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Wie hat sich Arbeit in der Bundesrepublik »nach dem Boom« verändert? Führende Forschungsinstitute aus der Arbeits- und Industriesoziologie haben sich zusammengeschlossen und die Daten aus vier Jahrzehnten Arbeitsforschung in einer Reihe von Sekundäranalysen neu interpretiert. In der Zusammenschau ergibt sich ein aufschlussreiches Bild wesentlicher Entwicklungsprozesse auf dem Feld der Arbeit. Und nicht zuletzt vermittelt dieses Buch einen Eindruck von einer zukunftsträchtigen Forschungsmethodik.
Autorentext
Wolfgang Dunkel ist Arbeitssoziologe und Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München. Er forscht und publiziert auf den Feldern der Arbeits- und Dienstleistungsforschung mit den Schwerpunkten interaktive Arbeit, Arbeit und Gesundheit, Arbeit und Subjekt, qualitative Methoden. Heidemarie Hanekop ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut der Universität Göttingen. Dort koordiniert sie den Verbund eLabour. Nicole Mayer-Ahuja ist Professorin für die Soziologie von Arbeit, Unternehmen und Wirtschaft an der Universität Göttingen sowie Direktorin des Soziologischen Forschungsinstituts. Sie forscht und publiziert zu Fragen der Arbeitsorganisation, der politischen Regulierung von Arbeit sowie zur Veränderung der Arbeitswelt in historischer und transnationaler Perspektive.
Leseprobe
Sekundäranalysen zum Wandel von Arbeit nach dem Fordismus Zur Einführung Nicole Mayer-Ahuja, Wolfgang Dunkel und Heidemarie Hanekop 1 Arbeit nach dem Fordismus als analytische Herausforderung Irgendwann zwischen 1975 und 1985 war, wenn man gängigen Periodisierungen Glauben schenken mag, der Fordismus vorbei. Vor allem im Rückblick erschienen die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die sich der Begriff meist bezieht, als eine bemerkenswert stabile, wenn auch in sich hochdynamische Phase kapitalistischer Entwicklung (vgl. Schildt 2000). Die Bundesrepublik Deutschland hatte in dieser Zeit, ähnlich wie andere Staaten Europas oder Nordamerikas, eine Phase massiven Wirtschaftswachstums, die schnelle Ausweitung industrieller Massenproduktion sowie eine rasante Zunahme von Massenkonsum erlebt. Staatliche Politik unterstützte diese Entwicklung und stabilisierte jenes »fordistische Akkumulationsregime«, das Vertreter der französischen Regulationsschule seit den 1970er Jahren untersuchten (vgl. Aglietta 1979). Um 1960 waren die Arbeitslosenzahlen in der Bun-desrepublik auf einem Tiefststand angelangt, und besonders gut qualifizierte Facharbeiter waren in einer starken Verhandlungsposition, was sich in steigenden Vergütungen, einer zunehmenden Dauer von Beschäftigungsverhältnissen, innerbetrieblichen Aufstiegswegen und einer stetig verbesserten sozialpolitischen Absicherung von Lohnarbeit niederschlug. Robert Castel hat argumentiert, dass sich unter diesen Bedingungen eine historisch neuartige »Lohnarbeitsgesellschaft« herausgebildet habe: Zum einen war ein immer größerer Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung abhängig beschäftigt, während die Gruppe der Selbstständigen und Mithelfenden in Landwirtschaft und Handwerk kontinuierlich schrumpfte. Zum anderen wurden die Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von abhängig Beschäftigten Schritt für Schritt beseitigt, und Lohnarbeit, die »lange Zeit eine der unsichersten, ja unwürdigsten und elendesten Lebensstellungen bedeutete«, wurde zur »Basismatrix der modernen Lohnarbeitsgesellschaft« (Castel 2001: 11). Zugleich erlebten abhängig Beschäftigte während dieser »Goldenen Jahre« (Hobsbawm 1994) eine weit verbreitete soziale Aufstiegsmobilität, ver-bun¬den etwa mit erweiterten Zugängen zu höherer Bildung. Unter diesen Bedingungen konnten es sich selbst Arbeiterfamilien leisten, auf den Verdienst von Ehefrauen und speziell von Müttern zu verzichten, und praktizierten erstmals ein Alleinernährermodell, das zuvor Bürgertum und Adel vorbehalten gewesen war. Dennoch fanden auch immer mehr Frauen Zugang zu Lohnarbeit und verbrachten einen wachsenden Teil ihres Erwerbslebens (vornehmlich auf Teilzeitbasis) auf einem Arbeitsmarkt, der zunehmend durch die Standards des sich in zahlreichen Auseinander-setzungen herausbildenden »Normalarbeitsverhältnisses« geprägt war (vgl. Mayer-Ahuja 2003). Weil der Arbeitskräftebedarf der boomenden Wirtschaft dennoch nicht befriedigt werden konnte, begann die Bundesrepublik, gezielt Gastarbeiter*innen (vor allem aus Südeuropa) anzuwerben, was den Anteil migrantischer Beschäftigter in vielen Betrieben und speziell in industriellen Großunternehmen deutlich erhöhte und Debatten über die sozialen und politischen Rechte der Zugewanderten auslöste. Kurz: Veränderungen auf der Makroebene sozio-ökonomischer Entwicklung gingen (auf der Mesoebene von Unternehmen) mit neuen Standards der betrieblichen Nutzung von Arbeitskraft sowie (auf der Mikroebene von Haushalt und Individuum) mit Verschiebungen etwa im Bereich der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung einher. Weil sich diese Faktoren (und viele weitere) gegen-seitig verstärkten, erwies sich der Fordismus aus Sicht der Regulationstheorie als eine relativ stabile Konstellation. Und doch war sie nicht von Dauer. Als die wirtschaftlichen Wachstumsraten um 1973 einbrachen, kehrte Massenarbeitslosigkeit auch in die Bundesrepublik zurück. Der Sozialstaat geriet unter zunehmenden Druck dazu trugen neben der Kombination aus rückläufigen Beitragseinnahmen und steigenden Ausgaben (als Folge von Arbeitslosigkeit) auch »neoliberale« Reformen bei, die ihrer erklärten Absicht nach die Märkte von staatlicher Gängelung befreien sollten, aber vor allem dazu beitrugen, die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital zugunsten »der Wirtschaft« zu verschieben. Sozialversicherung und Arbeitsrecht gerieten zunehmend in Verdacht, ökonomische Dynamik zu ersticken und den eigenen nationalstaatlichen Standort im globalen Wettbewerb zu schwächen. Viele Unternehmen gingen dazu über, Teile der Produktion oder Dienstleistungserbringung, die sie nicht als ihr Kerngeschäft betrachteten, auszulagern und an Subunternehmen zu vergeben. Belegschaften wurden zudem dadurch fragmentiert, dass neben weiter bestehenden Kernbelegschaften prekäre Randbelegschaften (mit befristeten Verträgen, in Leiharbeit oder Alleinselbstständigkeit) aufgebaut wurden, um flexibler mit Marktanforderungen, aber durchaus auch mit Vergütungen und Arbeitszeiten umgehen zu können. Weil viele Unternehmen weniger langfristig auf Arbeitskraft zugriffen, wurden Erwerbsbiografien schwerer planbar, die soziale Aufstiegsmobilität geriet für weite Teile der Erwerbsbevölkerung ins Stocken und selbst erworbene Zertifikate ließen sich nicht mehr umstandslos in eine höhere berufliche Stellung oder eine stabile Karriere transformieren. Die Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die sich »nach dem Boom« vollzogen, gingen weit über die hier exemplarisch genannten Punkte hinaus. Spätestens Mitte der 1980er Jahre hatte sich dementsprechend die Auffassung durchgesetzt, dass man es in der Tat mit einem tiefen Bruch zu tun habe, der das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital sowie die Organisation und Kontrolle von Arbeit im Betrieb grundlegend verändern würde. So fragten etwa Kern und Schumann (1986), ob das Ende der Arbeitsteilung (in der industriellen Fertigung) erreicht sei, Hirsch und Roth (1986) sprachen von einer neuen Phase kapitalistischer Entwicklung in Europa und den USA, und André Gorz (1984) machte gar »Wege ins Paradies« aus, weil zunehmende Automation die Menschheit mehr und mehr von Erwerbsarbeit befreien werde. Weil man jedoch nicht sicher war, ob sich tatsächlich eine neue kapitalistische Formation (zumal von ähnlicher Stabilität) herausbilden würde, wählte man einen sehr vagen Begriff für die Zeit nach dem Boom: »Post-Fordismus«. Seitdem sind mehr als 30 Jahre vergangen, und viele der Umbruchphänomene, die Mitte der 1980er Jahre ins gesellschaftliche und wissenschaftliche Bewusstsein traten, prägen die Arbeitswelt bis heut…