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Kritische Textedition und umfassende Einführung in Bubers Romanerzählung Gog und Magog
Die Romanerzählung Gog und Magog (hebräisch 1943, deutsch 1949) basiert auf einer Kontroverse zwischen zwei chassidischen Schulen vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege und den damit einhergehenden messianischen Hoffnungen unter den osteuropäischen Juden. Die Erzählung kann als Aussage Bubers zur politischen Theologie gelesen werden, sowohl innerhalb des Judentums (und zwar im Zionismus) wie auch darüber hinaus.
Autorentext
Martin Buber (18781965), Religionsforscher, Religionsphilosoph und Schriftsteller, war eine der führenden Persönlichkeiten des Judentums im 20. Jahrhundert und ein Vorreiter des jüdisch-christlichen Dialogs.
Leseprobe
Welt- und Nationalkrisen sind Nährstoffe der Eschatologie. Die Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels im 6. Jahrhundert v.Chr. und die Verschleppung der Judäer in die babylonische Gefangenschaft riefen die apokalyptischen Prophezeiungen Ezechiels hervor. Zwei Jahrtausende später war es die Vertreibung der Juden von der iberischen Halbinsel, im weltumwälzenden letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, die den spanisch-jüdischen Politiker und Gelehrten Don Isaak Abarbanel (14371508) zu folgendem, einflußreichen Kommentar zu den Worten Ezechiels über "Gog des Landes Magog" bewegte:
Am Ende der Tage, wenn Gott sein Volk erlösen und seine Verstreuten zusammenziehen wird, werden alle Christen, die Söhne Edoms, zum Land Israel aufziehen, um es zu erobern. Erst werden sie Ägypten verwüsten und dort viele Tote hinterlassen. Dann werden sie aufziehen, um das Land Israel zu besetzen, um Jerusalem einzunehmen und zu regieren. Infolgedessen, um sie zu bekämpfen, werden sich die Völker des Ostens und des Nordens verbünden. Unter ihnen wird sich Gog des Landes Magog befinden, der auch aus dem weitesten Norden aufbrechen wird, um zu diesem Krieg zu kommen. Raschi schrieb, daß Gog der Königsname und Magog der Volksname ist, mir scheint es aber anders, nämlich daß Gog der Volksname und Magog der Name der Region oder des Landes ist, wo er wohnt ...
Drei Jahrhunderte später waren es die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege, die unter den chassidischen Gemeinden Polens eschatologische Erwartungen hervorriefen, indem manche in dem französischen General und späteren Kaiser einen die Erlösung ankündigenden Gog sehen wollten. Die Tatsache, daß Napoleon kurzzeitig Palästina besetzte und mit der Idee eines Judenstaates spielte, nährte noch zusätzlich die Hoffnungen der gesetzestreuen Juden Osteuropas, die täglich nach dem Morgengebet zu sagen pflegen: "Ich glaube mit vollkommenem Glauben an das Kommen des Messias, und wenn er auch zögert, so harre ich doch jeglichen Tages seines Kommens." Denn die Erlösung der Welt ist im Judentum stark mit der Erlösung des jüdischen Volkes und seiner Rückkehr ins Land Israel verbunden. Ein weiteres Jahrhundert später waren es schließlich die katastrophale Epoche der beiden Weltkriege, die Verwirklichung des politischen Zionismus in Palästina und das damit einhergehende messianische Gedankengut, die Martin Buber zum Verfassen seines Romans Gog und Magog bewegten, seiner literarischen Stellungnahme zu Messianismus, Eschatologie und politischer Theologie.
Bubers Bezeichnung des Werkes als "Chronik" weist auf dessen beabsichtigte tendenzlose Wahrheitstreue hin; tatsächlich sind in fast allen Figuren des Romans gleichnamige historische Personen zu erkennen. Der Schweizer Theologe Leonhard Ragaz (1868-1945) fand, daß Gog und Magog - den der Religionswissenschaftler Karl Kerényi (1897-1973) mit Thomas Manns Der Auserwählte und der amerikanische Literaturwissenschaftler Maurice. Friedman (geb. 1921) mit Fjodor M. Dostojewskijs Die Brüder Karamasow verglich - kein Roman, sondern ein Werk suigeneris sei. Treffend ist die Bezeichnung des Werkes durch den Philosophen und Pädagogen Ernst Simon (1899-1988) als "Philosophie in Romanform":
Was ist der Sinn der ideellen Auseinandersetzungen, die den Raum von Geschichten wie Thomas Manns Zauberberg oder Bubers Gog und Magog füllen? Dienen sie hauptsächlich zur Charakterisierung der Protagonisten? Oder zur Annäherung an eine objektive Entscheidung im behandelten Streitthema? Oder aber zur Bestimmung der Position des Autors, entweder indem man ihn auf der Seite einer der Parteien wiederfindet, oder indem man seine Position als zwischen den Parteien stehend oder außerhalb von ihnen ausmachen kann? [...] Gog und Magog gehört zu diesem letzteren Typus.
Sagt Buber jedoch in seinem Nachwort: "Ich aber habe keine >Lehre<. Ich habe nur die Funktion, auf solche Wirklichkeiten hinzuzeigen. Wer eine Lehre von mir erwartet, die etwas anderes ist als eine Hinzeigung dieser
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