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Kultur der Medizin Geschichte - Medizin - Ethik Herausgegeben von Andreas Frewer
Der Spätabbruch einer Schwangerschaft ist für alle Beteiligten ein moralisches Problem und eine große emotionale Belastung. Um eine Entscheidung zu treffen, die für die Schwangere tragfähig ist, müssen Ärzteschaft, Hebammen, Pflegende sowie die psychosoziale und ethische Beratung eng zusammenarbeiten. In der Praxis kommt es jedoch häufig zu einem Nebeneinander. Beiträger der einzelnen Berufsgruppen stellen hier aus ihrer Perspektive die medizinischen, psychosozialen, rechtlichen und ethischen Aspekte dar. Ziel ist es dabei, einen gemeinsamen Lösungsansatz und differenzierte soziale wie auch politische Perspektiven zu entwickeln.
Vorwort
Kultur der Medizin Geschichte Medizin Ethik Herausgegeben von Andreas Frewer
Autorentext
Dr. Christa Wewetzer arbeitet am Zentrum für Gesundheitsethik an der Ev. Akademie Loccum, Hannover. Dr. Thela Wernstedt leitet an der Med. Hochschule Hannover den Palliativmedizinischen Konsiliardienst.
Leseprobe
Spätabbrüche: Aktuelle Problemstellung und gesellschaftliche Debatte 1996-2007 Christa Wewetzer Durch die Fortschritte der Perinatalmedizin ist der Zeitpunkt der Überlebensfähigkeit Frühgeborener kontinuierlich vorverlegt worden. Damit verbunden ist jedoch, dass bei einem Abbruch in einem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft etwa nach der 22. beziehungsweise 24. Schwangerschaftswoche (SSW) - einem sogenannten Spätabbruch - von einer potenziellen Lebensfähigkeit des Kindes auszugehen ist, was für alle Beteiligten eine besondere emotionale Belastung und einen ethischen Konflikt darstellt: für die Schwangere, weil mit zunehmender Dauer der Schwangerschaft die Beziehung zum Kind gewachsen ist, für den Arzt, weil er häufig, um das Ziel - Vermeidung der Geburt eines so nicht gewollten Kindes - zu erreichen, das Kind vor der Einleitung der Geburt im Mutterleib tötet (Fetozid). Denn sollte das Kind lebend zur Welt kommen, wäre er verpflichtet, lebenserhaltende Maßnahmen einzuleiten. Obwohl das Problem des Fetozids bereits vor der Gesetzesreform 1995 bestand, fand eine öffentliche Diskussion hierüber kaum statt. Erst die Gesetzesänderung trug dazu bei, dass die Ärzteschaft, vor allem die Bundesärztekammer 1998, und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) eine Auseinandersetzung auf gesellschaftlicher Ebene anstieß. Zahlreiche Stellungnahmen und Vorschläge politischer, kirchlicher und anderer in der Beratungsarbeit engagierter Organisationen folgten mit dem gemeinsamen Ziel, die Zahl der Spätabbrüche zu senken. Umstritten sind jedoch die Maßnahmen, mit denen dieses Ziel zu erreichen ist. In der Schwangerenberatung im Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik stellt sich die Frage, wie eine Entscheidung in diesem Konflikt gefunden werden kann, die einerseits für die Schwangere tragfähig ist, andererseits das wachsende Lebensrecht des Feten in angemessener Weise berücksichtigt und ärztlich zu verantworten ist. Wesentliche Folgen der Reform Verlust an Transparenz Im Jahr 1995 entfiel die eigenständige embryopathische Indikation als Voraussetzung für einen straffrei durchführbaren Schwangerschaftsabbruch. Mit der Reform des Paragraphen 218a StGB wurde sie in die bestehende medizinische Indikation integriert, indem die "gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" zu berücksichtigen sind. Da eine Gefährdung der Frau zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft entstehen kann, ist die medizinische Indikation zeitlich nicht befristet und ein Schwangerschaftsabbruch kann theoretisch bis zum Einsetzen der Geburtswehen erfolgen. Sollte die bevorstehende Geburt und Versorgung eines fehlgebildeten Kindes eine solche schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren darstellen, bleibt ein Abbruch der Schwangerschaft aufgrund dieser medizinischen Indikation straffrei. Dabei können für die medizinische Indikation sowohl physische als auch psychische Probleme ausschlaggebend sein. Dem Arzt kommt die schwierige Aufgabe zu, zu erkennen, ob in Zukunft eine schwere Beeinträchtigung der Gesundheit der Frau entstehen könnte. Mit der Neufassung des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch entfielen die Beratungspflicht und damit verbunden die dreitägige Bedenkzeit zwischen durchgeführter Beratung und Abbruch, die Zäsur der 22. SSW für einen Abbruch aus embryopathischer Indikation sowie die statistische Erfassung der diagnostizierten Fehlbildungen für Abbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche. Daher wurde das Problem des Schwangerschaftsabbruchs nach einer pränatalen Diagnostik eher verschärft. So hebt die Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme hervor, dass "bei der traditionellen mütterlich-medizinischen Indikation die Tötung des Kindes nicht das Ziel, immer aber die unvermeidliche Konsequenz ist, während bei der jetzt integrierten embryopathischen Indikation wegen der Unzumutbarkeit für die Schwangere durchaus die Tötung des Kindes gemeint ist." Wurden bei der embryopathischen Indikation noch die Fehlbildungen und Erkrankungen der Feten erfasst, ist diese im Rahmen der Neufassung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes von 1995 nicht mehr vorgesehen, wodurch eine differenzierte Analyse der zu der Entscheidung beitragenden Gründe nicht erfolgen kann. Auf diese Weise ist zwar die mögliche Behinderung des ungeborenen Kindes als Ursache für einen Schwangerschaftsabbruch als eigenständige Indikation gestrichen worden, ihr Fortbestand im Rahmen der medizinischen Indikation ist jedoch unbestritten. Über den Beitrag, den die zu erwartende Behinderung im Rahmen der Befunderhebung einnimmt und letztlich zu einer medizinischen Indikation führt, lassen sich keine statistisch gesicherten Aussagen treffen, da sie gemeinsam mit den psychischen Belastungen der Schwangeren unter den Begriff der "Zumutbarkeit" gefasst werden. In einer offenen gesellschaftlichen Debatte wäre jedoch eine differenzierte Erfassung der Ursachen wünschenswert, die auch davor nicht die Augen verschließt, dass mit einer zu erwartenden Behinderung des Kindes ein Schwangerschaftsabbruch begründet wird. Eine Bemäntelung der in einer diagnostizierten Fehlbildung oder Erkrankung des Feten liegenden Mit-Ursache behindert eine sachliche Diskussion der damit verbundenen sozialen und ethischen Herausforderungen. Potenzielle Lebensfähigkeit und Fetozid Die Frage eines Spätabbruchs stellt sich, wenn sich in einer späten Phase der Schwangerschaft Hinweise für Entwicklungsstörungen des ungeborenen Kindes ergeben oder die Absicherung einer Diagnose erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, in der das Kind bereits potenziell lebensfähig ist. Eine für die Problematik des Spätabbruchs bedeutsame Entwicklung besteht darin, dass die Überlebenschancen für Frühgeborene in den vergangenen Jahren durch die Fortschritte der Perinatalmedizin wesentlich verbessert werden konnten. So geht die DGGG von einer zwischen 1995 und 1997 gestiegenen Überlebenschance von etwa zehn auf 50 Prozent nach einer Geburt zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche aus, wobei jedoch 20-30 Prozent der Kinder schwere körperliche und geistige Behinderungen aufweisen. Nach der 24. SSW Geborene haben eine Überlebenschance von 60-80 Prozent. Obwohl die Angaben verschiedener Autoren über die Überlebenschancen voneinander abweichen, bleibt festzuhalten, dass die Feten ab etwa der 24. SSW potenziell lebensfähig sind. Wenn ein Abbruch nach der 22. SSW erfolgt, ist also nicht ausgeschlossen, dass ein lebensfähiges Kindes geboren wird, das eigentlich nicht gewollt wird. In diesem Fall steht der Arzt vor der Entscheidung, dieses Kind entsprechend den Leitlinien der DGGG intensivmedizinisch zu versorgen oder es angesichts der schweren Behinderungen und in Erwartung eines früh eintretenden Todes palliativmedizinisch zu versorgen und sterben zu lassen. Bereits vor der Reform des Schwangerschaftskonfliktgesetzes kon…