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Die Kriegsvergangenheit zeigt auch heute noch in vielen Familien Spuren, bis in die zweite und dritte Generation hinein. Jetzt meldet sich die Generation der Kinder der Kriegskinder zu Wort. Sie sind in den Zeiten des Wohlstands aufgewachsen. Noch ist es ein völlig neuer Gedanke, sich vorzustellen, ihre tief sitzende Verunsicherung könnte von den Eltern stammen, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeitet haben.
»... In 14 spannenden Fallbeispielen legt Bode nun dar, wie die Beziehung zu ihren Eltern und das Schweigen über den Krieg diese Generation prägte.« Emotion, 4/2009
Vorwort
Über die Kinder der Kriegskinder - das Standardwerk in günstiger broschierter Ausgabe
Autorentext
Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim »Kölner Stadt-Anzeiger«. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und lebt in Köln.Sie ist eine renommierte Expertin auf dem Gebiet seelischer Kriegsfolgen.Ihre Sachbücher »Die vergessene Generation«, »Kriegsenkel«, »Nachkriegskinder« und »Kriegsspuren« sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Leseprobe
Flüchtlingshintergrund
Mein Buch »Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen« stieß bei den Kindern jener »vergessenen Generation«, also den Kindern der Kriegskinder - vor allem Angehörige der 1960er Jahrgänge - auf große Resonanz. Wie in der Leserpost, aber auch auf Veranstaltungen zum Thema deutlich wurde, stammten ihre Eltern, Angehörige der dreißiger und vierziger Jahrgänge, überwiegend aus Flüchtlingsfamilien. Die Kriegsenkel machten mir gegen über deutlich, wie stark Mutter und Vater, ehemalige Flüchtlingskinder, durch Vertreibung und durch den Neubeginn in einer größtenteils feindseligen Umgebung Zeit ihres Lebens belastet blieben. Ich erfuhr von einem extremen Misstrauen, und dass sie nicht aufhörten, sich über die Zukunft existentielle Sorgen zu machen, auch dann, wenn sie ein gutes Auskommen hatten und gegen jedes Missgeschick versichert waren. Die Familiengeschichten bestätigten den wissenschaftlichen Befund von Andreas Kossert in seinem Buch »Kalte Heimat« mit gelebtem Leben: Das Bild von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945 ist ein Mythos. 1 An den Spätfolgen haben nicht selten auch die Nachkommen jener 14 Millionen Deutsche zu tragen, die nach Kriegsende ohne Heimat waren.
Auffallend oft hörte ich Kinder der Kriegskinder über sich sagen, ihnen fehle der feste Boden unter den Füßen. Dabei waren sie als Friedenskinder in den besten aller Zeiten aufgewachsen. Zumindest in Westdeutschland hatte es ihnen an nichts gefehlt. Oder doch? Es war für die meisten ein völlig neuer Gedanke, sich vorzustellen, ihr verunsichertes Lebensgefühl könnte von Eltern stammen, die sich nicht von ihren Kriegserlebnissen erholt hatten. War es möglich, dass eine Zeit, die nun schon über 60 Jahre zurücklag, so stark in ihr Leben als Nachgeborene hin einwirkte? Und wenn ja, warum wussten sie nichts davon?
Sie konnten sich nicht mit dem Bild identifizieren, das in den Medien über die Generation 40 plus und die »Baby-Boomer« verbreitet wird. So ermittelte eine im Jahr 2008 von der Wochenzeitschrift »Stern« in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage »eine zufriedene Generation«. In der Illustrierten wurde ausdrücklich darauf hingewiesen: »Jeder zweite sagt sogar: So gut ging es mir noch nie«. 2 Für diejenigen, die sich bei mir meldeten, galt das keineswegs.
Kein Mut zur Familiengründung
Eine Frau schrieb mir: »Ich bin 40 Jahre alt und frage mich schon lange, warum ich so verunsichert durch die Welt laufe. Ich habe eine gute Ausbildung, traue mir aber nichts zu. Wenn ich mich bewerben soll, bekomme ich Panik.« Ein Mann gleichen Alters teilte mit, er sei zwar beruflich äußerst erfolgreich und auch risikobereit, habe aber nicht den Mut zur Familiengründung - seine beiden Geschwister auch nicht. Für seine Eltern werde es wohl keine Enkel geben. In beiden Fällen wurden die Kindheiten der Eltern skizziert. Sie deckten sich im Wesentlichen mit den Geschichten in meinem Kriegskinderbuch.
Zunehmend melden sich heute Kriegsenkel zu Wort. In dem Theaterstück »Risiken und Nebenwirkungen« von Klaus Fehling, Jahrgang 1969, fand ich die Beziehung eines Kriegsenkels zu seiner Kriegskind-Mutter thematisiert. Tochter Sigrid kam nicht zu einem eigenen Leben, denn sie ließ sich von ihrer 70-jährigen Mutter Anni geradezu aussaugen. Als die Tochter sagte: »Sorgen macht sich Anni gern, aber immer nur um sich selbst«, kam aus dem Publikum ein zustimmendes Lachen. Hier saßen überwiegend die Kriegsenkel. Wie ich nach der Vorstellung im Osnabrücker Emma-Theater von den Schauspielerinnen erfuhr, handelt es sich um ein Stück mit hohem Wiedererkennungswert. Mutter Anni sorgt sich nicht um andere, sie eignet sich, wie ihre Tochter weiß, nur deren Missgeschicke an.
Sigrid: Mir hat einer mein Handy geklaut. So ein Rudel Rumänenkinder. Im Café. Vom Tisch im Vorbeigehen. Die können echt schnell laufen. Sie ist fünf Tage nicht vor die Tür gegangen, nachdem ich ihr davon erzählt hatte. Und natürlich kein Auge zu. Wie immer.
Literaten entwickeln häufig ein Gespür für unverarbeitete kollektive Katastrophen und ihren Niederschlag in den nachfolgenden Generationen. Dass schwere Schuld an die Nachkommen weitergegeben wird, davon kann man in der Bibel lesen. Auf Grund der Ergebnisse der Traumaforschung und der Holocaustforschung wird der Generationentransfer in der Fachwelt nicht länger bestritten. Von einem »Trauma« wird bei den Nachkommen nicht mehr gesprochen, allenfalls von einem »sekundären Trauma«, wohl aber von »Menschen mit Bindungsstörungen«, oder abgeschwächt von solchen, die, wie es in der Fachliteratur heißt, »unsicher gebunden sind.« Der Hintergrund: Eltern konnten ihren Kindern in den frühen und damit entscheidenden Jahren nicht ausreichend Halt geben und nur wenig Vertrauen ins Leben vermitteln.
Es gab eine Zeit, in der nicht nur Eltern sondern auch Ärzte glaubten, kleine Kinder seien äußerst robust, fast schmerzunempfindlich, und sie würden selbst von den größten Schrecken ringsherum nichts mitbekommen. Als Beweis wurde stets der »selige Schlaf« der Kleinen angeführt. Man war davon überzeugt, sie besäßen noch keinerlei Antennen für die Gemütsverfassung der sie umgebenden Erwachsenen, und lobte die beruhigende Wirkung von Babys in Zeiten des Schreckens.
Das Gegenteil ist richtig. Kinder sind äußerst feinfühlig. Sie spüren selbst jenes Grauen, das ihre Eltern tief in sich vergraben und deshalb nicht mehr in ihrem Bewusstsein haben.
Der Bindungsforscher und Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch macht deutlich: »Klassischerweise werden eigene, unverarbeitete Erlebnisse der Eltern in der Interaktion mit dem Säugling wieder lebendig - geradezu wie Gespenster aus der Vergangenheit.« 3
Waren Mutter und Vater in ihrem eigenen Lebensgefühl und in ihrer Identität verunsichert, konnten sie ihren Kindern wenig Orientierung geben. Die Kriegsenkel berichteten mir von relativ normalen Familienverhältnissen. Ihre Eltern waren keine Unmenschen gewesen. Es wurde nur übereinstimmend gesagt: »Ich kann meine Eltern emotional nicht erreichen.«
Die Kriegsenkel melden sich zu Wort
Hier und da wird in den Medien über »Kinder der Kriegskinder« berichtet. Man weiß noch wenig. Man tastet sich vor. Auch in der Forschung wächst das Interesse am Thema; entsprechende Untersuchungsergebnisse werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bei meinen Gesprächen mit Kriegsenkeln über sechs Jahre faszinierte mich, wie sich in ihren Darstellungen Familiengeschichte mit Zeitgeschichte verknüpfte - vor allem mit deutscher Nachkriegsgeschichte bis hin zur Gegenwart. Anfangs ging ich von einem Buchprojekt aus, in dem nicht mehr als zehn Menschen zu Wort kommen würden. Während meiner Arbeit am Manuskript zeigte sich aber, dass die von mir gewünschte Überschaubarkeit der Komplexität und der Vielfal…