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Was glauben und was denken Christen?
Autorentext
Matthias Hülsmann, Jahrgang 1963, verheiratet, zwei Kinder, Studium der Evangelischen Theologie in Göttingen, von 1993 - 2002 Gemeindepastor im Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg. Seit 2002 Schulpastor am Gymnasium Walsrode und seit 2016 Dozent am Religionspädagogischen Institut Loccum.
Klappentext
Was glauben und was denken Christen?
Zusammenfassung
Was glauben und was denken Christen?
Leseprobe
Zwei Schöpfungserzählungen
Wie viele Menschen hat Gott eigentlich am Anfang erschaffen? Adam und Eva, also zwei. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Auf den ersten Seiten der Bibel wird erzählt, dass Gott insgesamt vier Menschen erschaffen hat. Hier der Beweis: Im ersten Buch Mose, Kapitel 1, Vers 27 (abgekürzt Gen 1,27) heißt es:
Gott schuf die Menschen nach seinem Bild, als Gottes Ebenbild schuf er sie und schuf sie als Mann und Frau.
Das sind zwei Menschen.
In Gen 2,7 heißt es dann weiter:
Da nahm Gott, der HERR, Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.
Nun sind es schon drei. Gen 2,21f. erzählt:
Da versetzte Gott, der HERR, den Menschen in einen tiefen Schlaf, nahm eine seiner Rippen heraus und füllte die Stelle mit Fleisch. Aus der Rippe machte er eine Frau und brachte sie zu dem Menschen.
Jetzt sind es tatsächlich vier.
Hat Gott wirklich vier Menschen geschaffen? Wohl kaum. Wir haben es hier mit zwei Schöpfungserzählungen zu tun. Jede der beiden Erzählungen schildert die Erschaffung von jeweils zwei Menschen - macht zusammen vier. Gen 1,1-2,4 bildet eine Erzählung, und Gen 2,4-25 bildet eine zweite Erzählung.
Für diese Annahme sprechen zwei gewichtige Gründe: Erstens gibt es ganz offensichtliche Widersprüche zwischen beiden Schöpfungserzählungen. In Gen 1 werden zuerst die Tiere geschaffen und danach der Mensch als Mann und Frau. In Gen 2 dagegen wird noch vor den Tieren zuerst der Mann geschaffen, erst danach die Tiere. Denn Gott erkennt, dass es nicht gut ist, wenn der Mann allein bleibt. Zu diesem Zweck erschafft Gott die Tiere, doch die können das Einsamkeitsproblem des Mannes nicht lösen. Deshalb erschafft Gott am Schluss die Frau aus der Rippe des Mannes. Der zweite Grund für die Annahme von zwei Schöpfungserzählungen besteht in der Art und Weise, wie Gott die Welt erschafft. In Gen 2 wird Gott als vielseitig begabter Handwerker dargestellt. Wie ein Töpfer formt er mit seinen Händen aus Erde den Mann; wie ein Gärtner legt Gott einen Garten an; mit dem Mund bläst Gott dem Adam den Lebenshauch ein; wie ein Anästhesist lässt er Adam in einen tiefen Schlaf fallen und wie ein Chirurg entfernt er eine Rippe. Diese Schöpfungserzählung ist so anschaulich erzählt, dass man sie sofort verfilmen könnte. Gott wird hier anthropomorph dargestellt. Das bedeutet, Gott wird in menschlicher Gestalt gezeichnet. Die Menschen übertragen ihre eigenen menschlichen Eigenschaften und handwerklichen Fähigkeiten auf Gott. Diesen Vorgang bezeichnet die Religionswissenschaft als Anthropomorphismus.
Ganz anders in Gen 1. Hier wird Gott nicht dargestellt. Er bleibt unsichtbar und abstrakt. Seine einzige Handlung ist das Sprechen. Und auch dieses Sprechen ist anders als bei Menschen, denn alles, was Gott sagt, tritt sofort ein. Seine Worte werden unmittelbar Wirklichkeit. Hier haben wir es mit einer abstrakten, stark vergeistigten Vorstellung von Gott zu tun.
Schöpfung und Weltbild
Die Ursache für diese unterschiedliche Art der Darstellung in den beiden Schöpfungserzählungen liegt in den unterschiedlichen Weltbildern, die beide Erzählungen prägen. Gen 2 ist aus der Sicht von Nomaden erzählt. Ihr Leben war viele Generationen lang bestimmt von der ständigen Suche nach Weideplätzen mitten in der Steppe. So zogen sie in den kargen Gegenden umher, stets auf der Suche nach Futter für ihr Vieh. Auf diesem Hintergrund muss ihnen das Land Israel mit seinen fruchtbaren Böden und dem Wasser des Jordan wie ein fruchtbarer Garten vorgekommen sein. Abends am Lagerfeuer erzählten sie von Generation zu Generation, wie Gott die Welt erschaffen hat. In dieser Erzählung vom Anfang der Welt ist das Staunen über die Fruchtbarkeit der Erde noch spürbar.
Erst viel später wurde diese Erzählung aufgeschrieben. Das geschah vermutlich zur Zeit von König David um 1000 vor Christus. Er konnte es sich an seinem Hofe leisten, Schreiber zu beschäftigen, die die mündlichen Erzählungen sammelten und den Umgang mit Pergament und Griffel beherrschten. Der Schreiber von Gen 2 bezeichnet Gott mit dem Namen Jahwe, der in der Übersetzung mit "HERR" wiedergegeben wird. Deshalb wird dieser Verfasser als Jahwist und Gen 2 als jahwistische Schöpfungserzählung bezeichnet.
Gen 1 ist fast 500 Jahre später, vermutlich um 586 vor Christus in der babylonischen Gefangenschaft entstanden. Das Volk Israel war von den siegreichen Babyloniern nach Babylon deportiert worden. Hier im Exil wurden sie mit der Schöpfungserzählung der Babylonier konfrontiert. Die babylonische Schöpfungsgeschichte hat ihren Namen von den ersten beiden Worten, mit denen sie beginnt: Enuma elisch. Der Gott Marduk kämpft gegen die Göttin Tiamat und tötet sie. Er zerhaut sie in zwei Teile und baut aus ihrem Rücken die Erdscheibe und aus ihrem Bauch die Himmelskuppel. Aus dem Blut der Göttin erschafft er die Menschen. Diese Schöpfungserzählung verunsicherte die Juden im babylonischen Exil. Was sollten sie nun glauben? Deshalb gingen sie zu ihren jüdischen Priestern und fragten sie um Rat. Die Priester stellten fest, dass die alte jahwistische Schöpfungsgeschichte bei dieser neuen Herausforderung nicht helfen konnte. Deshalb reagierten sie auf die babylonische Schöpfungsgeschichte mit einer neuen Erzählung, die der aktuellen Situation besser gewachsen war. Dabei nahmen sie Elemente der babylonischen Schöpfungserzählung auf und veränderten sie so, dass sie ihrem jüdischen Glauben entsprach. Aus dem Kampf der Götter wurde dabei der eine Gott, der ohne jede Kampfanstrengung allein durch sein Wort die Welt erschaf…