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Soziologische Europaforschung
Die Integration Europas ist ein fundamentaler Prozess des gesellschaftlichen Wandels, ein Prozess der Konstruktion einer europäischen Gesellschaft und der Dekonstruktion der nationalen Gesellschaften. Münch beschreibt diesen tief greifenden Wandel in einer gesellschaftstheoretischen Perspektive anhand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der damit einhergehenden intellektuellen Legitimationsdiskurse. Über die fachwissenschaftlichen Diskurse hinaus hilft das Buch zu verstehen, wie die Integration Europas die Gesellschaft verändert. Das Buch spricht nicht nur die gesamte Europaforschung über alle disziplinären Grenzen hinweg an, sondern auch alle mit der fortschreitenden Integration Europas beschäftigten Experten in Regierung, Verwaltung, Parteien, Verbänden und Medien sowie alle politisch interessierten Bürger.
Konstitutiver Liberalismus als soziale Ordnung der Europäischen Union "Weitere Fortschritte in die Einsicht des Strukturwandels der europäischen Gesellschaft im Zuge der Restrukturierung der Funktionssysteme sind dann zu erwarten, wenn die Europaforschung sich an dem Paradigma einer integrierten Gesellschaftstheorie orientiert, welche die Einsichten unterschiedlicher Forschungsstrategien auswertet und ihre Ergebnisse integriert. Dabei können wir an Münchs Ansatz anknüpfen und ihn fortschreiben." Gerhard Preyer (Rechtstheorie, 40. Band, 2009, Heft 4, 01.05.2009)
Vorwort
Soziologische Europaforschung
Autorentext
Richard Münch ist Professor für Soziologie an der Otto- Friedrich-Universität Bamberg und Sprecher des Graduiertenkollegs »Märkte und Sozialräume in Europa«. Zuletzt erschien 2007 von ihm das viel diskutierte Buch »Die akademische Elite«.
Leseprobe
Die europapolitische Debatte innerhalb der deutschen Intellektuellenlandschaft wurde in den letzten Jahren insbesondere durch die Diskussion über eine europäische Verfassung bestimmt. Es kommt darin die Prägung der Debatte durch das juristische Denken in der deutschen kodifikationsrechtlichen Tradition unmittelbar zum Ausdruck. Die unterschiedlichen Positionen in dieser Diskussion lassen sich auf zwei Polen verorten: Skeptiker versus Optimisten. Unter den Verfassungsskeptikern finden sich hauptsächlich Verfassungsrechtler, während unter den Fürsprechern einer europäischen Verfassung prominente Geistes- und Sozialwissenschaftler wie Jürgen Habermas vertreten sind. Die Skeptiker stehen in der Tradition des Hegelschen Denkens, nach dessen demokratisch gewendeter Gestalt jede Rechtsordnung der demokratischen Legitimation bedarf. Für die Skeptiker ist das auf absehbare Zeit nur dort möglich, wo Volkssouveränität tatsächlich und nicht nur formell ausgeübt werden kann. Das ist für sie die nationalstaatliche Ebene im europäischen Mehrebenensystem. Die Optimisten stehen in der Tradition des Kritischen Denkens, nach dem das Recht selbst eine Rechtsgemeinschaft jenseits partikularer traditioneller Bindungen konstituiert, aus der letztlich auch eine postnationale Gemeinschaft europäischer Bürger hervorwachsen kann. 8.1 Die institutionelle Konstruktion Europas Lange bevor sich die Europäische Union dazu entschloss, einen Konvent zur Ausarbeitung eines Vertrages über eine Verfassung für Europa einzuberufen, der den EG-Vertrag und den EU-Vertrag zugunsten einer einheitlichen Struktur der EU ablösen sollte, führten Dieter Grimm und Jürgen Habermas eine Debatte über die Notwendigkeit einer europäischen Verfassung, die richtungsweisend für die intellektuelle Anschlusskommunikation in Deutschland war. Aus diesem Grund werden die Beiträge von Grimm und Habermas etwas ausführlicher dargestellt, da sie bereits wesentliche Argumente anderer Autoren enthalten, auf die im weiteren Verlauf nur kurz eingegangen wird. Die Debatte wird durch einen zentralen Gegensatz bestimmt, duch den Gegensatz zwischen einem geschlossenen, dem Nationalstaat verhafteten und einem offenen, der supranationalen Erweiterung zugewandten Modell der demokratischen Legitimation des Rechts (vgl. Diedrichs und Wessels 2005; Jopp und Matl 2005). Grimms juristische Prägung als Verfassungsrechtler wird deutlich, wenn er in seinem Aufsatz "Braucht Europa eine Verfassung" (Grimm 1995) die beiden widerstreitenden Argumente bezüglich einer Europäischen Verfassung ausschließlich juristisch begreift. Folglich kann es aus der juristischen Perspektive nur zwei Auffassungen geben. Auf der einen Seite steht die Auffassung, eine Verfassung sei unnötig, da die vorhanden EG/EU-Verträge bereits als höheres Recht die Handlungsspielräume der Nationalstaaten begrenzen und somit als Quasi-Verfassung wirken. Auf der anderen Seite steht die Auffassung, eine Verfassung sei nur dann nötig, wenn man behauptet, dass die Verträge unzureichend sind und deswegen durch eine Verfassung ersetzt werden müssten. Falls die Verträge wie eine Verfassung wirken, muss ermittelt werden, was Europa fehlt und ob dieser Mangel überhaupt beseitigt werden kann, beziehungsweise beseitigt werden soll. Falls die Verträge keine Verfassung darstellen, muss dargelegt werden, worin sich eine Verfassung inhaltlich von den Verträgen unterscheiden würde. Durch völkerrechtliche Verträge wurden der EU faktisch Hoheitsrechte übertragen, wodurch sie handlungsregulierend bzw. handlungsleitend in die Rechtsordnungen der Nationalstaaten eingreifen kann. Ihre innerstaatliche Wirkung ist demnach insbesondere in den Politikbereichen, die in ihren Kompetenzbereich fallen, durchaus mit der eines Souveräns zu vergleichen. Die eingeschränkte supranationale Souveränität der EU ist dagegen insbesondere am intergouvernementalen Charakter der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu erkennen. Das von Grimm bei einer Europäischen Verfassung identifizierte Hauptproblem ist die Ablösung der Verfassung vom Staat. Dass mit dieser Ablösung eine fehlende Rückbindung der EU an übergeordnetes Recht einhergeht, kann Grimm nicht erkennen. Seines Erachtens existiert die EU, "mangels eines vorgängigen sozialen Substrats, überhaupt nur als Rechtsgemeinschaft" (Grimm 1995: 585). Diese ist an das primäre Gemeinschaftsrecht gebunden, das zwar nicht in einer Verfassung, aber doch in den Verträgen niedergelegt ist. Schließlich konstituiert das Recht die Gemeinschaft, setzt ihr übergeordnete Ziele, richtet die Organe ein, nimmt Kompetenzzuweisungen vor und ordnet das Verfahren. Die bestehenden Verträge sind also für Grimm bereits ein funktionales Äquivalent zu einer europäischen Verfassung, wenngleich er erkennt, dass durch die Abwesenheit von Grundrechten grundlegende Verfassungsprinzipien wie Gleichheit und Freiheit nicht adäquat repräsentiert sind. Es ist insbesondere der Verfassungsbegriff, der nach Grimm Probleme aufwirft. Eine europäische Verfassung ginge nicht auf ein europäisches Staatsvolk zurück, sondern hätte allenfalls den Charakter eines völkerrechtlichen Vertrages (Grimm 2005). Die Entscheidungskriterien über diese Verfassung sind nicht einem abstrakten Gemeinwohl geschuldet, sondern sind nationalstaatlich verhaftet. Diese fehlende demokratische Legitimität bringt in dem Sinne ein Demokratiedilemma zum Ausdruck, dass auf nationalstaatlicher Ebene zwar Demokratie existiert, gleichzeitig allerdings Regulierungskompetenzen entschwinden, während auf EU-Ebene die Kompetenzen immer mehr anwachsen, ohne jedoch demokratisch legitimiert zu sein. Hoffnungen, durch die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments die EU zu demokratisieren, zerstreut Grimm durch den Hinweis, dass Demokratie neben dem Parlamentarismus noch andere Elemente, wie zum Beispiel Massenmedien und eine europäische Öffentlichkeit, benötigt (Grimm 1995, 2004). Insbesondere hinsichtlich der Frage der Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit identifiziert Grimm eine Diskrepanz zwischen einer europäisierten Elite und der nichteuropäisierten Basis. Die aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Sprache immer noch nationalen Rezeptionskontex…