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Die Körperlichkeit des Handelns, die soziale Herstellung handelnder "Subjekte ", die Unzulänglichkeit von Theorien rationalen Entscheidens: Diesen Problemen widmen sich pragmatistische Theorien wie auch Theorien sozialer Praktiken. Trotzdem standen sich diese Positionen lange indifferent bis feindselig gegenüber. Eine wirkliche Debatte über ihre oft sehr unterschiedlichen Problemlösungen kommt erst seit Kurzem in Gang. Der Band führt diese Debatte erstmals systematisch. Dabei zielt er nicht nur auf einen Theorievergleich, sondern auch darauf, Antworten aus beiden Diskussionssträngen sozialtheoretisch weiterzuentwickeln.
»Der Sammelband erfüllt sein Versprechen, indem er nicht nur (aber eben doch auch) einen Theorievergleich produziert, sondern Ansätze und Anregungen aufgreift, die zu einer Weiterentwicklung der beiden bisher größtenteils getrennt geführten Theoriediskussionen führen. Besonders positiv ist hervorzuheben, dass die einzelnen Beiträge des Sammelbands nicht so gestaltet sind, dass nur diejenigen ein Verständnis für das Geschriebene entwickeln können, die sich bereits mit einem der beiden Theoriestränge (oder gar beiden) ausgiebig beschäftigt haben. Vielmehr führen die steten Rekapitulationen zentraler praxistheoretischer und pragmatistischer Positionen dazu, dass die in den Beiträgen entwickelten Schlussfolgerungen gut nachvollzogen werden können.« Patrick Reitinger, socialnet.de, 17.04.2018
Autorentext
Hella Dietz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Göttingen. Frithjof Nungesser ist Universitätsassistent am Institut für Soziologie der Universität Graz. Andreas Pettenkofer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max- Weber-Kolleg der Universität Erfurt.
Klappentext
Die Körperlichkeit des Handelns, die soziale Herstellung handelnder "Subjekte ", die Unzulänglichkeit von Theorien rationalen Entscheidens: Diesen Problemen widmen sich pragmatistische Theorien wie auch Theorien sozialer Praktiken. Trotzdem standen sich diese Positionen lange indifferent bis feindselig gegenüber. Eine wirkliche Debatte über ihre oft sehr unterschiedlichen Problemlösungen kommt erst seit Kurzem in Gang. Der Band führt diese Debatte erstmals systematisch. Dabei zielt er nicht nur auf einen Theorievergleich, sondern auch darauf, Antworten aus beiden Diskussionssträngen sozialtheoretisch weiterzuentwickeln.
Leseprobe
Der Nutzen einer Theoriedifferenz. Zum Verhältnis von Pragmatismus und Theorien sozialer Praktiken Hella Dietz, Frithjof Nungesser und Andreas Pettenkofer 1. Gemeinsame Probleme, unterschiedliche Schlüsse Plausible soziologische Erklärungen erfordern Prozessbeschreibungen, die nicht allein den Fall des rationalen Akteurs in den Blick nehmen, der - in souveräner Distanz zur Situation - kalkulierend seine Zwecke verfolgt. Doch so umfassend inzwischen Kritik an Theorien der rationalen Wahl formuliert worden ist, so ungeklärt bleibt weiterhin, worin die tragfähige Alternative zu einer solchen verengten Perspektive besteht. Entscheidende Versuche, diese Frage zu beantworten, werden von pragmatistischen Theorien wie auch von Theorien sozialer Praktiken formuliert, hier vor allem in jener französischen Debatte, die im deutschsprachigen Raum oft unter dem Stichwort Praxistheorie verhandelt wird. Diese Theoriefamilien standen einander bis vor kurzem indifferent bis feindselig gegenüber - obwohl sie von ganz ähnlichen Diagnosen ausgehen: Beide zielen darauf, den cartesia-nischen Dualismus zu überwinden, auf dem Theorien rationaler Wahl aufbauen; beide betonen, dass die an sozialen Prozessen beteiligten Subjekte ihrerseits sozial konstituiert werden; beide unterstreichen die Bedeutung, die der Körperlichkeit des Handelns und der Materialität der Dingwelt in Prozessen sozialer Ordnungsbildung zukommt. Nicht nur die explizit posthumanistischen Versionen einer Theorie sozialer Praktiken, auch die klassischen pragmatistischen Positionen lehnen einfache Formen von Handlungstheorie ab - wie Joas (1992b: 214) betont, ist aus pragmatistischer Sicht bereits der Begriff Handlung als solcher problematisch, schließlich "löst schon allein der Begriff der Handlung die Einzelhandlung in einer durchaus nicht selbstverständlichen Weise aus ihrem Kontext heraus". Auch der Begriff des Akteurs wird damit diskussionsbedürftig; tatsächlich wird er in beiden Theoriefamilien weitgehend vermieden. In der lange Zeit eher kursorischen Auseinandersetzung zwischen den Theoriefamilien blieben diese Gemeinsamkeiten jedoch meist im Hintergrund; teils wurden sie wohl auch aus theoriepolitischen Gründen be-schwiegen. So oder so werden in beiden Theoriefamilien unterschiedliche Schlüsse aus der geteilten Diagnose gezogen. Das betrifft bereits die Beschreibung von Handlungsabläufen: In wesentlichen Hinsichten an Durkheim und Mauss anknüpfend, rücken Theorien sozialer Praktiken meist - gegen Theorien rationalen Handelns - das Moment des nichtreflektierten Handelns in den Vordergrund. Dagegen gehen pragmatistische Theorien von einem Wechselspiel zwischen Routinen und reflektiertem Handeln aus und zielen darauf, auch Zwischenstufen zwischen beiden Modi zu erfassen. Diese Theoriedifferenz wurde bislang vor allem in der französischen Soziologie genutzt. Auslöser war eine "pragmatische Wende" (Dosse 1995: 12 f.), deren wichtigsten Ausgangspunkt die Arbeit von Boltanski und Thé-venot (2007 [1991]) bildet. Um über die Schwierigkeiten einer an Bourdieu anknüpfenden Theorie sozialer Praktiken - die zugespitzten Annahmen über Stabilität und Homogenität sozialer Ordnungen, die verkürzte Handlungstheorie - hinauszugelangen, wurden hier zunächst Motive der linguistischen Pragmatik aufgenommen. Inzwischen werden in dieser Debatte immer stärker auch pragmatistische Konzepte herangezogen (vgl. Boltanski 2010, Latour 2014). Seit einigen Jahren wird in beiden Theoriefamilien auf instruktive Übereinstimmungen hinge-wiesen. Allerdings steht der Dialog zwischen Pragmatismus und Theorien sozialer Praktiken noch ganz am Anfang. Insbesondere zeigt sich in der pragmatistisch inspirierten Soziologie keine Wende, die der in die Gegen-richtung laufenden französischen Rezeptionsbewegung vergleichbar wäre. Aber gerade auch für die pragma-tistische Soziologie scheint diese Auseinandersetzung vielversprechend. Ein Dialog zwischen beiden Positionen kann - so jedenfalls eine diesem Band zugrunde liegende Hoffnung - bei der Ausarbeitung einer Sozialtheorie helfen, die Alternativen zu dem rationalistischen Individualismus bietet, der das Fach zur Zeit dominiert. In diesem Sinne wollen die Beiträge des vorliegenden Bandes diese Diskussion vorantreiben. Sie zielen darauf, Unterschiede und Gemeinsamkeiten weiter auszuloten und Antworten aus beiden Diskussionssträngen sozialtheoretisch weiterzuentwickeln: Welche Möglichkeiten und welche Grenzen der jewei-ligen Theorieperspektive zeigen sich, wenn sie mit der jeweils anderen konfrontiert wird? Wo zeigen sich Theorieoptionen, die einander ausschließen, deren Kenntnis aber jeweils zur Klärung der eigenen Begriffe bei-trägt? An welchen Punkten bieten diese Perspektiven Konzepte an, die einander ergänzen und sich verknüpfen lassen? Bevor wir die hier versammelten Beiträge vorstellen, diskutieren wir knapp, worin für beide Seiten der Nutzen dieses Theoriedialogs bestehen kann, und zeigen in einem kurzen theoriegeschichtlichen Abriss, wie wenig dieser Austausch bisher stattgefunden hat, und wie wenig dies auf reflektierte Theorieentscheidungen zurückgeht. 2. Der Nutzen des Theoriedialogs 2.1 Vom Nutzen des Pragmatismus für Theorien sozialer Praktiken Es könnte den Theorien sozialer Praktiken nützen, den klassischen Pragmatismus genauer zur Kenntnis zu nehmen, weil er erstens eine andere Antwort auf die gängigen sozialtheoretischen Rationalismen bietet: Er ver-meidet den in der Forschung über soziale Praktiken regelmäßig zu beobachtenden Versuch, Beschreibungen zu entwickeln, die das…