

Beschreibung
Bei Bundestagswahlen steht der Wähler mittlerweile ebenso sehr im Rampenlicht wie Politikerinnen und Politiker. Mit einer Vielzahl von Instrumenten wird dem Wahlvolk auf den Zahn gefühlt, sodass oft schon vor den ersten Hochrechnungen eigentlich jedem Journali...Bei Bundestagswahlen steht der Wähler mittlerweile ebenso sehr im Rampenlicht wie Politikerinnen und Politiker. Mit einer Vielzahl von Instrumenten wird dem Wahlvolk auf den Zahn gefühlt, sodass oft schon vor den ersten Hochrechnungen eigentlich jedem Journalisten, Politiker und Bürger klar ist, warum wer wen gewählt hat. Dass diese Einschätzung häufig auf zweifelhaften Quellen und Verfahren wie O-Tönen aus der Fußgängerzone beruht, spielt keine Rolle. So entstehen moderne Mythen über den deutschen Wähler, die sich trotz erheblicher Veränderungen bei Wählerschaft, Medien und in der politischen Landschaft hartnäckig halten. Die Autorinnen und Autoren nehmen u. a. am Beispiel der Bundestagswahl 2009 diese Mythen unter die Lupe und demaskieren oder untermauern sie. Wählen Frauen anders? Gefährden Wechselwähler die Demokratie in Deutschland? Sind die Volksparteien am Ende?
"Der Band wie auch einzelne Beiträge bereichern den Diskurs zwischen Wissenschaft und Medien.", Neue Politische Literatur, 01.10.2013
Autorentext
Sigrid Roßteutscher (links) ist Professorin am Institut für Gesellschafts- und Politikanalyse der Universität Frankfurt am Main. Sie ist Gründungsund Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung e.V. sowie Projektleiterin der DFG-finanzierten »German Longitudinal Election Study« (GLES). Evelyn Bytzek, Dr. rer. pol., ist verantwortlich für das Projektmanagement der GLES.
Klappentext
Bei Bundestagswahlen steht der Wähler mittlerweile ebenso sehr im Rampenlicht wie Politikerinnen und Politiker. Mit einer Vielzahl von Instrumenten wird dem Wahlvolk auf den Zahn gefühlt, sodass - oft schon vor den ersten Hochrechnungen - eigentlich jedem Journalisten, Politiker und Bürger klar ist, warum wer wen gewählt hat. Dass diese Einschätzung häufig auf zweifelhaften Quellen und Verfahren wie O-Tönen aus der Fußgängerzone beruht, spielt keine Rolle. So entstehen moderne Mythen über den deutschen Wähler, die sich trotz erheblicher Veränderungen bei Wählerschaft, Medien und in der politischen Landschaft hartnäckig halten. Die Autorinnen und Autoren nehmen u. a. am Beispiel der Bundestagswahl 2009 diese Mythen unter die Lupe und demaskieren oder untermauern sie. Wählen Frauen anders? Gefährden Wechselwähler die Demokratie in Deutschland? Sind die Volksparteien am Ende?
Leseprobe
Alle vier Jahre ist Bundestagswahl. Dann entscheiden die deutschen Bürger und Bürgerinnen über das Schicksal der alten Regierung, wählen sie ab oder bestätigen sie im Amt. Nun bestimmen sie darüber, wer als Kanzler oder auch als Kanzlerin die Geschicke dieser Regierung bestimmen wird und welchen Koalitionspartner sie der Kanzlerpartei zur Seite stellen. Die Stimme des Bürgers zählt - und je knapper die Ergebnisse werden, desto mehr zählt sie und desto mehr Aufmerksamkeit finden "die Wähler", ihre Wünsche und Vorlieben, in der Wahlkampfberichterstattung der Medien. Das ist gut so. In der repräsentativen Demokratie Deutschlands ist und bleibt die Wahl das entscheidende Partizipationsinstrument und der zentrale Mechanismus zur Herstellung von demokratischer Legitimität und politischen Richtungsentscheidungen. Natürlich gibt es andere Wege der politischen Einflussnahme und andere Wahlen in der modernen Mehrebenendemokratie. Bürger sind Mitglieder von Bürgerinitiativen und Protestgruppen. Sie beteiligen sich an Unterschriftenaktionen oder demonstrieren für ihr Anliegen oder boykottieren und mobilisieren gegen politische Entscheidungen, die sie für falsch halten. Im Herbst 2010 gaben die Auseinandersetzungen um die Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke und die Proteste gegen den Aus- und Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs ein deutliches Zeugnis von der politischen Bedeutung solch alternativer Beteiligungsformen. Dennoch: Es sind grundsätzlich punktuelle Aktionen, die sich um ein spezifisches und politisch umstrittenes Sachthema ranken. Auf die Zahl der Wahlberechtigten bezogen sind politische Proteste - ganz unabhängig von ihrer demokratischen Bedeutung als Korrektiv fehl- und mangelhaft kommunizierter Entscheidungsprozesse - Beteiligungsformen, die nur Minderheiten, oft auch nur privilegiertere und gebildetere Schichten der Bürgerschaft nutzen. Richtig ist auch, dass die nationalstaatlich verfasste Repräsentativdemokratie Deutschlands in europäische Entscheidungsstrukturen eingebunden ist und als föderales System unabhängige Länder- und Kommunalparlamente kennt. Die Deutschen sind somit deutlich häufiger als alle vier Jahre zur Wahlurne gerufen. Und dennoch scheinen sich alle Akteure über die relativ zur Nationalwahl geringere Bedeutung dieser fast abfällig als "Nebenwahlen" bezeichneten Wahlen einig zu sein. Das Wahlkampfbudget der politischen Parteien für solche Nebenwahlen liegt ein Vielfaches unter dem, was sie an personellen und finanziellen Ressourcen für die nationale Hauptwahl einsetzen. Die Medienberichterstattung ist deutlich verhaltener - in Ton und Umfang - und wird zudem noch häufig so geführt, dass nicht die Nebenwahlen an sich im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, welchen Einfluss ein Nebenwahlergebnis auf die Stabilität und das zukünftige Geschick der amtierenden Nationalregierung haben könnte. Auch das Verhalten der Wähler und Wählerinnen spricht eine deutliche Sprache. Alle Nebenwahlen mobilisieren deutlich weniger Menschen, bei Kommunalwahlen kann es sogar passieren, dass kaum ein Drittel der Wahlberechtigten den Gang zur Wahlurne für lohnenswert hält. Man mag das aus normativer oder demokratietheoretischer Sicht für schlecht oder gut - richtig oder falsch - halten, es bleibt jedenfalls dabei: im politischen Betrieb der deutschen Demokratie gibt es ein Ereignis, das aus allen alternativen Beteiligungs- und Wahlformen heraussticht, die Wahl zum Bundestag, die deutsche nationale Hauptwahl. Es ist daher alles andere als ein Zufall, dass sich Öffentlichkeit und Medien auf diese Hauptwahl konzentrieren. Monate und vor allem Wochen vor der Wahl, wenn die sogenannte "heiße" Wahlkampfphase eingeläutet wurde, sind die ersten Seiten der Zeitungen und die Frontmeldungen der TV-Nachrichten diesem Ereignis gewidmet. Auch das ist gut so. Es ist eine der vornehmsten und aus demokratischer Sicht zentralen Aufgaben der Wahlkampfphase, den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, dass ihre Stimme benötigt wird, dass politische Grundsatzentscheidungen zu fällen sind und dass hier unterschiedliche Alternativen, die auch die Zukunft der Wähler betreffen, zur Wahl stehen. So steigt in Wahlkampfzeiten das politische Interesse, die Bürger entwickeln ein steigendes Verständnis vom Funktionieren der repräsentativen Demokratie, sie gewinnen einen Eindruck von den unterschiedlichen Politikangeboten und werden in nicht geringer Zahl (wieder) zu entschiedenen Anhängern bestimmter Parteien. Politik ist Thema im Kreis der Familie, der Freunde und Arbeitskollegen, am sogenannten "Stammtisch". Natürlich stehen in der Medienberichterstattung nicht nur die Parteien, ihre Spitzenkandidaten und Politikangebote im Mittelpunkt. Der große "Unbekannte", aber auch das alles entscheidende Moment, ist der Wähler. Wie wird er sich entscheiden? Welche Programme oder Kandidaten sind aus Sicht der Wähler attraktiv? Werden Sie überhaupt zur Wahl gehen und warum vielleicht nicht? Die Medien operieren hier natürlich nicht im luftleeren Raum. Sie stützen sich auf das reichhaltige Zahlenwerk der Demoskopen, die in immer enger werdenden Abständen neue Wasserstandmeldungen über Gewinn- und Verlustaussichten einzelner Parteien und Kandidaten veröffentlichen. Sie stützen sich auf das bemerkenswerte politische Gespür, das viele Journalisten im Laufe ihrer Karriere entwickeln konnten sowie auf O-Ton-Aufnahmen von Wählern in Einkaufszentren und Fußgängerzonen (die sprichwörtliche Stimme des Volkes) und natürlich auf die Einschätzung von Experte…