Tiefpreis
CHF53.50
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 1 bis 2 Wochen.
Wie sieht der Alltag von Alleinerziehenden aus? Mit welchen Hindernissen werden sie konfrontiert und wie gehen sie damit um? Anhand von Interviews mit Alleinerziehenden in München zeigt dieses Buch auf, wie aufgrund struktureller Rahmenbedingungen erschwerte Lebenssituationen individuell verhandelt werden. Deutlich werden dabei sowohl Schwierigkeiten als auch Selbstermächtigungsprozesse Einzelner. Nicht zuletzt veranschaulicht die Autorin den Druck, den alleinerziehende Elternteile auf emotionaler, finanzieller und zeitlicher Ebene erfahren: Sie werden damit konfrontiert, nicht genügend Zeit für Care und Erwerb zu haben und darüber hinaus von ihrem Erwerb häufig nicht leben zu können.
»Valerie Jochim behandelt in ihrem Buch über den Alltag von Alleinerziehenden ein gesellschaftlich hoch relevantes Thema. Die Arbeit liefert einige gute und innovative Gedanken sowie spannende Einblicke in die Alltagsstrategien von Alleinerziehenden, die jedoch in der Menge und Strukturlosigkeit der Informationen häufig untergehen.« Sabine Hübgen, Soziopolis, 27.05.2021
Autorentext
Valerie Jochim promovierte am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität München.
Leseprobe
Hinführung »[Es] ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer das laut zu sagen, was ist.« Rosa Luxemburg (1971: 338) München ist die teuerste Stadt Deutschlands (vgl. Röhl/Schröder 2016: 1). Etwa 406.000 Familien lebten 2017 in der Region. Knapp 20 Prozent davon waren sogenannte Alleinerziehenden-Haushalte. In der kreisfreien Stadt lag der Anteil an den dort lebenden knapp 190.000 Familien sogar bei fast 24 Prozent jener alleinerziehender Mütter in diesen Haushalten lag wiederum bei über 80 Prozent (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik 2018: 50). Unter armutsgefährdeten Personen und unter den sogenannten working poor sind Alleinerziehende überproportional stark vertreten (vgl. Büttner 2014; Hellmuth und Urban 2010; Müller/Lien 2017: 3). Später münden diese Lebenslagen zumeist in eine Altersarmut (vgl. Götz 2018b: 13; Schuster 2010: 90). An Brisanz gewinnen diese Zahlen in Kombination mit der Vielzahl an Herausforderungen, vor die Eltern in Ein-Elter-Familien gestellt werden, wenn sozialräumliche Faktoren sowie individuelle Zugriffe auf finanzielle, soziale und kulturelle Ressourcen in ihren Verschränkungen Berücksichtigung finden. Wo etwa eine Infrastruktur mit Blick auf Betreuungseinrichtungen unzureichend ausgebaut ist und wo Lebenshaltungskosten überdurchschnittlich hoch sind, können sich Herausforderungen für Ein-Elter-Familien potenzieren. Vor diesem Hintergrund ist ein Blick auf die Stadt München von besonderer Bedeutung. Alleinerziehende Eltern sind hier erst recht auf eine Erwerbsarbeit angewiesen, um die Lebenshaltungskosten ihrer Familie zu decken, da sie in der Regel die einzig verdienende Person in der Familie sind (vgl. Rudolph 2009b: 22). Ein Betreuungsplatz wird dann unumgänglich; Betreuungsbedarfe in der Stadt können aufgrund fehlender Plätze allerdings nicht vollumfänglich abgedeckt werden (vgl. Landeshauptstadt München 2017c). Alleinerziehende müssen in Ein-Elter-Familien häufig das leisten, was Zwei-Eltern-Familien auf zwei Personen verteilen: Carearbeit und Erwerbsarbeit. Von Relevanz ist mit Blick auf Familie, Care und Erwerb sowie unter Einbezug der obenstehenden Zahlen offenbar die Struktur-kategorie Geschlecht. Wo der Großteil alleinerziehender Elternteile Frauen sind, stellen sich Fragen nach klassischen Rollenzuschreibungen und tradierten Vorstellungen von Mutter- und Vaterschaft (vgl. Steinbach u.a. 2015). Angesichts dessen werden normative Familienvorstellungen relevant, wenngleich sich Ein-Elter-Familien als familiale Lebensform längst etabliert haben. Lebens- und Familienverläufe sind wandelbar und dynamisch, verändern sich im Laufe der Zeit, werden brüchig, finden zusammen. Dennoch werden bedingt durch ein normatives Vater-Mutter-Kind-Modell Ein-Elter-Familien als defizitär betrachtet (vgl. Rinken 2010: 226; Schuster 2010: 12f.). Was bedeutet es aber, als alleinerziehend adressiert zu werden beziehungsweise sich selbst als alleinerziehend zu benennen? Nachzuzeichnen gilt es den konstruktiven Charakter von Familienformen und damit verbundenen Zuschreibungsprozessen aus subjektiver und lebens-weltlicher Perspektive. Denn ein Zusammenhang von geschlechtlichen und familialen Konstruktionen in Verbindung mit Selbstbildern Alleinerziehender wurde bis dato kaum betrachtet (vgl. Rinken 2010: 17). Wenn es um die Frage geht, was Alleinerziehendsein meint, wird die Bedeutsamkeit einer empirischen Untersuchung der Lebenswelten Allein-erziehender offenkundig. Kulturwissenschaftliche Ansätze schaffen dabei Zugänge zu lebensweltlichen Räumen in ihren vielfältigen Ausgestaltungen, die mit gesellschaftlichen, politischen und theoretischen Kontexten verknüpft werden können (vgl. Götz 2015: 26), denn: »Unter welchen Bedingungen soziale Kategorien in den Hintergrund treten können oder relevant gesetzt werden, kann ohne Einbeziehen institutioneller und makrogesellschaftlicher Bedingungen in historischer Perspektive kaum beantwortet werden.« (Klann-Delius 2005: 76f.) Übergeordnetes Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Lebenswelten Alleinerziehender im sozialräumlichen Kontext München in Bezug auf Teilhabeprozesse und Ressourcen empirisch zu untersuchen. Nachgezeichnet wird, wie aufgrund struktureller Rahmenbedingungen oft erschwerte Lebenssituationen von Ein-Elter-Familien individuell verhandelt werden. Entgegen einem häufig defizitorientierten Blick auf Alleinerziehende können vor diesem Hintergrund nicht nur Schwierigkeiten Einzelner, sondern gleichermaßen Selbstermächtigungsprozesse und Alltagsstrategien herausgearbeitet werden. Wie werden beispielsweise Geschlecht, Care und Arbeit in Ein-Elter-Familien konkret verhandelt? Soziale Netzwerke spielen dabei eine ebenso entscheidende Rolle wie etwa finanzielle Ressourcen und die persönlichen Hintergründe der jeweiligen Situation. Ausgangspunkt dieser Zielstellung ist die Annahme, dass sich Lebenslagen von alleinerziehenden Elternteilen im städtischen Raum Münchens als besondere Herausforderung darstellen mit Blick auf die widersprüchlichen Verhandlungslogiken von Care und Erwerb sowie in Bezug auf zu wenig Betreuungsplätze und überdurchschnittlich hohe Lebenshaltungskosten in München. Da sich strukturelle Rahmen-bedingungen häufig als starr und wenig flexibel herauskristallisieren, wird darauf aufbauend davon ausgegangen, dass letztlich das jeweilige vorhandene ökonomische, soziale und kulturelle Kapital ausschlaggebend für die (Nicht)Bewältigung individueller Lebenslagen sind (vgl. Bourdieu 1983). Lebenswelten werden dementsprechend auch auf der Folie sozial-räumlicher Kontexte und struktureller Rahmenbedingungen betrachtet, um in den Fokus zu rücken, wie Ein-Elter-Familien mit ihren Situationen individuell umgehen, wo ihnen Hürden gestellt werden und wo sie Unterstützung in Anspruch nehmen können. Inwiefern schafft eine teure Stadt wie München aufgrund ihrer Lebenshaltungskosten eine Basis, um Ein-Elter-Familien ein adäquates Leben zu ermöglichen? Wie Wohnraum finanzierbar sein kann, wie einer Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Betreuungsaufgabe nachgegangen werden kann, wie eine Betreuungs-einrichtung gefunden werden kann, wie damit umgegangen wird, wenn ein Einkommen trotz Erwerbstätigkeit nicht zum Leben ausreicht diese Fragen müssen insbesondere Alleinerziehende häufig auf sich gestellt verhandeln. Diese Aspekte sollen keineswegs vorwegnehmen beziehungs-weise bedingen, Alleinerziehende lebten zwangsläufig unter erschwerten Bedingungen und seien ihrer Situation mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Vielmehr geht es darum, Blicke auf die vielfältigen Lebens-lagen von Ein-Elter-Familien zu werfen, um auf diese Weise individuelle Handlungsspielräume und Selbstermächtigungsprozesse nachzuzeichnen. Inwiefern allerdings Formen von empowerment wiederum Symptome neo-liberaler Verwertungslogik…