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Staatlichkeit im Wandel - Sonderforschungsbereich der Universität Bremen
Die Frage nach den Voraussetzungen für die erfolgreiche Integration von Zuwanderern steht in vielen Industriestaaten im Mittelpunkt politischer und sozialwissenschaftlicher Debatten. Janna Teltemann zeigt am Beispiel der Schulleistungen junger Zuwanderer, wie unterschiedliche Rahmenbedingungen der Aufnahmegesellschaften mit den individuellen Voraussetzungen zur Eingliederung zusammenwirken. Der Vergleich der PISA-Studienergebnisse zeigt, dass Bildungssysteme, Sozialpolitik und Integrationsmaßnahmen den Bildungserfolg, insbesondere von Migranten der ersten und zweiten Generation, sehr unterschiedlich beeinflussen
Autorentext
Janna Teltemann, Dr. rer. pol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum für soziale Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) an der Universität Bremen.
Leseprobe
1 Einleitung
Migration, die räumliche Wanderung von Personen, kann als konstituie-render Bestandteil der Menschheitsgeschichte betrachtet werden. Die resi-dentiellen Bewegungen von Menschen sind zudem ein entscheidender Faktor für sozialen Wandel. Migration ermöglicht im erfolgreichen Fall die Verbreitung vor allem solcher gesellschaftlicher Institutionen, die ökonomische Produktivität, soziale Ordnung und Gleichheit fördern. Aus soziologischer Sicht ist zunächst festzustellen, dass Menschen wandern, um ihre Lebenschancen zu verbessern. Wenngleich Ziele und Motivationen variieren, kann angenommen werden, dass Menschen Reichtum Armut vorziehen, lieber in Sicherheit als in Angst und Gefahr leben, Gesundheit und Gleichheit anstreben und Krankheit, Elend und Ungleichheit vermeiden möchten. In dem Maße, wie Migranten die Institutionen und Werte ihrer reicheren, sichereren und egalitäreren Aufnahmeländern adaptieren; an ihre Nachkommen weitergeben und durch transnationale Migration in ihre Herkunftsländer einbringen, kann sich tatsächlich ein sozialer Wandel im oben dargestellten Sinne vollziehen.
Mit der sich intensivierenden Internationalisierung im 20. Jahrhundert, bis dahin ungeahnten Entwicklungen in den Bereichen der Mobilität und Telekommunikation und einer neuen politischen Weltordnung seit den 1990er Jahren haben internationale Wanderungsbewegungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowohl quantitativ als auch qualitativ eine neue Dimension erreicht. Zwischen 1990 und 2010 ist die weltweite Zahl an Migranten Schätzungen zufolge um mehr als 40 Prozent gestiegen. In diesem Zuge hat sich die politische, wirtschaftliche, soziale - und damit auch sozialwissenschaftliche - Bedeutung von Migration verändert. Ein großer Teil der Migranten wandert in die wirtschaftlich starken Staaten der OECD. Diese Länder stehen durch die neue oder anhaltende Zuwanderung vor teils beträchtlichen demographischen und sozialen Herausforderungen, da die Systemintegration (Lockwood 1964) durch Zuwanderung aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.
Der Kern der Systemintegration ist die individuelle Sozialintegration aller Gesellschaftsmitglieder, dabei kann zwischen der kulturellen, der sozialen, der emotionalen und der strukturellen Dimension unterschieden werden (Esser 2006: 27). Für Zuwanderer umfasst die individuelle Sozialintegration idealtypischerweise den Erwerb kultureller Fertigkeiten des Aufnahmelandes (z.B. der Sprache), die Übernahme sozialer Beziehungen zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft, die Inklusion in die funktionalen Teilsysteme und schließlich die Übernahme einer neuen kulturellen Identifikation.
Viele nicht-einwanderungserfahrene europäische Länder stehen gegen-wärtig in Hinblick auf die Integration von Zuwanderern vor zunehmenden sozialen Problemen, da sie sich als traditionell homogene Gesellschaften häufig durch ein ethnisch-kulturell geprägtes Verständnis von Nationalität und Volkstum auszeichnen. Ihre Bildungs- und Sozialsysteme sind nur begrenzt auf die Inklusion von "Outsidern" eingerichtet. In der Folge kann die strukturelle Sozialintegration der Zuwanderer misslingen, womit auch die Integration in den anderen Dimensionen eingeschränkt ist und schließlich die Gefahr von Unterschichtung und ethnischen Konflikten droht. Die Frage nach den Bedingungen der erfolgreichen Sozialintegration von Zuwanderern steht entsprechend in vielen Aufnahmeländern nicht nur weit oben auf der politischen Agenda, sondern ist auch Gegenstand einer wachsenden Fülle sozialwissenschaftlicher Forschungsarbeiten. Die Notwendigkeit der strukturellen Integration von Zuwanderern wird noch deutlicher, wenn neben den individuellen und sozialen Folgen auch ökonomische Auswirkungen mangelnder Integration betrachtet werden. Viele klassische ökonomische Positionen nehmen an, dass zwischen dem Bildungsniveau der Bevölkerung und langfristigem wirtschaftlichem Wachstum ein kausaler Zusammenhang besteht (Barro 1991; Barro 2001; Hanushek/ Kimko 2000; Hanushek/Wößmann 2007; Mankiw et al. 1992). In Hinblick auf den sich in vielen industrialisierten Ländern vollziehenden demographischen Wandel und die sich verstärkende globale Konkurrenz gerät die Nicht-Nutzung des Humankapitals von Zuwanderern zu einem Standortnachteil. Dieser Wettbewerbsnachteil wird durch fehlende Steuer-einnahmen und Transferkosten zum Ausgleich der Arbeitslosigkeit von Zuwanderern noch verstärkt. Eine weitere Folge kann eine Erosion der gesellschaftlichen Solidarität und "Umverteilungstoleranz" (Mau/Burkhardt 2009a: 196) sein, die die Zustimmung zu redistributiven Sozialpolitiken - die eigentlich die strukturelle Integration von Individuen befördern sollen - untergraben kann. Auf Seiten der Zuwanderer stellen die subjektiv wahrgenommenen Möglichkeiten für sozialen Aufstieg und Teilhabe in der Aufnahmegesellschaft entscheidende Anreize dar, um durch Investitionen in gesellschaftlich relevante Güter (wie zum Beispiel der Sprache des Aufnahmelandes) die eigene Sozialintegration zu befördern. Die Institutionenstruktur der Aufnahmeländer und die Opportunitäten und Restriktionen, die sich aus ihr ergeben, stellen den Rahmen dar, auf dessen Grundlage Zuwanderer sich für oder gegen integrative Handlungen entscheiden. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt, die Verfügbarkeit sozial- und integrationspolitischer Maßnahmen aber auch die Haltungen und Einstellungen der Aufnahmelandgesellschaft gegenüber Zuwanderung und Integration.
Seit Beginn der soziologischen Migrations- und Integrationsforschung im Chicago des frühen 20. Jahrhunderts wird die Integration von Zuwan-derern als mehrgenerationaler Prozess verstanden. Entscheidend sind nicht nur die Erfahrungen und Handlungen der ersten Generation, der "Ankommer", sondern vor allem die ihrer Kinder. Die zweite Generation ist es, die den Kulturkonflikt zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland austrägt. Die klassischen Assimilationstheorien (u.a. Park 1950) gehen davon aus, dass die erste Generation lediglich die notwendigsten Handlungsweisen der Aufnahmegesellschaft übernimmt, darüber hinaus jedoch zur Abschottung tendiert, um den Kulturschock der Migration abzupuffern. Die zweite Generation hat hingegen oft eine duale Orientierung in kultureller, normativer und kognitiver Hinsicht. Diese Marginalität macht sie vulnerabel - je nachdem, wie unterstützend die institutionellen und sozialen Rahmenbedingungen wirken, kann sie Desorientierung oder eine positive Mobilisierung erzeugen (Esser 1990: 74). Für die zweite Generation wird die Inklusion in die Bildungssysteme der Aufnahmeländer und der individuelle Erfolg, den sie in diesen erreichen, als der entscheidende Schlüssel zur erfolgreichen Sozialintegration angesehen (Levels/Dronkers 2008; Marks 2005). Doch trotz der hohen politischen und sozialwissenschaftlichen Relevanz der Bildungsintegration von Zuwanderern angesichts einer wachsenden Schülerschaft mit Migrationshintergrund in den westlichen Indust-rieländern wurden jugendliche Migranten und ihre Adaptions- und Integ-rationserfahrun…
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