Die kritischen, autobiographischen Essays und selbst für Kenner ungewöhnlich die erzählerische Prosa zeigen eine unbekannte Seite des großen Dichters Michael Hamburger: Seit über sechs Jahrzehnten denkt er über das Rätselhafte in der Dichtkunst nach, über die ungelösten Fragen eines Übersetzers und Kritikers, über berühmte Zeitgenossen sowie über die Unbilden eines langen 20. Jahrhunderts. Der Band ergänzt, vertieft und kommentiert Grundthemen der Hamburger'schen Lyrik: Aneignung und Umwandlung einer Vielfalt von Formen zeigen den Dichter als erfinderischen Erben einer reichen Tradition der europäischen Dichtung sowie als mitfühlenden, reflektierenden, auch ironischen Beobachter seiner Umgebung.

Autorentext
Erich Fried, geb. 1921 in Wien, floh 1938 nach London, wo er bis zu seinem Tod 1988 lebte. Wegen seines Gedichtbands 'Und Vietnam und' (1966) noch heftig umstritten, wurde er spätestens mit den 'Liebesgedichten' (1979) zum meistgelesenen deutschsprachigen Lyriker seit Bertolt Brecht.1987 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Wolfgang Schlüter, geb. 1948, lebt als freier Übersetzer und Autor in Berlin. Er hat u. a. einen Band mit englischer Lyrik, John Aubrey, William Cowper, T. H. Lawrence und Christopher Marlowes sämtliche Dramen ins Deutsche übersetzt. Der 1924 geborene, in Suffolk lebende Kritiker, Schriftsteller und Übersetzer Michael Hamburger verkörpert bereits ein Stück europäischer Zeitgeschichte: Sohn jüdischer Eltern aus Berlin flüchtet er in den dreißiger Jahren nach England. Dort wird er zu einem Kritiker jeglicher Totalitarismen; sein dichterisches Werk schöpft aus den Vorbildern der besten deutschen Literaturtradition, deren herausragender und mit den bedeutendsten Preisen bedachter Übersetzer er wird: Hölderlin, Goethe, Rilke und die Modernen seiner Generation. Auszeichnungen u.a.: Goethe--Medaille der Stadt Frankfurt, Hölderlin-Preise der Stadt Tübingen, Petrarca-Preis, Österreichischer Staatspreis für literarisches Übersetzen Buchveröffentlichungen in deutscher Sprache: "Vernunft und Rebellion, Aufsätze", 1969, "Heimgekommen. Gedichte", 1984; "Verlorener Einsatz. Erinnerungen", 1987. "Spannungen in der modernen Lyrik von Baudelaire bis zur Gegenwart", 1995.

Klappentext
Die Malerin Ramona Montoya lebt allein im Haus ihrer Großeltern in einem kleinen Dorf in New Mexico. Als ihr Bruder und dessen Frau bei einem Unfall ums Leben kommen, nimmt sie deren siebenjährigen Sohn José bei sich auf. Und plötzlich steht ihr längst verstorbener Großvater in der Tür... *"Ein kleines, aber wunderbar geschriebenes Erstlingswerk."
Publishers Weekly*

Leseprobe
José Montoyas Eltern wurden frühmorgens an einem warmen Augusttag von einer Kuh getötet. Als sie einmal beide allein in ihrem Wohnwagen waren, hatte Josés Vater seinen Sohn ermahnt, sich vor Eulen in acht zu nehmen. José senior hatte schon ein paar Bier getrunken und starrte mit leerem Blick auf den Fernseher, als er sich plötzlich umdrehte und zu seinem Sohn sagte, Eulen seien keine Vögel, sondern Hexen in anderer Gestalt. Sie seien nichts weiter als Todesverkünder, und wenn José je eine in der Nähe des Hauses sähe, solle er die .22er unter dem Bett hervorholen und das verdammte Vieh abknallen. José war keine Erwiderung eingefallen. Er hatte seinen Vater angesehen, bis der sich abwandte, noch einen Schluck nahm und sagte: "Glaub mir, mein Sohn, diese Eulen haben es in sich." Mit seinen sieben Jahren konnte José sich nicht erinnern, jemals eine Eule zu Gesicht bekommen zu haben, und er wußte ganz sicher, daß er auch an dem Morgen, als sein Vater und seine Mutter starben, keine gesehen hatte. Der Tag hatte begonnen wie jeder andere, und dann plötzlich, aus heiterem Himmel und ohne daß eine Eule leise durch die Luft schwirrte, war er verdorben. So verdorben wie eines der Eier, in denen seine Mutter beim Aufschlagen manchmal Blut entdeckte... <