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Kann Hausarbeit zur Lohnarbeit werden? Virginia Kimey Pflücke untersucht diese Frage anhand eines historisch-soziologischen Vergleichs: Uruguay, das als Wegbereiter der Gleichstellung dieser Arbeitsbeziehung gilt, und Spanien, das europäische Land mit der größten Zahl an Hausangestellten. Die Studie zeigt die Entwicklung der bezahlten Hausarbeit von den Dienstmädchen des 19. Jahrhunderts, über erste Organisationen von Hausangestellten im angehenden 20. Jahrhundert, der Frauenfrage in den Gewerkschaften bis hin zur Dienstleistungsgesellschaft heute. So tritt die bewegte Geschichte von Arbeiterinnen hervor, in der sowohl politökonomische Strukturen als auch ideologische Kämpfe die Institutionalisierung der Hausarbeit bedingen.
Autorentext
Virginia Kimey Pflücke promovierte am MPI für Gesellschaftsforschung und ist Soziologin.
Leseprobe
Vorwort Arbeit ohne Anfang und Ende: Vom analytischen Wert der bezahlten Hausarbeit Stephan Lessenich Nicht nur die öffentlichen Arbeitsmarktdebatten, auch der sozialwissenschaftliche Diskurs um die Formen der Vergesellschaftung von Arbeit und deren historischen Wandel sind voller Mythen. Zu einem der zentralen gehört die Vorstellung, Frauen hätten früher nicht gearbeitet, aber mit der marktliberalen Umgestaltung von Arbeitsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat sei dann - irgendwann an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert - der weibliche Teil des Erwerbspersonenpotenzials sozialpolitisch "entdeckt" und "angezapft" worden, so dass wir nunmehr mit einem historisch neuartigen Vergesellschaftungsmodus des adult worker model konfrontiert seien: Heute sei es gesellschaftlich normal geworden (bzw. politisch zur Normalität gemacht worden), dass die erwachsenen Mitglieder eines Haushalts, gleich welchen Geschlechts, als Arbeitsangebot auftreten. Kimey Pflücke ist selbstverständlich nicht die erste Soziologin, die diesen Mythos jagt. Sie kann auf eine beeindruckende Theorieproduktion und auf eine Vielzahl empirischer Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften zurückgreifen, die diese gängige Erzählung grundlegend in Frage stellen, ja effektiv dementieren. Und dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre nun vorliegende Untersuchung ein unbedingt notwendiger, weiterer Baustein ist im großen, nicht nur disziplinär arbeitsteiligen Werk der Erschütterung wissenschaftlich mitproduzierter Fehlwahrnehmungen. Kimey Pflückes Studie zur bezahlten Hausarbeit vermag es, gängige Sichtweisen zu irritieren und herrschende Blickrichtungen zu durchkreuzen. Dass dies immer noch nötig ist, mag man selbst wiederum für irritierend halten. Umso wichtiger aber der Beitrag, den ihr Buch zur soziologischen Aufklärung, die immer auch eine Selbstaufklärung ist und sein muss, leistet. Selbstverständlich haben Frauen immer schon gearbeitet. Und auch unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise war weibliche Arbeitskraft immer ein zentraler Produktionsfaktor. Nicht immer freilich in dem Sinne, dass sie als kommodifizierte Arbeit, sprich in Form von lohnabhängiger Beschäftigung im formellen Marktsektor kapitalistischer Ökonomien, in den Verwertungsprozess mit eingespeist worden wäre - obwohl auch dies historisch in viel umfassenderem Maße der Fall gewesen ist, als es das bürgerliche, selbst von einer kritischen Sozialwissenschaft häufig reproduzierte Bild von "der Frau" als marktexternprivat tätiger Hauswirtschafterin und Familienbürgerin glauben machen wollte. Jenseits der wohlsituierten, weißen Sozialmilieus gehörte die doppelte Vergesellschaftung von Frauen als Lohn- und Hausarbeiterinnen seit jeher zur sozialen Realität der industriekapitalistischen Gesellschaften. Die moderne Geschichte der Vergesellschaftung weiblicher Arbeitskraft ist, neben jener Doppelgeschichte ihrer kapitalistischen Verwertung im betrieblichen Kontext und ihrer unentlohnten Verausgabung in der Privatheit der Familiensphäre, ganz wesentlich auch die Geschichte von Arbeit in den Grauzonen zwischen Markt und Haushalt - im informellen Sektor insbesondere jener Dienstleistungstätigkeiten, die direkt oder indirekt der Funktionsfähigkeit des (in der Regel als alleiniger Ort "produktiver" Arbeit erachteten) Produktionssektors dienen. Bezahlte Hausarbeit, die den Gegenstand von Kimey Pflückes Studie darstellt, ist eine nicht nur quantitativ relevante Form solcher "Grauzonenarbeit". Sie ist insbesondere auch eine qualitativ bedeutsame Gestalt gesellschaftlicher Arbeit, deren Analyse die Funktionsweise moderner kapitalistischer Ökonomien aufzuklären, ja diese mit zu erklären vermag. Die Grauzone zwischen Markt und Haushalt etabliert sich freilich nicht von selbst. Sie ist vielmehr Ort staatlicher Regulierung, mehr noch: Sie entsteht als solche Zwischenzone überhaupt erst durch staatliche Intervention. Im spanisch-uruguayischen Vergleich des öffentlichen Eingriffs in die soziale Welt bezahlter Arbeit im Privathaushalt, der den Kern der vorliegenden Untersuchung ausmacht, erschüttert Kimey Pflücke gleich mehrere weitere Mythen vermeintlichen Wissens über die politische Ökonomie der Arbeit. Sozialer Fortschritt ist eine Sache des Westens bzw. des globalen Nordens, der Süden hingegen ein ewiger arbeits- und sozialpolitischer Nachzügler - spät, aber irgendwann dann doch auf den Wegen der westlichen Moderne wandelnd? Von wegen: Uruguay hat in der jüngeren Vergangenheit die womöglich weltweit progressivste politische Gestaltung bezahlter Hausarbeit eingeführt, Spanien hingegen laboriert bis heute an der historischen Erblast einer nie vollständig überwundenen Tradition der Konstruktion von Dienstleistungsarbeit im privaten Haushalt nach dem Modell der feudalen Herr-Knecht-Beziehung. Wer die nachfolgende Untersuchung liest, wird sich künftig notwendigerweise auch an der Verlogenheit der westlich-spätindustriellen Deutung der weiblichen "Vereinbarkeitsproblematik" von Beruf und Familie bzw. an der vermeintlichen Fortschrittlichkeit sozialpolitischer Lösungen derselben im entwickelten Wohlfahrtsstaat reiben. Denn die politisch hergestellte Vereinbarkeit für die einen ist faktisch unvereinbar mit der Gewährleistung entsprechender Koordinationschancen auch für andere: Das weibliche "Beschäftigungswunder" in den konservativen Wohlfahrtsstaaten Europas ist untrennbar mit der sogenannten Rückkehr der Dienstmädchenfrage verbunden - die beispielsweise in Spanien allerdings niemals verschwunden war. In diesem Sinne zeigt Kimey Pflückes Arbeit, dass sich die Frage der Geschlechtergleichstellung auf dem Arbeitsmarkt als eine Frage "von unten" stellt, von den marginalisierten Zonen der Erwerbsgesellschaft her - und nicht "von oben" oder ihren Zentren, wie die mit viel Engagement betriebene Fassadendiskussion um Frauen in Führungspositionen, Vorständen und Aufsichtsräten zu suggerieren sucht. Am Rande der Arbeitsgesellschaft spielt die Musik der politisch regulierten Intersektion von gender, class und race - und erst in einer vergleichenden Perspektive, die die Wahrnehmungsgrenzen europäischer Wohlfahrtsstaatlichkeit überschreitet, werden die neuen Töne erwerbszentrierter Sozialpolitik hörbar. Schließlich weist Kimey Pflückes Untersuchung auch einen gesellschaftstheoretischen Ertrag auf, denn die politische Vergesellschaftung der Hausarbeit lässt sich auch als Sinnbild moderner Formen der - im Wortsinne - Domestizierung des Sozialen lesen. Bezahlte Hausarbeit steht, in ihrer konstitutiven Nähe zu traditionalen Formen persönlicher Abhängigkeit und gewaltträchtiger Herrschaft, prototypisch für die moderne Selbstverständlichkeit (und das in der Moderne verbreitete Selbstverständnis) der Verletzbarkeit - und legitimen Ignoranz - der existenziellen Bedürfnisse und basalen Rechtsansprüche größerer Bevölkerungsgruppen durch die Mehrheitsgesellschaft. Sie steht exemplarisch auch für die informelle Koalition von Staat und Privathaushalten als Ko-Produzenten und Ko-Profiteuren von Ausbeutun…
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