit Jahrhunderten gewachsenen gegenseitigen Abhängigkeiten und Privilegien, so durchdrang die Idee der Freiheit und Ungebundenheit des Individuums immer mehr den Bereich der persönlichen Lebensgestaltung. Individualismus nennen wir dieses Phänomen. Man denke nur an die Freiheit bei der Partner- und Berufswahl, die es in einem derart hohen Maße wie zu unserer Zeit nie in der Geschichte menschlicher Gesellschaften gegeben hat. Früher bestimmten die Herkunftsfamilie und ihr gesellschaftlicher »Stand« den zukünftigen Ehepartner und den »zünftigen« Beruf. Heute erleben wir dies in der Regel nur noch in der Begegnung mit anderen Kulturen, in Zeiten der Migration oft vor der eigenen Haustüre. Den langen Weg, den unsere Gesellschaft hier zurückgelegt hat, erfahren wir bewusst, wenn etwa der türkische Nachbar erzählt, dass seine Verwandten in der Heimat die Braut für ihn ausgesucht haben. Wir mögen ihn - und uns - dann fragen: Wo bleibt die Liebe? Und meinen damit unseren modernen, von der freien Wahl des Lebenspartners geprägten Begriff. Für unsere Großeltern hatte dieser Begriff auch noch einen anderen Klang, das merkte ich während meiner Jahre als Pfarrer in dem sehr ursprünglich gebliebenen Dorf Machtlfing, von Andechs aus Richtung Feldafing gelegen. Wenn ich bei meinen Gesprächen mit den älteren Dorfbewohnern, zu deren Jugendzeit diese Form der Lebenspartnerwahl noch durch andere Kriterien wie die Größe des Hofes und Anzahl des Viehs im Stall bestimmt wurde, nach der Liebe fragte, so antworteten sie oft, sie sei mit der Zeit schon gewachsen. Das Wort Liebe hat hier eine andere Bedeutung.
Was also meinen wir, wenn wir von Liebe sprechen? Thomas von Aquin, der große Gelehrte des christlichen Mittelalters und bestimmende Theologe bis ins 20. Jahrhundert herein, hat die Liebe mit dem Willen in Verbindung gebracht. Er nennt die Liebe sogar eine Tugend des Willens. Für den deutschen Philosophen und Thomas-Experten Josef Pieper bedeutet Liebe so viel wie gutheißen. »Jemanden oder etwas lieben heißt: diesen jemand oder dieses Etwas 'gut' nennen und, zu ihm gewendet, sagen: Gut, dass es dich gibt; gut, dass du auf der Welt bist!« Diese Gutheißung ist eine Willensäußerung. Sie hat den Sinn: Ich will, dass es dich, dass es das gibt!
Für uns Heutige scheint diese Verbindung nur schwer nachvollziehbar zu sein, ist der Bereich des Willens doch eher gegen den Affekt, also das Gefühl der Liebe gerichtet. Wille hat nach unserem modernen Empfinden mehr mit Leistung, Anstrengen, Tun, Erfolg, Selbstverwirklichung zu tun. Mehr mit dem Ich als mit dem Du. Das Wollen vermittelt eher rationale Kühle als gefühlsmäßige Wärme. Der Wille scheint zuerst auf den eigenen Vorteil bedacht und nicht auf das Wohlergehen des anderen. Wir sprechen nicht von ungefähr von der Ego-Gesellschaft, die sich breitzumachen scheint, im Gegensatz zur Solidargemeinschaft der oft diskreditierten Sozialromantiker. Damit verbunden konstatiert man dann die soziale Kälte der modernen, von Wettbewerb und Ökonomie bestimmten Lebenseinstellung, versehen mit dem Etikett des Neoliberalismus.
Damit schließt sich der Kreis zum Ausgangspunkt unserer Überlegung, der Freiheit des Individuums. Sie zu verwirklichen und bis zu den Grenzen auszuloten, das scheint die Maxime unserer Zeit zu sein. »Das Prinzip Eigennutz«, so ein vielzitierter Buchtitel eines bekannten Verhaltensforschers, steht am Anfang der biologischen Entwicklung des Lebens hin zu sozialen Verbänden von Lebewesen, die gerade im Miteinander ihre Ind