Im Mittelalter entstehen zahlreiche Legenden, die die geschichtlichen Anfänge von Völkern bzw. Stämmen, Dynastien, Städten und nicht zuletzt geistlichen Institutionen zum Gegenstand haben. Erzählt wird dabei von Wunderbarem wie von tatsächlich Geschehenem: von Hirschen mit leuchtendem Geweih, die den Ort für ein Kloster bezeichnen, von wilden Ebern, die auf wundersame Weise immer wieder dieselbe Stelle aufsuchen, und Ähnlichem mehr. Anhand der Funktion und Bedeutung von Tieren unternimmt die Studie den Versuch, die eigentümliche Zwitterstellung der mittelalterlichen Gründungslegenden zwischen fictum und factum, d. h. ihre spezifische Fiktivität und Authentizität, herauszuarbeiten, um so zu einer genaueren Bestimmung der bisher wenig beachteten Textsorte zu gelangen. Ein eigenes Kapitel ist dabei dem Vergleich mit fiktionalen Werken gewidmet - am Beispiel der Jagd auf den weißen Hirsch in den Lais der Marie de France, den 'Erec'-Romanen Chrétiens de Troyes und Hartmanns von Aue sowie in Gottfrieds von Straßburg 'Tristan und Isolde'.

Klappentext

Die vorliegende Arbeit beleuchtet die spezifische Fiktivität und Authentizität der mittelalterlichen Gründungslegenden. Sie richtet dabei Ihr Augenmerk auf die rhetorischen und stilistischen Mittel, sowie auf die Regeln und Bauprinzipien anhand derer Autoren geschichtliche Anfänge von Städten, Klöstern und anderen Gemeinschaften fingieren. Ziel ist es, eine genauere Bestimmung des "Gründungsliterarischen Diskurses" sowie eine Situierung innerhalb der mittelalterlichen Literatur vornehmen zu können. Dabei gehören die Tiere zu den wiederkehrenden Motiven der Erzählungen, die nicht nur als Beweis der für den Erfindungsreichtum und die Fabulierlust der Legendenschreiber zu betrachten sind, sondern die vor allem als Funktions- und Bedeutungsträger einen wichtigen Bestandteil der Retrofiktionen bilden und so entscheidend zum Sinn der Erzählungen beitragen. Die Verknüpfung des Gründungsgeschehens mit dem wundersamen Auftreten von Tieren macht den fiktiven Charakter des Erzählten für den modernen Betrachter besonders deutlich.