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Deutschland und die Niederlande teilten ihre Bevölkerung lange Zeit in gesetzlich und privat Krankenversicherte ein. Während die Niederlande dieses duale System 2006 aufhoben, blieb es in Deutschland trotz struktureller Reformen bestehen. Das Buch arbeitet im Paarvergleich Faktoren heraus, die zu diesem unterschiedlichen Ergebnis führten.
»Der vorliegende Band [stellt] einen Gewinn für die vergleichende Wohlfahrtsforschung auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik dar.« Prof. Dr. Gerhard Igl, socialnet.de, 30.12.2016
Autorentext
Ralf Götze, Dr. rer. pol., ist Leiter des Referats "Grundsatzfragen und Leistungsaushilfe" des GKVSpitzenverbandes, Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA).
Klappentext
Deutschland und die Niederlande teilten ihre Bevölkerung lange Zeit in gesetzlich und privat Krankenversicherte ein. Während die Niederlande dieses duale System 2006 aufhoben, blieb es in Deutschland trotz struktureller Reformen bestehen. Das Buch arbeitet im Paarvergleich Faktoren heraus, die zu diesem unterschiedlichen Ergebnis führten.
Leseprobe
1 Einleitung
Der Forschungsgegenstand dieses Buches ist ein empirisches Puzzle. Zu Beginn der 1980er-Jahre sicherten die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Niederlande als einzige Staaten der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) die allgemeine Gesundheitsversorgung mit einem dualen Krankenversicherungssystem sicher. Während die Mehrheit der Bevölkerung gesetzlichen Krankenkassen angehörte, konnten Beamte, Selbstständige und höhere Angestellte substituierende Privatversicherungen abschließen. Diese unterschieden sich fundamental in ihrer Finanzierungs- und Vergütungssystematik. In den folgenden drei Jahrzehnten ist in beiden Ländern ein Hybridisierung beobachtbar. Diese äußerte sich einerseits in einer Vermarktlichung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch Kassenwettbewerb. Andererseits erfolgte eine Indienstnahme der privaten Kranken-versicherung (PKV) für soziale Belange durch Eingriffe in ihre Vertragsfreiheiten.
In den Niederlanden kulminierte dieser Prozess 2006 in einer vollstän-digen Konvergenz beider Sphären durch die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung mit privater Rechtsform für die gesamte Bevölkerung. In Deutschland bleiben GKV und PKV dagegen weiterhin getrennt. Die forschungsleitende Frage dieses Buchs lautet daher:
Welche politischen, ideellen und institutionellen Faktoren können den zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterschiedlichen Stand hinsichtlich der Dualität des deutschen und des niederländischen Krankenversicherungssystems erklären?
Zur Beantwortung dieser Frage wird ein historisch-institutionalistischer Ansatz gewählt. In der vergleichenden Gesundheitssystemforschung ist dieser Ansatz eng mit Ellen Immerguts wegweisender Monografie Health Politics verbunden. Sie führte die unterschiedliche Entwicklung der Gesundheitssysteme Schwedens, Frankreichs und der Schweiz während der wohlfahrtsstaatlichen Expansion auf die Geschlossenheit beziehungsweise Fragmentierung der jeweiligen politisch-administrativen Systeme zurück. Demnach begünstigten instabile parlamentarische Mehrheiten in der französischen Nationalversammlung oder das fakultative Referendum in der Schweiz das Vetopotenzial der organisierten Ärzteschaft.
"Political institutions do not predetermine policies. Instead, they are an integral part of the strategic context in which political conflicts take place. Political institutions set boundaries within which strategic actors make their choices" (Immergut 1992: 242).
Dadurch ergänzte Immergut die akteursorientierte Vetogruppentheorie (Godt 1987; Mayntz 1990), die in der vergleichenden Gesundheitssystemforschung vor allem auf die Ärztemacht fokussiert ist, um einen politisch-institutionellen Rahmen, in dem diese Interessengruppen agieren.
Dieses Buch entwickelt Immerguts Heuristik weiter, indem die Struktur des Krankenversicherungssystems in den Mittelpunkt rückt. Studien zur Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen setzen zumeist nicht erst beim Gesetzgebungsprozess, sondern bereits bei den Reformoptionen an (Starke 2007: 29ff.). Frühere sozialpolitische Entscheidungen erzeugen Pfadabhängigkeiten, die den Gestaltungsspielraum begrenzen. Dies kann durch prohibitiv hohe Kosten begründet sein, die ein struktureller Wandel implizieren würde. Ein Beispiel hierfür ist die Umstellung einer umlagefinanzierten Altersversorgung auf Kapitaldeckung (Myles/Pierson 2001). Mit Blick auf die Gesundheitspolitik argumentiert David Wilsford, dass großer Wandel auf äußerst seltene "windows of exceptional opportunity" (1994: 252) beschränkt sei. Wohlfahrtsstaatliche Institutionen schaffen zudem ihre eigenen gesellschaftlichen Unterstützungsgruppen, die von kollektiv finanzierten sozialen Leistungen profitieren.
"Maturing social programs produce new organized interests, the consumers and providers of social services, that are usually well placed to defend the welfare state" (Pierson 1996: 175).
Politische Präferenzen relevanter Akteure werden somit nicht mehr als exogene Faktoren aufgefasst, stattdessen wird eine stärker endogene Sichtweise bei der Formierung von Interessen eingenommen. Dieser Forschungsperspektive liegt somit eine deutlich flexiblere Interpretation institutioneller Verharrungskräfte zu Grunde. Wohlfahrtsstaatliche Institutionen determinieren nicht die Wandlungsprozesse, aber verändern das strategische Interesse relevanter Akteure.
Somit dient die unterschiedliche Ausgestaltung der dualen Krankenversicherungssysteme in Deutschland und den Niederlanden im Zu-sammenspiel mit dem fragmentierten politischen Institutionengefüge der Erklärung verschiedener Interessenkonstellationen während des Reformprozesses. Das gegenwärtig unterschiedliche Politikergebnis ist daher ein empirisches Zeugnis dafür, wie vergleichsweise kleine Strukturunterschiede im Zeitverlauf eine große Wirkung entfalten können.
1.1 Zentrale Forschungsbegriffe
Um überhaupt die entscheidenden Bestimmungsfaktoren eines Reform-prozesses identifizieren zu können, bedarf es zunächst einer Definition der zentralen Begriffe dieser Untersuchung. Dazu zählt an erster Stelle der Forschungsgegenstand dieses Buchs: das duale Krankenversicherungssystem. Obwohl dieser Terminus häufig im politischen und wissenschaftlichen Diskurs verwendet wird, hat sich bisher keine allgemein anerkannte Definition durchgesetzt. Die folgenden Ausführungen basieren daher auf einer Arbeitsdefinition. Demnach liegt ein duales Krankenversicherungssystem vor, wenn signifikante Teile einer mehrheitlich versicherten Bevölkerung zwei verschiedenen Versicherungsformen für die medizinische Grundversorgung unterliegen. Zum besseren Verständnis dieser kompakten Begriffsbestimmung bietet es sich an, ihre einzelnen Elemente näher zu erläutern. Im Folgenden werden dazu vier zentrale Aspekte genauer beleuchtet.
Erstens fokussiert diese Definition auf die finanzielle Absicherung der medizinischen Grundversorgung. Daher sind für die Feststellung eines dualen Gesundheitssystems lediglich Absicherungsformen von Interesse, die für ihren betreffenden Bevölkerungskreis den Großteil der Kosten für personengebundene, kurativ-medizinische Leistungen tragen. Ausgaben für Langzeitpflege oder populationsbezogene Präventionsprogramme fallen somit nicht unter diese Definition. Ergänzende Finanzierungskomponenten wie Zusatzversicherungen, Selbstbeteiligungen oder Steuerzuschüsse werden ebenfalls nicht berücksichtigt.
Zweitens kann gemäß der Arbeitsdefinition ein duales Krankenversicherungssystem nur bei einer mehrheitlich versicherten Bevölkerung auftreten. Somit muss mindestens die Hälfte der Bevölkerung einem Risikokollektiv angehören, das eine Kostenübernahme im Krankheitsfall an direkte oder mittelbare Beiträge seiner Mitglieder knüpft. Dieses sogenannte Versicherungsprinzip (siehe Schräder…
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