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Können die liberalen Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit angesichts der modernen Bio- und Reproduktionsmedizin ihre Gültigkeit behalten? Dieser Frage stellt sich Katharina Beier und vergleicht die biopolitischen Ansätze von T. Engelhardt, A. Buchanan, R. Dworkin, J. Habermas und P. Singer, die als paradigmatische Vertreter verschiedener Stränge des politischen Liberalismus zu Fragen der modernen Biomedizin Stellung bezogen haben.
Autorentext
Katharina Beier, Dr. phil., arbeitet in der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Göttingen.
Leseprobe
Einleitung "Wir streiten um die bisher naturwüchsige, scheinbar alternativlose leibhafte Basis unserer Urteile und Entscheidungen, um den Begriff des Menschen und seines Leibes, um den Begriff menschlicher Freiheit und die physischen Möglichkeiten humanen, ethischen Wollens. Einen solchen Streit hat es vermutlich in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben." Die Medizin als Lehre von der ärztlichen Heilkunde hat spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel mit Blick auf die ihr zur Verfügung stehenden Eingriffsmittel erfahren. Dieser durch technische Fortschritte in Gang gesetzte Gestaltwandel der Profession hin zu einer über den medizinischen Heilauftrag hinausgehenden, das Leben von der Zeugung bis zum Tod umfassenden Biomedizin gab Anfang der 1970er Jahre, zunächst in den USA, den Anstoß zu einer diese Entwicklungen reflektierenden und normierenden Disziplin, der Bioethik. Die erste erfolgreiche Nierentransplantation, kurze Zeit später die Einführung der Dialysetechnik sowie die Erfindung der Anti-Baby-Pille verlangten nach einer ethischen Bewertung dieser neuen Eingriffsmöglichkeiten am Menschen, die nicht mehr den Naturwissenschaften allein überlassen bleiben sollte. In Deutschland haben vor allem die in den 1980er Jahren geführte Diskussion um Abtreibung sowie Fragen, die im Zusammenhang mit der Praxis der In-vitro-Fertilisation (IVF) entstanden sind, zum Einsatz von eigens mit biomedizinischen Fragen befassten Enquete-Kommissionen geführt. Mit der Einführung neuer bio- und reprogenetischer Verfahren ist die Nachfrage nach bioethischer Expertise in den letzten Jahren weiter gestiegen. Dies belegt unter anderem die weltweit zu beobachtende Einrichtung "Nationaler Ethikräte", deren thematische Agenda in hohem Maße vom Fortschritt der biotechnischen Forschung bestimmt wird. Dabei sind es insbesondere die bahnbrechenden Erkenntnisse der Humangenetik und ihre Anwendung auf den Menschen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, von einer neuen Epoche in der Auseinandersetzung mit biomedizinischen Fragen zu sprechen. Im Zeitalter der modernen Biomedizin steht ein neues Instrumentarium der Naturbeherrschung bereit, das dem Menschen den Weg zur Perfektionierung des eigenen Körpers und Geistes zu eröffnen verspricht; der Mensch wird "zu seinem eigenen Experiment" (Renate Martinsen). Da der Begriff der "Biomedizin" in der Literatur keineswegs einheitlich verwendet wird, bedarf es hinsichtlich des dieser Arbeit zugrunde gelegten Begriffsverständnisses einer kurzen Erläuterung. Unter dem Terminus "Biomedizin" werden im Folgenden zum einen Verfahren der Gentechnik und Reproduktionsmedizin gefasst, mit denen nicht nur in therapeutischer, sondern auch in verbessernder Absicht in das menschliche Genom - bereits vor der Geburt - eingegriffen werden kann. Dazu gehören erstens Praktiken wie die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die damit eröffnete Möglichkeit zur Embryonenselektion; zweitens Verfahren, die der genetischen Optimierung, zum Beispiel von Körpergröße oder Muskelkraft, dienen (genetic engineering/Body-Enhancement) und die durch die Fortschritte der Neurowissenschaften seit Neuestem ihr Pendant in Praktiken des Neuro-Enhancement gefunden haben; sowie drittens Verfahren der Klonierung und der Chimärenzüchtung, die - gleichwohl vorerst auf das Tierreich beschränkt - zunehmend auch als Option für den Menschen in den Bereich des Denkbaren rücken. Zum anderen werden unter den Begriff "Biomedizin" die bereits seit längerem diskutierten Praktiken von Abtreibung, pränataler Diagnostik sowie Sterbehilfe gefasst, da die hier geltenden Regelungen im Strudel der aktuellen bioethischen Debatte erneut fragwürdig werden. Angesichts der Konfliktträchtigkeit biomedizinischer Fragen mag die Vielzahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema kaum verwundern. In einem stark vereinfachenden Überblick lassen sich drei Gruppen von Beiträgen unterscheiden, zwischen denen es gleichwohl Überschneidungen gibt: - Dabei handelt es sich erstens um Publikationen, die sich unter dem Begriff der "Bioethik" zusammenfassen lassen. In deren Zentrum steht das Bemühen, die für die Bewertung biomedizinischer Praktiken relevanten moralischen Prinzipien sowie die zwischen ihnen auftretenden Konflikte offenzulegen. Während eine Gruppe von Autoren dabei Partei für eine bestimmte Moraltheorie ergreift, geht es anderen Autoren(kollektiven) vornehmlich darum, dem Leser das "Handwerkszeug" für eine eigene ethische Urteilsbildung an die Hand zu geben. Dies kann entweder durch den Verzicht auf eine eigene Positionierung geschehen oder durch eine Versammlung von konträren Stellungnahmen zu bioethischen Fragen im Rahmen einer Anthologie. - Dies lenkt über zu einer zweiten Gruppe von Veröffentlichungen, in denen sich die Autoren konkreten biomedizinischen Praktiken zuwenden und in der Frage nach deren moralischer bzw. rechtlicher Zulässigkeit vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen moralphilosophischen, weltanschaulichen bzw. politiktheoretischen Position dezidiert Stellung beziehen. - Mit der modernen Biomedizin befasst sich schließlich eine Reihe von Beiträgen, die erstens den politisch-institutionellen Rahmen für den Umgang mit bioethischen Konflikten beleuchtet. Zweitens gehören dazu soziologisch, juristisch und philosophisch informierte Untersuchungen zu Chancen, Risiken sowie der tatsächlichen Nutzung biomedizinischer Angebote, die für die politische Regelung der Materie Orientierung bieten wollen. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel die Plausibilität entworfener Gefahrenszenarien diskutiert sowie nach den gesellschaftlichen Folgen eines permissiven oder eher restriktiven Umgangs mit der Biomedizin gefragt. Drittens fallen in diese Kategorie Aufsatzsammlungen, welche die von Repräsentanten der gesellschaftlichen Öffentlichkeit vertretenen biopolitischen Positionen versammeln. These und Ziel der Arbeit Insbesondere die zuletzt genannte Gruppe von Beiträgen lenkt den Blick darauf, dass die moderne Biomedizin nicht nur als ein bioethischer Reflexionsgegenstand wahrgenommen wird, sondern zunehmend als eine Materie, die über die medizinische Standesethik hinaus der biopolitischen Regulierung bedarf. Im Politikfeld der biomedizinischen Biopolitik geht es um eine "normative Regulierung der Biomedizin durch Bioethik und Biopolitik". Den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildet dabei die Beobachtung, dass die gegenwärtigen Fortschritte im Bereich der Biomedizin ein neues Ausmaß an gesellschaftlichen Konflikten erzeugen, die für liberale Gesellschaften nicht allein regelungspraktische Probleme aufwerfen. Darüber hinaus bedroht die gentechnische Revolution den normativen Bestandskern liberaler Demokratien, indem sie bislang anerkannte, liberale Basistheoreme, die das Zusammenleben in modernen pluralen Gesellschaften leiten, grundlegend in Frage stellt. Die moderne Biomedizin nötigt folglich zu einer fundamentalen Reflexion der normativen Voraussetzungen liberal-demokratischer Ordnungen. Vor diesem Hintergrund beansprucht die vorliegende Arbeit die Frage zu klären, welche konkreten Konsequenzen die moderne Bio- und Reproduktionsmedizin als ein praktisches Politikfeld für die politische Theorie des Liberalismus als Reflexionsform moderner, liberal-demokratischer Gesellsch…