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Militärisches Handeln ist, so suggerieren Quellen und Historiografie, vor allem Entscheidungshandeln. Entscheidungen werden so zu Schlüsselereignissen in der Kriegführung stilisiert, die über Sieg und Niederlage bestimmen. Damit werden Fragen nach den Rahmenbedingungen und Merkmalen militärischer Entscheidungsprozesse und den Konstanten des militärischen Entscheidens aufgeworfen. Die Beiträge dieses Bandes analysieren epochenübergreifend die Voraussetzungen, Prozesse und Repräsentationen militärischen Entscheidens und bestimmen erstmals die Rahmenbedingungen und Merkmale des Entscheidens im militärischen Kontext.
»Ein gelungener Band, der die Erforschung des militärischen Entscheidens ein gutes Stück voranbringt und zu weiterer Arbeit auf diesem Gebiet anregt.« Jörg Rogge, Zeitschrift für Historische Forschung, 48/2021 »Die Aufsatzsammlung bietet einen ebenso ambitionierten wie gelungenen militärhistorischen Überblick über die Kulturen des Entscheidens seit der Antike.« Bernd Ulrich, Soziopolis, 03.11.2020 »Auf jeden Fall ergänzen die hier gewonnenen Erkenntnisse die Forschung, aber auch gesellschaftliche und militärische Debatten, wie die um die Rolle der Bundeswehr, durch wichtige historische Relativierungen und neue Deutungsangebote.« Anke Fischer-Kattner, H-Soz-u-Kult, 07.12.2021 »Das Werk lädt zum Reflektieren darüber ein, welchen Wandel und welche Konstanten es beim Prozess des Entscheidens über die Jahrtausende gegeben hat. Dabei bestimmte Standards einzuhalten, ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit: Bereits die Römer besaßen schriftliche Anleitungen für die Entscheidungsfindung.« VDI-Nachrichten, 23.10.2020
Autorentext
Christoph Nübel, Dr. phil., ist Wiss. Oberrat am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Martin Clauss ist Professor für die Geschichte Europas im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit an der TU Chemnitz.
Leseprobe
Entscheiden als militärgeschichtliches Forschungsproblem. Zur Einführung Martin Clauss und Christoph Nübel Im Jahr 47 v. Chr. besiegte Gaius Julius Caesar bei Zela in Kleinasien König Pharnakes II. in einer Schlacht, die vor allem wegen des Bonmots in die Geschichte eingegangen ist, das Caesar als Siegesmeldung an einen Freund in Rom geschickt haben soll: veni, vidi, vici. Die kurze Phrase lässt einige Elemente erkennen, die für das militärische Entscheiden typisch zu sein scheinen. Caesar inszenierte sich als alleinigen Entscheider, der einsam agierte und somit auch für den Erfolg persönlich verantwortlich war. Der Prozess des Entscheidens, der dem Sieg voranging, stand dabei nicht im Zentrum der Darstellung und wurde nur in wenigen Aspekten knapp angedeutet: Entscheidungs- und Aktionsort fielen zusammen, Caesar traf die relevanten Entscheidungen nicht fernab des Geschehens, sondern vor Ort. Dabei war der persönliche Augenschein das probate Mittel, um militärische Informationen zu sammeln. Den Inhalt der Entscheidung etwa die Art des militärischen Vorgehens kommentierte Caesar nicht weiter, nur das Resultat war für ihn berichtenswert. Dies verweist auf eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Interesse, das dem Entscheiden als Prozess, der Entscheidung als dessen Ergebnis und dem Resultat der Entscheidung in Kriegsberichten entgegengebracht wurde. Besondere Beachtung erfuhr hingegen die zeitliche Dimension des ganzen Vorgangs. Plutarch und Sueton, welche dieses Trikolon überliefern, betonten beide, dass die prägnante Formulierung die Schnelligkeit des militärischen Erfolges wiederspiegeln sollte. Geschwindigkeit wurde als Qualitätsmerkmal verstanden, für das Entscheiden und die militärische Aktion. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass das Agieren der römischen Truppen vor Zela in anderen Quellen eher als reaktiv und zurückhaltend erscheint. So schilderte das bellum Alexandrinum, dass Caesar vom Angriff seines Gegners überrascht wurde, als seine Truppen dabei waren, ihr Lager zu befestigen. Caesar hingegen legte in seinem Bericht großen Wert auf schnelles Entscheiden und eine schnelle Entscheidung, was mehr über die sozio-kulturellen Konnotationen als über die historischen Abläufe bei Zela aussagt und das Entscheiden als soziale Praxis markiert. Der Feldherr als militärischer Entscheider zeichnete sich nicht durch intensives Grübeln oder abwägendes Debattieren, sondern durch die Fähigkeit zum schnellen Entschluss aus. Damit ist bereits ein Charakteristikum benannt, das dem militärischen Entscheiden bis in die Neuzeit hinein zugeschrieben wird. Im 19. Jahrhundert betonte Helmuth von Moltke, dass die Kriegführung seiner Epoche durch »das Streben nach großer und schneller Entscheidung« bestimmt werde. Ähnlich entschieden wie Caesar, ja sogar auf diesen rekurrierend, handelte auch Friedrich der Große. Um zum allseits bewunderten Fürsten aufzusteigen, wollte er Schlachtenruhm erwerben. So griff er 1740 nach Schlesien. Seinem Minister Heinrich Graf von Podewils machte er in einem Brief vom Kriegsschauplatz deutlich, dass seine Entscheidung zum Krieg nicht mehr rückgängig zu machen und Glück, nicht nur Genie, Voraussetzung für den Erfolg war. »Ich habe mit entfalteten Fahnen und klingendem Spiel den Rubicon überschritten []. Ich habe Grund, alles mögliche Gute von diesem Unternehmen zu erhoffen.« Friedrich griff auf antike Vorbilder zurück, um als tatkräftiger und entschlussfreudiger Feldherr wahrgenommen zu werden. Entschlossenheit im Entscheiden wurde und wird so eng mit dem Bild professioneller militärischer Führerschaft verknüpft, dass es bis heute zum militärischen Markenkern gezählt wird. Die im Jahr 2018 erlassenen »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege« der Bundeswehr nennen »Entschlussfreude« als eine überzeitliche Soldatentugend. Die wesentliche Rolle des Entscheidens sowohl in binnenmilitärischen Abläufen wie auch im Bild des Militärs mag erklären, weshalb militärische Entscheidungsabläufe heute für Teile der Wirtschaft als beispielgebend gelten. Bei diesem exemplarischen Blick auf das Militär wird davon ausgegangen, dass es im militärischen und zivilen Bereich unterschiedliche Kulturen des Entscheidens gibt. Dieser Annahme folgend richten die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg Führungsseminare aus, in denen Manager von Offizieren der Bundeswehr lernen sollen, wie Entscheidungen im Militär getroffen werden. Auch in der Ratgeberliteratur wird militärisches Entscheiden als ein Beispiel für eine besonders effiziente Führungskultur genannt. Hier ist man offenbar der Ansicht, dass es im Militär klare Führungsgrundsätze und Hierarchien sowie deutliche Zuordnungen von Entscheidungskompetenzen gibt, die auch andere Organisationen gut steuerbar machen. Diese Beispiele zeigen, dass Entscheiden als eine zentrale Funktion im Feld des militärischen Denkens und Handelns verstanden wird. Die vorliegende Publikation unternimmt einen ersten systematischen Versuch, zu klären, was unter militärischem Entscheiden zu verstehen ist, und zeigt, wie es als historisches Problem analysiert werden kann. Militärisches Entscheiden als Forschungsgegenstand Obgleich militärisches Entscheiden offenbar von großer Bedeutung war und ihm zentrale Rolle im Handeln von Gewaltorganisationen zugeschrieben wurde, ist in der Forschung bislang weitgehend unklar geblieben, was genau darunter zu verstehen ist. Die Tatsache und Relevanz des Entscheidens im Militär wird vielfach unhinterfragt vorausgesetzt. Dagegen betonen jüngere Arbeiten, die sich mit dem Entscheiden in historischer Perspektive auseinandersetzen, dass es von volatilen Vorannahmen, Aufmerksamkeiten, Prestige oder Organisationskulturen abhängig ist. Entscheidungsprozesse dienen, so wird argumentiert, weniger dem Finden eines optimalen Ergebnisses, sondern sind auch als symbolische Akte zu verstehen, um der Entscheidung auch im Nachhinein Legitimität zu verleihen. Damit ist die Annahme, das Entscheiden beschreibe einen »rationalen« Prozess, an dessen Ende eine ausgewogene Entscheidung steh…
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