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Globalgeschichte
Japan gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als einziger nicht-westlicher Staat zu den großen Kolonialmächten. Dabei gilt Taiwan als Musterkolonie innerhalb des japanischen Imperiums. Ein Grund dafür ist, dass die Japaner für die Beherrschung der Insel die kolonisierte Gesellschaft erforschten. Nadin Heé zeigt erstmals, dass dieser sogenannte wissenschaftliche Kolonialismus nicht nur zivilisierende Aspekte aufwies, sondern auch Gewalt auslöste. Damit verleiht sie der Geschichte des Imperialismus neue Impulse. Zudem weitet sie den Blick auf Transfers zwischen Japan und europäischen Mächten und eröffnet außereuropäische Perspektiven innerhalb der Geschichte des Kolonialismus. Ausgezeichnet mit dem JaDe-Preis 2013 für herausragende Leistungen und Verdienste im Bereich der japanisch-deutschen Wissenschafts- und Kulturbeziehungen
"Heés Studie stellt zweifellos einen wertvollen Beitrag nicht nur zur historischen Japanforschung, sondern zur Erforschung kolonialer Praktiken und zur Globalgeschichte von Gewalt in der Moderne insgesamt dar.", H-Soz-u-Kult, 13.12.2013
Autorentext
Nadin Heé, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiterin am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin.
Leseprobe
Postcolonial studies und transnationale Geschichtsschreibung haben in den letzten Jahren zu einem Boom der Kolonialmusforschung geführt. Umso erstaunlicher ist daher, dass sich auch die neuere Forschung kaum mit der Frage nach der Wechselwirkung von körperlicher Gewalt und Wissensproduktion in der kolonialen Herrschaft beschäftigt. Die Dominanz der postcolonial studies in der Kolonialgeschichtsschreibung mag ein Grund dafür sein, da diese sich auf kulturelle und diskursive Aushandlungsprozesse in kolonialen Situationen konzentrieren. Ein zweiter ist, dass sich diejenigen Arbeiten, deren Schwerpunkt auf kolonialer Gewalt liegt, kaum Interesse an den Wechselwirkungen zwischen Gewalt, Zivilisierungsmaßnahmen und Wissensproduktion zeigen. Zudem konzentrieren sich die meisten dieser Studien nicht auf physische Gewalt, sondern verwenden vielmehr einen breiten Gewaltbegriff; so ist etwa von epistemischer, struktureller oder psychischer Gewalt die Rede. Diese Studien analysieren vor allem diskursive Gewaltformen oder Legitimationsdiskurse über Gewaltphänomene. Auch bestehen in der Gewaltforschung kaum Verknüpfungen zwischen neueren kulturhistorischen Ansätzen und Untersuchungen zu Kolonialkriegen, die sich aus militärhistorischer Perspektive auf Kriegsverläufe, Analyse strategischen Vorgehens oder die Motivation einzelner militärischer Akteure konzentrieren. Japanischer Kolonialismus transnational Neben der Verknüpfung unterschiedlicher, sich kaum berührender Forschungsstränge in der internationalen Forschung zum Kolonialismus geht es in diesem Buch vor allem auch darum, den japanischen Kolonialismus in Taiwan nicht isoliert zu betrachten, sondern ihn in globale Kontexte einzuordnen. Demnach verfolgt das Buch einen globalgeschichtlichen Ansatz. Mit ihm wird Globalgeschichte jedoch nicht als die Geschichte der gesamten Welt, des Globus verstanden, sondern anhand eines spezifischen, historisch kontingenten Falles werden globale geopolitische Konstellationen, global ausstrahlende Verflechtungen und globale Bedingungen in den Blick genommen. Zu derartigen Bedingungen gehört der Umstand, dass in der Welt des späten 19. Jahrhunderts Nationalstaaten und Imperien die strukturierenden und ordnenden Kräfte gewesen sind. Im Zuge dieses Prozesses sieht Jürgen Osterhammel durch die technologische Entwicklung neue Machtmittel der Zerstörung in den Händen der Nationalstaaten, die spätestens ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in engem Verhältnis zur industriellen Leistungskraft eine Landes standen. Er nennt Japan als außereuropäisches Beispiel, dessen politische Elite das Land nach 1868 zu einem militärisch starken Industriestaat entwickelte. Dies war für Japan zudem die Voraussetzung, später selbst zu einem Imperium zu werden. Mit Imperien wiederum beschäftigt sich seit einigen Jahren ein Zweig innerhalb der Globalgeschichte, der sich unter global histories of empire subsumieren lässt. Dabei geht es vornehmlich um den Aufstieg und Fall von Imperien, meist über längere Zeiträume hinweg. Dieser Aspekt ist zwar nicht das Thema dieses Buches, dennoch lässt es sich auch in dieser Richtung verorten. Denn ein Anliegen dieser Forschungsströmung ist es zudem, auch nichteuropäische Imperien im globalen Kontext zu analysieren. Damit schließt sie an ältere Forderungen nach einer nicht eurozentrischen Geschichtsschreibung an, wie als einer der ersten der Literaturwissenschaftler Edward W. Said in Orientalism formulierte, oder wie sie sich mit Dipesh Chakrabarty unter dem Credo, "Europa zu provinzialisieren", fassen lassen. Eine zentrale Forderung der postcolonial studies lautet, das Zusammenspiel zwischen Metropole und Kolonie und deren gegenseitige Bedingtheit in den Blick zu bekommen. Kolonialismus ist in dieser Lesart nicht ein direktionales Phänomen, sondern die Beziehung ist wechselseitig und Entwicklungen in den Kolonien sind an das Mutterland zurückgebunden. Auch über den japanischen Kolonialismus sind mehrere Arbeiten entstanden, die derartige Wechselbeziehungen betonen. So hat etwa Louise Young den Begriff des total empire geprägt, um den engen Zusammenhang zwischen der Modernisierung kolonialer Besitzungen und der Mobilisierung der japanischen Gesellschaft zu fassen. Mit Bezug auf das japanische Imperium ist derartigen wechselseitigen Beziehungen zwischen Metropole und Kolonie viel Gewicht beigemessen worden, während die Forschung andere Vernetzungen - etwa den globalen Transfer zwischen Imperien - tendenziell vernachlässigt hat. Da im Folgenden derartige Transfers in den Blick kommen werden, trägt das Buch auch zu neuen historiographischen Perspektiven auf das Zeitalter des Imperialismus insgesamt bei: und zwar deshalb, weil in der internationalen Kolonialismusforschung praktisch ausschließlich europäische Imperien den Bezugsrahmen bilden. Dabei geht die vorherrschende Meinung vom europäischen Kolonialismus als Standard aus und sieht den japanischen als Anomalie. Dieses zu hinterfragen, kann durchaus auch für das Verständnis des sogenannten europäischen Kolonialismus gewinnbringend sein. Nichtsdestotrotz war es eine spezifische geopolitische Ausgangslage, vor deren Hintergrund die Ausprägung des japanischen Kolonialismus zu verstehen ist: Das Land ist in den 1850er Jahren zu einer Reihe von ungleichen Verträgen mit den Vereinigten Staaten von Amerika sowie einigen europäischen Mächten gezwungen worden. Die daraus resultierende Situation ist oft als semikolonial beschrieben worden - inwiefern dieser Begriff dem japanischen Fall gerecht wird, sei vorerst dahingestellt. Fest steht jedoch, dass Japans eigene imperiale Expansion in den darauf folgenden Jahrzehnten ohne die Berücksichtigung der erzwungenen Öffnung nicht zu verstehen ist. Doch konzentrieren sich die meisten Studien, die sich mit den Auswirkungen der Öffnung des Landes auseinandersetzen, auf die Verknüpfung zwischen Japan und dem Westen, wohingegen sie sich nicht mit den entstehenden japanischen Kolonien befassen. Das heißt, sie thematisieren zwar Transferprozesse, dies jedoch nur einseitig, also vom Westen in Richtung Osten. Dabei tendieren sie meistens zu einem Modernisierungsnarrativ, welches die Genese eines japanischen Nationalstaates betont, der in einer Krise aufgrund westlicher Aggression seine Keimzelle besessen, sich in einer linearen Fortschrittsbewegung entwickelt und schließlich mit den westlichen Mächten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht gleichgezogen habe. Vernachlässigt werden dabei aber häufig Prozesse von Wissenstransfer und Bewegungen auf der Ebene der Akteure, die dieser fortschrittsorientierten Erzählung beziehungsweise binären Opposition zwischen Japan und dem Westen zuwiderlaufen. Damit ist ihnen genauso wie den Studien zu den …