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Döblins meisterhafter Familien- und Epochenroman Eine Witwe zieht nach Berlin und versucht sich dort mit ihren drei Kindern durchzuschlagen. Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch richtet sich ihr neu erwachter Ehrgeiz auf die Karriere des ältesten Sohnes. Und tatsächlich gelingt dem Sohn in den Zwanziger Jahren in Berlin der gesellschaftliche Aufstieg. Dann aber stellt die Wirtschaftkrise alles in Frage ... Mit einem Nachwort von Sabina Becker
Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
Autorentext
Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman Berlin Alexanderplatz. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
Leseprobe
Die Großstadt
Morgens brachte er den Kleinen zur Schule. Die Mutter hatte, wie er in die Küche kam, vergrämt am Gasherd gesessen, die Matratze stand schon an der Wand. So grau und elend war das Gesicht der Mutter, so still ihre Bewegungen, daß er, wie er den Jungen in der Schule abgegeben hatte, wieder nach Hause lief, zitternd die vier Treppen hinauf, was wollte er denn sagen, ach, er hätte kein Taschentuch, er hätte seinen Hut vergessen.
Sie war nicht in der Küche, sie lag in der Stube, auf dem ungemachten Bett des Kleinen. Sie raffte, als Karl aufklinkte, das Kissen beiseite und flüsterte: »Was ist denn?« »Ich hatte bloß meinen Hut vergessen.«
Der Hut lag auf einem Stuhl, Karl nahm ihn nicht. »Was stehst du rum?« »Steh doch auf, Mutter.« »Du sollst gehen, sag ich dir.« Er leise, ohne sie anzusehen: »Nein, ich geh nicht, du sollst aufstehen.« Sie fuhr hoch, hatte ihren strengen Ausdruck. »Ich geh nicht runter, Mutter, wenn du nicht aufstehst.«
Sie ließ ihre Beine herunter, faßte ihn um die Schultern, nahm im Gehen den Hut vom Stuhl und führte den Jungen umschlungen durch die Küche zur Tür. Die öffnete sie, schob ihn hinaus, stülpte ihm draußen den Hut fest auf den Kopf, gab ihm die Hand. Er sah sie bettelnd an. Wie sie ihn mühsam anlächelte, bezwang er sich und ging.
Draußen war es noch so heiß wie vorige Woche, als sie abfuhren. Das Mähen hatte er noch mitgemacht, jetzt wird wohl schon das Einfahren begonnen haben, das schöne große Gut, wir haben nichts mehr. Er stand vor der Haustür, was soll ich machen, Mutter weiß sich keinen Rat, sie hat den Kopf verloren, an wen soll ich mich wenden. Er setzte sich in Bewegung, marschierte los. Irgendwohin lief er. Die Menschen sah er an, bei jedem die Frage, wovon lebt der, wovon der, woher haben die's. Woher hatte es der Vater. Wenn ich jetzt auf dem Land wäre, würde ich mich vermieten, jetzt ist viel Arbeit, warum ist die Mutter nur hierher gekommen.
Nach einiger Zeit hatte er die enge ärmliche Gegend seiner Straße hinter sich, ein anderer Menschenschlag ging hier herum, die Straßen waren oft mit Bäumen besetzt, es waren Alleen mit richtigen Bäumen, dann Plätze mit Kindern und Steinfiguren. Er sah sich um, blickte dahin, dorthin, dachte immer: ich muß zugreifen, ich muß was finden, wie machen sie's nur. Aber wie war hier alles so bequem! Alles war da. Das Brot lag fertig in den Geschäften, grobes Brot, feines Brot, Kuchen, Semmeln, das hatte den ganzen schweren Weg hinter sich, da war schon alle Arbeit getan, das Jäten, Pflügen, die Aussaat, das Mähen, Einbringen und das Dreschen und die Mühle und der Handel mit der Genossenschaft und die Mehlsäcke und das Schleppen. Sie hatten nur damit zu tun, zu backen, es süß und fein zu machen, zu bestreuen und in die Fenster zu legen. Manche Bäckereien hatten Marmortische und Stühle hingestellt, und da saßen schmucke Leute und vor die schoben Mädchen mit weißen Schürzen Kuchen und die fertige Sahne, das hatte viele Muskeln und Schweiß gekostet, die feine Sahne zu machen, das Warten der Kühe, das Futterfahren, das Melken, Kübelschleppen, das Dungabfahren und dann die Plage mit der Molkerei. Davon merkten sie hier nichts, die Leute bekamen hier alles vorgesetzt, sie saßen in den schattigen Läden, nippten an den blanken Löffeln und nachher zogen sie das Portemonnaie und zahlten.
Lange stand der Bursche vor einer Konditorei. Zu Hause hatte ihr Bäcker auch einen kleinen Verkauf gehabt, aber das war eine Art Handwerker, der ihnen ein Stück Arbeit abnahm. Eine kleine mit Bäumen bestandene Grünfläche war in der Nähe, der Bursche setzte sich auf eine Bank, behielt die Konditorei im Auge. Da quälte man sich auf dem Land und hatte noch die Trockenheit und den Hagel und das Unkraut, das kümmerte sie hier alles nicht. Sie wußten vielleicht nicht mal, welche Arbeit es auf dem Land gab. Was sollte er hier mit seinen Muskeln? Zugreifen? Was denn? Üb