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Nach welcher Logik planen Dschihadisten Anschläge in europäischen Städten? Seit den Anschlägen von Paris und Brüssel ist diese Frage aktueller denn je. Um die Denkweise von Anschlagsplanern zu verstehen, haben die Kriminologen Michael Fischer und Robert Pelzer ein Planspiel durchgeführt, in dem Probanden über mehrere Monate fiktive Anschlagsszenarien entwickelt haben. Auf der Basis realer Fälle, wie der "Sauerland-Gruppe", wurden Tätertypen bestimmt. Die Autoren präsentieren ein Risikomodell und Kernelemente einer Soziologie des Anschlags.
»Fischer und Pelzer haben wichtige Innovationen allein schon durch ihren Perspektivwechsel für die Terrorismusforschung vorgenommen. [...] Ihre Analyse ist stringent angelegt und fragt detailliert nach den Bedingungsfaktoren.« Armin Pfahl-Traughber, Humanistischer Pressedienst, 13.10.2016
Autorentext
Michael Fischer ist Professor für Kriminologie an der Polizeiakademie Niedersachsen. Robert Pelzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin.
Klappentext
Nach welcher Logik planen Dschihadisten Anschläge in europäischen Städten? Seit den Anschlägen von Paris und Brüssel ist diese Frage aktueller denn je. Um die Denkweise von Anschlagsplanern zu verstehen, haben die Kriminologen Michael Fischer und Robert Pelzer ein Planspiel durchgeführt, in dem Probanden über mehrere Monate fiktive Anschlagsszenarien entwickelt haben. Auf der Basis realer Fälle, wie der "Sauerland-Gruppe", wurden Tätertypen bestimmt. Die Autoren präsentieren ein Risikomodell und Kernelemente einer Soziologie des Anschlags.
Leseprobe
Vorwort
Die vorliegende Studie versucht - und darin unterscheidet sie sich von den meisten Arbeiten im Bereich der Terrorismusforschung - die Analyse der Logik des Terrorismus mit einer Analyse der konkreten Anschlagsplanung terroristischer Gruppen, das heißt der Wahl von Anschlagszielen und Angriffsszenarien, zu verbinden. Wie der Terrorismus an sich folgt auch die Planung von Anschlägen im Einzelnen einer Logik der sozialen Kontrolle. Empirisch beruht die Arbeit auf einer internationalen Fallerhebung dschihadistischer Anschläge sowie einem erstmals in dieser Form durchgeführten Planspiel zur Anschlagsplanung. Der dschihadistische Terrorismus in Europa ist dabei zugleich zentraler Gegenstand der Analyse und ein Beispielfall für terroristisches Vorgehen. An diesem Fall untersucht die Studie Selektionsmechanismen und Risikoparameter für terroristische Anschläge, deren Generalisierbarkeit auf andere Formen des Terrorismus und auch auf neu sich entwickelnde Strukturen des Dschihadismus jeweils im Einzelfall zu reflektieren ist. Ohne dass wir dies im hier gegebenen Rahmen detailliert überprüfen konnten, nehmen wir an, dass die identifizierten Selektionsmechanismen (die sich recht unmittelbar aus der Logik des Terrorismus als Form sozialer Kontrolle ergeben) weitgehend universell und über den europäischen Dschihadismus hinaus in verschiedenen Terrorismen vorfindbar sind. Spezifische Risikoparameter sind dagegen stärker von Ideologien, Ressourcen, Kompetenzen und Organisationsformen abhängig und bedürfen einer entsprechenden Anpassung beim Versuch der Anwendung auf unterschiedliche terroristische Gruppierungen. Dies gilt ggf. auch bei sich verändernden Rahmenbedingungen in der dschihadistischen Bewegung selbst.
Zur Zeit unserer empirischen Erhebungen (2010-2013) war "al-Qaida" das Verdichtungssymbol für den europäischen Dschihadismus, während aktuell zunehmend der sogenannte "Islamische Staat" diese Rolle einnimmt. Al-Qaida fungiert nicht nur als Organisation, sondern vor allem als ideologischer Anker für auch solche Täter, die sich - bei geringer oder völlig fehlender organisationeller Verbindung - auf den Deutungsrahmen des globalen Dschihadismus berufen. Vor diesem Hintergrund nimmt unsere Studie nicht professionalisierte, länger bestehende und im Untergrund aktive dschihadistische Gruppierungen in den Blick (die es in Europa weder gab noch bislang gibt), sondern kleine Tätergruppen mit relativ geringen Ressourcen, geringer organisationeller Anbindung und fehlender oder geringer terroristischer Erfahrung und Ausbildung, die im Wesentlichen einen (einzigen) Anschlagsversuch unternehmen und in der Zielwahl gegebenenfalls Anregungen oder groben Vorgaben folgen, diese aber letztlich selbst vornehmen.
An dieser Täterstruktur hat sich auch mit dem Erstarken des Islami-schen Staates (IS) bislang wenig geändert. Seit dieser größere Gebiete im Osten Syriens und Nordwesten Iraks erobert und 2014 ein Kalifat ausgerufen hat, sind in Europa vermehrt Anschläge und Anschlagsplanungen mit Bezügen zu bzw. unter Berufung auf den IS zu verzeichnen. Hegghammer und Nesser (2015) zählen für den Zeitraum von Januar 2011 bis Juni 2015 insgesamt 69 dschihadistische Anschlagsplanungen (inklusive 19 ausgeführte Anschläge) in Europa, Nordamerika und Australien, von denen 30 einen IS-Bezug aufweisen. In der Schlussphase dieser Erhebung (Juli 2014 bis Juni 2015) steigt der Anteil von Anschlagsplanungen mit IS-Bezug auf 26 von 33 (wobei die Unterscheidung zwischen IS- und al-Qaida-bezogenen Anschlägen nicht immer klar zu treffen ist). Die Anschlagsplanungen mit IS-Bezug wurden überwiegend von Tätern bzw. Tätergruppierungen unternommen, die Sympathie für den IS äußern oder erkennen lassen, ohne in persönlichem Kontakt zu irgendeiner Verbindungsperson in der IS-Organisation zu stehen. Andere Täter haben entfernte Kontakte, ohne jedoch Anweisungen bekommen zu haben. In vier Fällen waren Täter beteiligt, die ein Training auf IS-Gebiet, nicht aber Anweisungen für Anschläge im Westen erhalten hatten; in vier weiteren Fällen sind Hinweise auf mehr oder minder spezifische Anregungen bzw. Instruktionen für Anschläge im Westen zu erkennen. Viele der (geplanten) Anschläge haben Lowtech-Charakter und werden mit Stich- oder Handfeuerwaffen ausgeführt; oft werden sie von Einzeltätern oder Zweiergruppen geplant; bei durchgeführten Anschlägen liegt die Zahl der Todesopfer bei durchschnittlich 1,4 Personen (ebd.). Von diesem Grundmuster eines Terrorismus relativ unprofessioneller Einmaltäter weichen einzelne spektakuläre Anschläge ab. So gelangen am 13. November 2015 in Paris komplexere konsekutive Mehrfachanschläge: Die Täter schlugen in drei Teams mit je drei Personen an insgesamt neun Orten in Paris zu. Mindestens fünf Sprengvorrichtungen wurden erfolgreich gezündet, und die Täter verfügten über eine größere Anzahl automatischer Waffen. Die Mehrzahl der Taten aber spiegelt nach wie vor das in unserem Erhebungsdesign zugrunde gelegte Bild von organisationell gering ein-gebundenen Tätern, die durch dschihadistische Organisationen oft nur inspiriert wurden und die mit relativ einfachen Mitteln und bei wesentlich eigenständiger Zielwahl operieren.
Potenzielle Veränderungen in der dschihadistischen Szene, Organisation, Strategie und Propaganda sind freilich gleichwohl stets zu berücksichtigen. So könnte bei weiteren erfolgreichen Inspirationen besonders unprofessioneller Täter mit einer Ausweitung von Angriffen mit Hieb- und Stichwaffen zu rechnen sein - während umgekehrt die (bislang nur begrenzt sich auswirkende) Rückkehr kampferfahrener und besser vernetzter Personen aus Kriegsgebieten eine Professionalisierung des dschihadistischen Terrorismus in Europa befördern kann. Auch bei Änderungen der Professionalität und der Angriffsmittel bleiben jedoch zentrale Parameter der Zielwahl bestehen. So suchten etwa auch die Attentäter von Paris zentral gelegene und (mit Ausnahme des Stade de France) ohne Zugangskontrollen zugängliche Ziele aus; indiskriminative Angriffe auf Zivilisten folgen früheren Vorbildern und zielen auf die Mitte der Gesellschaft; und mit dem Veranstaltungsort Bataclan wurde zusätzlich ein Ort angegriffen, an dem sich, so das mutmaßliche Bekennerschreiben des IS, "hunderte Götzendiener in e…