Reisen, das Unterwegssein mit leichtem Gepäck, ist für Andreas Altmann eine Daseinsform. Sein Ziel dieses Mal: Südostasien. Thailand - mit einem Abstecher nach Myanmar-, Kambodscha, Vietnam. Ohne festen Plan, einzig seiner Intuition folgend. Er meidet die Touristenströme, begegnet Bettelmönchen und Schuhputzern, Zivilisationsmüden und Gestrandeten, einem alten Schriftsteller und einer exzentrischen Architektin. Sein Bericht strotzt vor Momenten praller Sinnlichkeit, ein wilder road movie und eine Reflexion über das Fremde und das eigene, reisende Selbst.
Andreas Altmann zählt zu den bekanntesten deutschen Reiseautoren und wurde u. a. mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Seume-Literaturpreis und dem Reisebuch-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm 'Leben in allen Himmelsrichtungen' sowie die Bestseller 'Verdammtes Land. Eine Reise durch Palästina', 'Gebrauchsanweisung für die Welt' und 'Gebrauchsanweisung für das Leben' und 'In Mexiko'. Andreas Altmann lebt in Paris.
Autorentext
Andreas Altmann zählt zu den bekanntesten deutschen Reiseautoren und wurde u. a. mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Seume-Literaturpreis und dem Reisebuch-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm "Leben in allen Himmelsrichtungen" sowie die Bestseller "Verdammtes Land. Eine Reise durch Palästina", "Gebrauchsanweisung für die Welt" und "Gebrauchsanweisung für das Leben" und "In Mexiko". Andreas Altmann lebt in Paris.
Leseprobe
KAMBODSCHA
Am nächsten Morgen kratzt ein Hund an meiner Hotelzimmertür. Früher hätte ich geglaubt, dass ich in einem meiner Vorleben ein (armer) Hund war, der sich damals ein paar Freunde gemacht hat. Ich öffne. Wenn man allein reist, ist man für alle Zeichen der Wärme dankbar.
Zehn Minuten braucht ein Tuk-Tuk von Aranya Prathet bis zur Grenze nach Kambodscha. Schon ab acht Uhr schuften sie hier, ziehen per Hand die voll gestapelten Karren von einem Land ins andere. Vom reichen Thailand zum armen Nachbarn. Und umgekehrt. Kinder, Kulis, Frauen, Alte, jeder zerrt, jeder schiebt, jeder muss leben. Zwischendrin die Geldbesitzer, meist Thais. Sie schleppen nichts anderes als ihre Kreditkarten und die pralle Börse. Ihr Ziel liegt noch zweihundert Meter entfernt. Drüben auf der kambodschanischen Seite stehen die Casinos. Deshalb hat die thailändische Regierung gekonnt scheinheilig ein großes Schild noch vor dem Grenzübergang aufstellen lassen: Leaving the kingdom for gambling purposes may not be safe for personal life and property. Scheinheilig, weil Thailand am Bau und Gewinn der Spielhöllen beteiligt ist. Der warnende Hinweis soll niemand abhalten, im Gegenteil, er soll den Ruch steigern.
Für zehn Euro bekommt man das Visum vor Ort, umgehend. Wer gerne als Krimineller in der Gegend unterwegs sein will, sollte vorher aufmerksam einen anderen Hinweis lesen: Wer Drogen einführt, ausführt, kauft oder verkauft, wird mit Lebenslänglich oder Exekutierung bestraft. Zwischen den beiden Grenzhäusern haben sich die Bettler positioniert, einer hinter dem anderen. Das neue Land stellt sich vor. Als ich meinen Pass zurückbekomme, liegt ein gelber Zettel bei, Hinweis auf SARS. Jeder soll seine hiesige Adresse eintragen. Für den Fall, dass ein SARS-Verdächtiger sich im selben Transportmittel befand. Damit alle umgehend kontaktiert und getestet werden können. Reisen wird nicht gesünder.
Ich ziehe auf der Hauptstraße durch das staubige Poipet und finde eine anständige Unterkunft. Anständig, weil sie nicht heucheln, sondern praktisch mit der Wirklichkeit umgehen. Auf jedem Stockwerk hängen Poster mit einem halbnackten Paar in eindeutiger Umarmung, Text darunter: Don t forget the Number One Quality Condoms! Und unten an der Rezeption steht eine durchsichtige Dose, hier liegt die Nummer eins zum Verkauf aus. Eine Brise Heuchelei muss dennoch sein, irgendwo steht: No prostitutes in hotel! Als ich nachfrage, kichert das Personal verschämt, einer sagt rätselhaft: »Maybe.«
Im Zimmer liegt noch eine Nachricht aus: Looking in hotel room not allowed! Doch ein strenges Haus: Schauen verboten! Bis es mir dämmert. Ich nehme den Farbstift und mache aus dem L ein C: Kochen verboten! Das ist o.k., ich habe mir schon vor vielen Jahren untersagt, irgendwelche Küchengeräte in die Hand zu nehmen.
Poipet sieht verkommen aus, ein Nest an der Grenze. Das sind die besten Voraussetzungen, um Männer und Frauen mit einer Geschichte zu treffen. Ich verlasse mein Hotel, und keine drei Minuten später spricht mich ein Mann an, der sich als Chring Seng vorstellt. Nach 25 Worten sind wir bei der Geschichte seines Landes angekommen.
Wer Kambodscha bereist, sollte sich darauf gefasst machen, dass kein Tag, kein halber Tag vergehen wird, an dem ihn nichts an die Tragödie dieses Landes erinnert: an die Jahre 75 bis 79, in denen Pol Pot, ein mörderischer Psychopath, und seine Gefolgschaft, die mörderischen Khmer Rouge, über 1,5 Millionen ihrer Landsleute vernichteten. Mit dem festen Willen, auf dem Leichenhaufen den Neuen Menschen zu errichten. Der nie zur Welt kam. Am 7. Januar 1979 vertrieben vietnamesische Truppen das Terrorregime aus Ph