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Kultur der Medizin Geschichte - Theorie - Ethik Herausgegeben von Andreas Frewer
Viele Menschen fürchten sich vor einer grenzenlosen medizinischen Behandlung am Ende ihres Lebens. Dabei wird übersehen: Einschränkungen etwa lebenserhaltender Maßnahmen gehören längst zur Routine des ärztlichen Alltags. Doch wer soll entscheiden? Stephan Sahm beleuchtet Fragen der Sterbebegleitung, konfrontiert die rechtliche Sicht mit der modernen Medizinethik, zeigt Widersprüche in der Rechtsprechung auf und verbindet seine Analyse mit einer Kritik an der aktiven Sterbehilfe. Besonders das Instrument der Patientenverfügung unterzieht er dabei einer genaueren Betrachtung.
Erwünscht, aber nicht gewollt "Die Ergebnisse der Studie sind eine kleine Sensation." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.03.2007)
Vorwort
Kultur der Medizin Geschichte Theorie Ethik Herausgegeben von Andreas Frewer
Autorentext
Stephan Sahm, Dr. med., ist Chefarzt am Ketteler Krankenhaus in Offenbach und schreibt regelmäßig zu medizinethischen Themen in der FAZ.
Leseprobe
Leseprobe: Die Grenzen medizinischer Behandlung am Lebensende zu bestimmen, zählt seit Einführung der Intensivmedizin zu den großen ethischen Herausforderungen. Die Pflicht zum Lebenserhalt stößt an ihre Grenzen, wo vielmehr der Verzicht auf lebensverlängernde Behandlung bei Sterbenden geboten ist. Das Postulat, ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen, und die Verpflichtung, das Leben zu schützen und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten, umgrenzen das Spannungsfeld, in dem sich die Problematik medizinischer Behandlung am Lebensende entfaltet. Diesen divergierenden Ansprüchen gerecht zu werden, ist schwierig. Vieles spricht dafür, daß Patienten an ihrem Lebensende häufig "übertherapiert" werden. Eine solche Übertherapie kann Leiden vermehren und steht nicht selten im Widerspruch zum Willen der Betroffenen. Sie muß, und sei sie in der vermeintlich guten Absicht ausgeführt, nichts unversucht zu lassen, zu den Fehlern der ärztlichen Kunst gerechnet werden. Als Fehler der ärztlichen Kunst werden fehlerhaft durchgeführte Eingriffe in Diagnostik und Therapie oder Versäumnisse bei der Aufklärung angesehen. daß aber eine übermäßige Behandlung ebenso gegen etablierte medizinische Regeln verstößt, wird von Ärzten oft nicht erkannt. Die Behauptung, Übertherapie sei ein Kunstfehler, bezieht sich mithin auf die Medizin als praktische Wissenschaft und gilt ungeachtet juristischer Bewertung. Es gehört zu den zentralen ärztlichen Aufgaben, das richtige Maß medizinischer Behandlung am Lebensende zu bestimmen. Dies betrifft nicht nur die Frage der medizinischen Effektivität einzelner Maßnahmen. Grundlage jedes Urteils über das angemessene Ausmaß der Behandlung muß auch das Wissen um die ethischen und rechtlichen Grenzen sein. Weder die rechtlichen Regelungen (etwa das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland) noch Ethik und Moral gebieten einen Lebenserhalt um jeden Preis. Ärzte sind nicht verpflichtet, immer alle verfügbaren Mittel für die Erhaltung des Lebens einzusetzen. Vielmehr folgt aus den Bestimmungen des Grundgesetzes ein Recht auf menschenwürdiges Sterben. Daneben muß jede Entscheidung über eine medizinische Behandlung das Recht auf Selbstbestimmung des Menschen beachten. Es zählt zu den satzungsmäßigen Aufgaben der Bundesärztekammer, ein privatrechtlicher Zusammenschluß der Landesärztekammern, auf einheitliche Regelungen der Berufspflichten hinzuwirken. Dazu kann sie sich verschiedener Instrumente bedienen, etwa der Richtlinien, die jedoch erst durch Beschluß der Landesärztekammern - aufgrund der jeweiligen Landesheilberufsgesetze - berufsrechtlich relevant werden. Daneben existieren weitere Handlungsformen wie Leitlinien oder Empfehlungen. Doch Richtlinien schaffen kein Gesetz, ersetzen auch nicht ärztliches Standesrecht. Aber die Rechtsprechung verweist vielfach auf medizinethische Äußerungen der Ärzteschaft, nicht zuletzt der Bundesärztekammer. So wird etwa in einschlägigen Urteilen des Bundesgerichtshofes aus den Jahren 1994 und 2003 ausführlich auf Stellungnahmen der Bundesärztekammer Bezug genommen. Insofern vermögen Dokumente der Medizinethik auf die Rechtsprechung wesentlichen Einfluß zu nehmen. In diesem Sachverhalt verwirklicht sich, was als eine Kontrollfunktion medizinethischer Reflexion für die Entwicklung des Rechts bezeichnet werden kann. Die Bundesärztekammer hat, ebenso wie die ärztlichen Standesorganisationen anderer Länder, mehrfach zu den ethischen Fragen der Behandlung am Lebensende Stellung genommen. 1979 veröffentlichte die Kammer Richtlinien für die Sterbehilfe. Sie wurden 1993 überarbeitet und unter dem Titel Richtlinien für die Sterbebegleitung publiziert. Bereits wenige Jahre später schien eine erneute Überarbeitung notwendig. Anlaß waren die Entwicklung der Rechtsprechung in Deutschland und die internationale Diskussion über die Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe. Die Gesellschaft im Ganzen, in besonderer Weise aber die Ärzteschaft, sieht sich mit einer Herausforderung konfrontiert, der sie sich nicht leicht entziehen kann. Im Jahr 1997 präsentierte die Bundesärztekammer den Entwurf eines Dokumentes, der die ethischen Grundsätze und Positionen der Ärzteschaft zur Sterbebegleitung neuerlich zusammenfaßte. Die Ärzteschaft wollte damit ihre ethische Position ausdrücklich der öffentlichen Kritik stellen. Dieser Vorgang selbst ist bemerkenswert. Denn erstmalig veröffentlichte die Kammer ein bioethisches Dokument im Entwurf noch vor seiner Verabschiedung und gab so den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zur Kritik. Nach eingehender Diskussion wurden schließlich die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung im Herbst 1998 verabschiedet. Im Jahre 2004 wurden die Grundsätze novelliert, wobei nur wenige und geringfügige Änderungen des Textes vorgenommen wurden. Die der Veröffentlichung der Grundsätze vorausgehende Debatte wurde kontrovers geführt und fand auch in den Medien ihren Niederschlag. , Einige Kritiker warfen der zuständigen Kommission der Bundesärztekammer vor, die Tür zur aktiven Sterbehilfe geöffnet zu haben. So wurde etwa behauptet, die Ärzteschaft strebe eine Änderung ihrer Haltung zur Sterbehilfe an. Der Vorwurf bezog sich auf eine Passage des Entwurfes, der sich mit der Frage der künstlichen Ernährung bei Patienten in einem persistent vegetative state, das heißt dem Wachkoma, befaßte. Vornehmlich Vertreter von Patientenorganisationen, die sich für deren Rechte einsetzen, kritisierten die entsprechende Formulierung. Die Kritiker befürchteten einen ethischen Dammbruch. Die Anschuldigung, die Ärzteschaft beschreite in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung einen Weg, der hin zur Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe führe, erwies sich jedoch als haltlos. Doch dokumentiert sich in dieser Verlautbarung ein bemerkenswerter konzeptioneller Wandel, der in der öffentlichen Debatte und der akademisch geführten Diskussion bislang noch wenig wahrgenommen wird. Die Ärzteschaft lehnt in den Grundsätzen die aktive Sterbehilfe eindeutig ab. Die Abgrenzung zwischen Therapieverzicht bzw. Beendigung spezifischer Therapiemaßnahmen und aktiver Sterbehilfe wird allerdings in eine neuartige begriffliche Konzeption gefaßt. Die medizinethische und rechtswissenschaftliche Literatur, geschweige denn die Rechtsprechung, hat diese Entwicklung bislang nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Angesichts der nicht selten dramatischen Konflikte, denen sich Patienten, Angehörige und Behandlungsteams bei der Entscheidung über das Ausmaß medizinischer Behandlung am Lebensende ausgesetzt sehen, verdienen diese von der Ärzteschaft verwendeten Begriffe und Konzeptionen aber eine eingehende ethische Analyse. Es waren nicht zuletzt aufsehenerregende Rechtsfälle, die es notwendig erscheinen ließen, die Haltung der Ärzteschaft zu Fragen der Sterbehilfe neu zu formulieren. Bedeutsam ist in dieser Hinsicht der so genannte Kemptener Fall…
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