CHF18.90
Download steht sofort bereit
Silvia lebt mit ihrer 13-jährigen Tochter Maria in Rom. Als sie ihren Freund Antonio zum Essen einlädt, merkt sie, wie ihre Tochter hemmungslos mit Antonio flirtet und sich verführerisch in Szene setzt. Silvia bereitet dem Spiel ein Ende und wirft Antonio hinaus. Doch ihr Machtwort kommt zu spät. Das Unglück ist Jahre vorher geschehen. Als Silvia mit Marias Vater Giorgio in Marokko lebte. Als Giorgio Maria zu nahe kam. Als Silvia es nicht schaffte einzugreifen. Und Giorgio unter zweifelhaften Umständen den Tod fand. - 'Ein reifes Mädchen' ist die Geschichte einer Lolita aus weiblicher Perspektive. Intensiv und psychologisch meisterhaft erzählt Anna Giurickovic Dato von Hilflosigkeit und Liebe, Macht und Unschuld und der Ohnmacht in einer Familie.
Anna Giurickovic Dato, geboren 1989 in Catania, ist eine italienische Schriftstellerin. 2012 gewann sie mit einer Kurzgeschichte den ersten Platz beim 'Io, Massenzo'-Wettbewerb des Internationalen Literaturfestivals in Rom, 2013 war sie Finalistin für den Chiara Giovani Award. Ihr erster Roman 'Das reife Mädchen' wurde in Italien von Kritik und Publikum gefeiert und international in sechs Länder verkauft. Anna Giurickovic Dato lebt in Rom.
Autorentext
Anna Giurickovic Dato, geboren 1989 in Catania, ist eine italienische Schriftstellerin. 2012 gewann sie mit einer Kurzgeschichte den ersten Platz beim "Io, Massenzo"-Wettbewerb des Internationalen Literaturfestivals in Rom, 2013 war sie Finalistin für den Chiara Giovani Award. Ihr erster Roman "Das reife Mädchen" wurde in Italien von Kritik und Publikum gefeiert und international in sechs Länder verkauft. Anna Giurickovic Dato lebt in Rom.
Leseprobe
Bougainvillea
Maria kommt zurück, schlägt die Haustür hinter sich zu. Sie wirft den Beutel mit den Bohnen auf den Küchentisch. »Ich muss mich beeilen, gleich kommt dein Antonio, und ich sehe furchtbar aus.«
»Wieso furchtbar?«
»Ich möchte schön sein.«
»Das bist du jetzt schon, hilf mir ein bisschen in der Küche.«
Sie blickt mich scheel an, als hätte ich sie um etwas Unerhörtes gebeten.
»Willst du, dass ich einen guten Eindruck mache, oder nicht?«
Schwankend und brummend geht sie aus der Küche. Die Haare im Gesicht. Mein Blick fällt durch die Gardinen auf den Balkon gegenüber. Keine Blumen, nur ein paar Wäschestücke an der Leine, die sich nicht bewegen, obwohl ein leichter Wind weht. Zwei im Schatten der Hauswand schlafende Katzen.
Durch die Fenster unseres Hauses in Rabat blickten wir dagegen auf eine üppige Bougainvillea, eine außergewöhnlich kräftige Pflanze, die beim Nachbarn gegenüber wuchs. Ihre Blüten spielten vom Zartrosa ins Feuerrot, und dort, wo die Blütenblätter der Sonne ausgesetzt waren, färbten sie sich dunkelorange. Unser Nachbar schnitt die Äste ab, die sich an die Läden seiner großen Fenster geheftet hatten, doch sie wuchsen großzügig nach, kletterten an den Hausmauern empor und fielen dann in dichten Farbwolken wieder herab, eine wahre Augenweide. Es heißt, die Bougainvillea sei eine empfindliche Pflanze, die viel Pflege braucht. »Meine« aber klammerte sich wuchernd an alles, was Halt bot, wuchs energisch und übermütig in die Höhe. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, als ich mir Maria auf den Schoß setzte, »siehst du die Bougainvillea dort?«, und dachte, dass mein kleines Mädchen auch so kräftig und schön heranwuchs. Damals hatte sie einen schimmernden Teint und lebhafte, klare Augen, den aufmerksamen Blick bei ihren Kinderspielen. Ich zog ihr Kleidchen mit Blumenmuster oder in altweißer Farbe an, damit ihre sonnengebräunten Ärmchen zur Geltung kamen. Es machte mir Spaß, ihr die Haare zu bürsten, sie zu Zöpfen zu flechten und um ihre Stirn zu winden, »wie bei einer Berberprinzessin«.
»Spielen wir, dass ich die Berberprinzessin bin und du der Prinz Salamin?«, bat sie mich und nahm meine Hände.
»Es war einmal eine wunderschöne Berberprinzessin, die lebte in der Wüste bei ihrem Vater, der Ziegen hütete und Kamele besaß. Prinz Salamin war schön, aber gelangweilt, und er lebte in einer weit entfernten, kalten Stadt. Eines Tages fiel ihm ein Bildnis der Prinzessin in die Hände. Er verliebte sich sofort in sie und beschloss, sie zu suchen. Hundert Tage und hundert Nächte lang wanderte er, litt Hunger und Durst.«
»Und dann findet er ein Kamel.«
»Das ihn mitten in die Wüste bringt, in die Dünen von Chegaga.«
»Er kommt in einer Oase an, und dort findet er die Berberprinzessin.«
Damals verbrachte ich viel Zeit mit meiner Tochter. Mein Mann war häufig auf Reisen, und ich hatte in Marokko nicht viel zu tun, außer über die Märkte zu bummeln und dort in die warme, lebhafte Atmosphäre einzutauchen. Mit Leib und Seele widmete ich mich Maria. Die Tage erschienen mir lang, ich zog ihr bequeme Schühchen an und ging mit ihr im Park am Mechouar-Platz in der Nähe des Königspalasts spazieren. Manchmal war sie fröhlich und neugierig, dann bestürmte sie mich mit Fragen. Wenn ich die Antwort nicht wusste, wurde ich ärgerlich und sagte: »Schluss jetzt mit diesen dummen Fragen«, denn ich wagte nicht zuzugeben, dass ich etwas nicht wusste. Marias Miene verfinsterte sich sofort. Es geschah sehr schnell, von einem Moment zum anderen, bloß wegen eines Satzes oder einer kleinen Unaufmerksamkeit, dass sie sich zurückzog, beleidigt verstummte. Ich nahm ihre Hand, sie entwand sich und steckte die Hand in die Manteltasche.
»Bist du böse auf mich?«
»Du bist doch böse auf mich.«
»Ich bin nicht böse, Liebes.« Ich nahm sie in den Arm, aber während ich sie an mich drückte, weinte sie.
»Du hast mich nicht